Zum ersten Mal spürte Luke Tränen sein Gesicht herunterströmen. Er atmete tief. Es fühlte sich so gut an sie festzuhalten. Er sprach nicht. Ihm fiel kein einziges Wort ein.
Sie blickte zu ihm auf und wischte ihm die Tränen vom Gesicht.
„Ist das nicht toll?” fragte sie. „Don sagte, dass du für ihn arbeiten wirst.”
Luke nickte. Er sprach immer noch nicht. Es schien, als wäre das entschieden. Don und Becca hatten die Entscheidung für ihn getroffen.
„Ich liebe dich so sehr, Luke”, sagte sie ihm. „Ich bin so froh, dass dieses Militärleben vorbei ist.”
KAPITEL SECHS
3. Mai
7:15 Uhr (USA Eastern Daylight Zeit)
Hauptquartier des Spezialeinsatzteams
McLean, Virginia—Vorort von Washington, DC
„Ich glaube, ich habe da was für dich”, sagte Don Morris.
Sie saßen in Dons neuem Büro. Der Ort wurde gerade eingerichtet. Auf dem Schreibtisch standen Fotos von seiner Frau und den Kindern, gerahmte Schleifen und Kundmachungen verzierten die Wände. Der Schreibtisch selbst war eine große Eichenfläche. Auf ihr saß eine Telefonkonsole, ein Computermonitor, ein Handy, ein Satellitentelefon und ansonsten nicht viel. Don war kein großer Fan von Papierkram.
„Ein kleiner Einsatz. Du scheinst ein wenig unruhig, seit du hier bist. Das könnte die Unruhe heilen.”
Luke starrte ihn an. Es war fast als ob Don seine Gedanken gelesen hätte. Don hatte ihm einen Gefallen getan, indem er ihm einen Job gab. Luke wusste das. Es war wie ein Rettungsring, den man ihm zugeworfen hatte. Doch Luke drängte es schon weg. Seither waren es nur Wochen voller Herumsitzen und Gespräche. Luke war es langweilig. Das war in Ordnung. Es war nur deshalb gefährlich, weil er vielleicht verrückt würde, wenn es zu lange anhielt. Geheimdienst am Schreibtisch war nicht das Richtige für ihn. Das wurde ihm nur allzu klar.
„Ich bin ganz Ohr”, erwiderte Luke.
Don zeigte zu der offenen Tür. „Lass uns in den Gang heraustreten.”
Luke folgte Don den engen Gang zum hell erleuchteten Konferenzsaal auf der anderen Seite. Bis vor sechs Monaten war dieser kleine Bürokomplex noch ein Satellitenbüro des Wohnungs- und städtischen Entwicklungswesen. Don arbeitete daran, das Gebäude ein wenig ins einundzwanzigste Jahrhundert zu zerren.
Zu diesem Zweck hing ein großer, junger Typ mit einem Pferdeschwanz, der eine seltsame am Kopf anliegende Fliegerbrille trug, einen Flachbildschirm an einer Wand auf. Ein weiterer Bildschirm hing schon an der gegenüberliegenden Wand, Kabel zu einem Bedienfeld auf dem langen Konferenztisch. Der Typ trug ein rot, weiß und blaues T-Shirt, Jeans und rote, hohe Converse All-Star Turnschuhe.
Luke schaute ihn kaum an. Er nahm an, dass er ein Techniker einer Vertragsnehmeragentur der Regierung oder vielleicht ein Computerfreak irgendwo im FBI war.
„Luke, kennst du schon Mark Swann?” sagte Don und verdrängte gelassen diese Gedanken. „Er ist unser neuer Systemdesigner und -bediener und für unsere Geheimdienstnetzwerke, Internet, Satellitenverbindungen verantwortlich… Mark wird viele Aufgaben übernehmen, zumindest für eine Weile. Mark Swann, dies ist Agent Luke Stone. Luke ist unser erster Einsatzagent, doch wir werden bald ein paar weitere hinzufügen.”
Der Typ drehte sich um. Er war dünn. Er hatte dürre Beine. Auf seinem T-Shirt mit der amerikanischen Flagge stand „Wir sind Number 31!”
Der Typ und Luke blickten sich in die Augen. Luke musterte ihn schnell. Er war jung, vielleicht Anfang zwanzig - er sah sogar noch jünger aus. Er war selbstbewusst, fast schon arrogant. Er war intelligent. Er war in der Schule vielleicht schon ein Computerfreak gewesen. Er und Luke würden in verschiedenen Abteilungen sein. Dieser Typ befasste sich mit Ausstattung - nahm sie auseinander, setzte sie wieder zusammen und brachte sie zum Brummen. Er hatte wahrscheinlich noch nie an einem Moment Gewalt in seinem Leben teilgenommen und vermutlich keine erlebt.
Sie gaben sich die Hand.
„Wir sind also Nummer einunddreißig?” fragte Luke. „Wobei sind wir Nummer einunddreißig?”
Der Typ zuckte mit den Schultern und lächelte.
„Keine Ahnung, Mann. Vielleicht kannst du es erraten.”
Luke lachte fast.
„Ich kann es nicht erraten”, erwiderte er. „Vielleicht kannst du mir ein wenig auf die Sprünge helfen.”
„Gesundheitsversorgung”, antwortete der Typ. „Laut der Weltgesundheitsorganisation sind wir Nummer einunddreißig bei der Gesundheitsversorgung. Wir sind jedoch Nummer eins bei Gesundheitsversorgungskosten, falls du etwas suchst, auf das du stolz sein kannst.”
Luke hielt immer noch die Hand des Typen.
„Ich wäre stolz darauf, dir ein paar Knochen zu brechen und dann zu sehen, wie gut amerikanische Ärzte dich wich wieder zusammenflicken. Aber du würdest dich wahrscheinlich lieber in Mexiko behandeln lassen.”
Swann nahm beide seiner Hände zurück. „Kuba. Oder vielleicht auch Kanada.”
„Sehr nett, Mark”, sagte Don. „Ich bin mir sicher, dass Agent Stone sich darüber freut herauszufinden, dass er all diese Jahre seinen Hals für ein Land mit einer solch mittelmäßigen Gesundheitsversorgung riskiert hat.”
Don wies mit seinem Kopf auf die audiovisuellen Geräte hin. „Wie läuft’s?”
Mark nickte. „Der erste Bildschirm ist soweit. Hochauflösend, Hochgeschwindigkeitsverbindung. Sie können die Tastatur und den kleinen Bildschirm dort auf dem Tisch verwenden, und haben mit Ihrem Passwort Zugang auf jegliche unserer eigenen Archive. Sie können wählen, was Sie teilen möchten und es erscheint dann auf dem großen Bildschirm. Ich kann diese Genehmigung auch für alle anderen im Gebäude einrichten - ich wollte Sie Ihnen nur zuerst vorstellen, um herauszufinden, was Sie davon halten.”
Don nickte. „Sehr schön. Wie sieht es mit Besuchern aus? Und können wir Informationen auch mit anderen Standorten teilen?”
Der junge Mark Swann hielt seine Hände hoch, als ob er sagen wollte: Schieß nicht! „Das kommt noch. Doch bevor wir Geheiminformationen außerhalb des Gebäudes senden, brauchen wir eine luftdichte Datenverschlüsselung. Sie können alles e-mailen, was Sie wollen. Doch wenn es darum geht, Videos oder Daten, die anderswo erscheinen, hochzuladen oder Übertragungen hier herzubringen? Das geschieht auf einer Fall-zu-Fall-Basis mit jedem Partner. CIA, NSA, das Weiße Haus, falls notwendig, selbst das Hauptquartier des FBI. Die haben alle ihre eigenen Prozeduren und wir werden ihrem Protokoll folgen.”
Don nickte. „OK, Mark. Es gefällt mir jetzt schon. Können Sie Agent Stone und mir etwa zwanzig oder dreißig Minuten Zeit geben? Und Trudy Wellington hereinschicken?”
Swann nickte. „Klar.”
Als er ging, blickte Don Luke an.
„Komischer Junge”, sagte Luke.
„Schlaues Köpfchen”, erwiderte Don. „Es ist mein Ziel, hier nur die Besten anzustellen. Und wenn es darum geht, dann ist das nicht immer der Typ, dem der Anzug am besten steht. Was Technologie betrifft ist das für gewöhnlich nicht der Fall. Wir sind hier drinnen Cowboys, Luke. Wir sind die Kinder, die außerhalb der Linien malen. Das ist es, was sie von uns wollen. Der FBI Direktor hat es selbst gesagt.”
„Ich stehe auf deiner Seite”, sagte Luke.
„Das solltest du. Du bist einer der besten Einsatzagenten, die ich in meiner langen Karriere gesehen habe und was das außerhalb der Linien malen angeht… naja…”
Plötzlich erschien eine junge Frau in der Tür. Sie war womöglich noch jünger als der Typ, der gerade gegangen war. Don heuerte anscheinend nur Kinder an. Dieses Kind war allerdings schön. Sie hatte langes, lockiges, braunes Haar. Sie trug eine Bluse und Hosen, die ihre