Ein Mann kam aus der anderen Richtung. Der Mann war älter, doch breitgebaut und stark. Er ging gerade aufgerichtet mit einer militärischen Haltung, doch er trug Jeans und eine Lederjacke. Luke hatte ihn fast umgerannt, bevor er bemerkte, dass er ihn kannte.
„Luke”, sagte der Mann. „Wohin rennst du, mein Sohn?”
Luke hielt an. Er beugte sich vornüber und stützte sich mit den Händen auf den Knien ab. Sein Atem war kurz und abgehackt. Er kämpfte darum, seine Lungen zu füllen.
„Don”, sagte er. „Oh Mann, Don. Ich bin außer Form.”
Er stand auf. Er griff hinaus, um Don Morris’ Hand zu schütteln, doch Don zog ihn stattdesssen zu einer Umarmung heran. Es fühlte sich… Luke hatte keine Worte dafür. Don war wie ein Vater für ihn. Gefühle brodelten in ihm auf. Es fühlte sich sicher an. Es fühlte sich wie eine Erleichterung an. Es fühlte sich an als ob er für so lange Zeit Dinge in sich aufgestaut hätte, Dinge die Don intuitiv kannte, ohne dass man ihm etwas sagen musste. Eine Umarmung von Don Morris fühlte sich an wie Heimkommen.
Nach einem langen Moment ließen sie sich los.
„Was machst du hier?” sagte Luke.
Er dachte, dass Don aus Washington herunter nach Fort Bragg gekommen war, um sich mit den Vorgesetzten zu treffen, doch Don widerlegte diese Annahme mit nur einigen Worten.
„Ich bin gekommen, um dich abzuholen”, sagte er.
„Es ist ein gutes Angebot”, sagte Don. „Das beste, was du bekommen wirst.”
Sie fuhren durch die von Bäumen gesäumten Kopfsteinpflaster-Straßen der Stadtmitte von Fayetteville in einer unscheinbaren gemieteten Limousine. Don saß hinter dem Steuer, Luke auf dem Beifahrersitz. Leute saßen in offenen Cafés und Restaurants entlang des Bürgersteigs. Es war eine Militärstadt - viele der Leute auf der Straße waren gut durchtrainiert und gingen gerade.
Doch nicht nur waren sie gesund, sondern sie sahen auch glücklich aus. In diesem Moment konnte sich Luke nicht vorstellen, wie sich das anfühlte.
„Erkläre es mir nochmal”, sagte er.
„Du verlässt das Militär als Stabsfeldwebel. Ehrenhafte Entlassung, gültig ab Ende dieses Kalenderjahres, doch du kannst schon ab heute Nachmittag eine unbegrenzte Abwesenheitsgenehmigung bekommen. Die neue Bezahlung beginnt ab sofort und wird bis zur Entlassung durchgeführt. Dein Dienstbericht ist intakt und deine Kriegsveteranenpension und alle weiteren Vergütungen gültig.”
Es klang wie ein gutes Angebot. Doch Luke hatte bisher noch nicht erwägt, die Armee zu verlassen. Die ganze Zeit im Krankenhaus hatte er gehofft, dass er wieder zu seiner Einheit zurückkehren könnte. Hinter der Bühne hatte Don in der Zwischenzeit einen Austritt für ihn verhandelt.
„Und wenn ich dabeibleiben will?” fragte er.
Don zuckte mit den Schultern. „Du bist schon seit fast einem Monat im Krankenhaus. Die Berichte, die ich gelesen habe, zeigen, dass du wenig oder gar keinen Fortschritt bei der Therapie gemacht hast und man dich als nicht entgegenkommenden Patienten einschätzt.”
Er seufzte. „Die werden dich nicht wieder zurücknehmen, Luke. Die glauben, dass du beschädigt bist. Wenn du das Angebot, dass ich dir gerade beschrieben habe, ablehnst, dann werden die dich mit einer unfreiwilligen psychiatrischen Entlassung mit deinem derzeitigen Rang und der entsprechenden Bezahlung wegschicken, die Diagnose lautet posttraumatische Belastungsstörung. Ich glaube, ich muss dir nicht erklären, welche Chancen Männer mit einer Entlassung unter solchen Umständen haben.”
Luke dachte sich, dass nichts davon wie eine wirklich große Überraschung kam, doch es schmerzte ihn dennoch, es zu hören. Er wusste, wie es war. Die Armee erkannte nicht einmal formal die Existenz der Delta Force an. Die Mission war geheim - sie war nie geschehen. Er hatte also nicht gerade darauf gehofft, eine Medaille während einer öffentlichen Zeremonie zu bekommen. Man war nicht bei Delta wegen des Ruhms.
Er hatte zwar erwartet, dass man ihn ignorierte, doch er hatte nicht erwartet, zum alten Eisen geworfen zu werden. Er hatte der Armee viel von sich gegeben und sie waren bereit, ihn wegen einer schlechten Mission auf den Müll zu werfen. Es stimmte, die Mission war schlechter als schlecht gelaufen. Sie war ein Desaster, ein Debakel, doch das war nicht seine Schuld.
„Die schmeißen mich so oder so raus”, sagte er. „Ich kann leise gehen oder zetern.”
„So sieht’s aus”, erwiderte Don.
Luke seufzte schwer. Er schaute wie die Altstadt am Fenster vorbeirollte. Sie fuhren aus dem historischen Viertel heraus auf eine moderne Einkaufsstraße. Sie kamen ans Ende eines langen Häuserblocks und Don bog links auf den Parkplatz eines Burger King ab.
Das Zivilleben käme, ob das Luke gefiel oder nicht. Es war eine Welt, die er vierzehn Jahre zuvor verlassen hatte. Er hatte niemals erwartet, sie wiederzusehen. Was ging in dieser Welt vor sich?
Er beobachtete ein übergewichtiges junges Pärchen dabei, wie sie auf die Tür des Restaurants zuwatschelten.
„Was werde ich tun?” sagte Luke. „Nach dem Ende dieses Jahres? Welche Art von Ziviljob kann ich schon kriegen?”
„Ganz leicht”, antwortete Don. „Du wirst für mich arbeiten.”
Luke blickte ihn an.
Don parkte auf einem Platz weit hinten. Dort gab es keine weiteren Autos. „Das Spezialeinsatzteam ist soweit. Während du im Bett lagst und dir den Bauchnabel angeschaut hast, habe ich mit den Bürokraten gekämpft und den Papierkram erledigt. Ich habe die notwendige finanzielle Förderung, zumindest bis zum Ende des Jahres. Ich habe ein kleines Hauptquartier in der Vorstadt von Virginia, nicht weit von der CIA entfernt. Die malen jetzt gerade die Buchstaben auf die Tür. Ich habe das Gehör des FBI Direktors. Und ich habe - wenn auch nur kurz - mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten am Telefon gesprochen.”
Don stellte den Motor ab und schaute Luke an.
„Ich bin bereit, meinen ersten Agenten anzuheuern. Das bist du.”
Er wies mit dem Kopf auf ein großes Zeichen in der Nähe der Einfahrt zum Parkplatz hin. Luke blickte in die Richtung. Direkt unter dem Burger King Logo stand eine Reihe schwarzer Buchstaben auf weißem Hintergrund. Las man sie gemeinsam, so ergaben sie eine bittere Botschaft.
Angestellte gesucht. Weitere Informationen im Restaurant.
„Falls du keine Lust hast, mit mir zu arbeiten, gibt es bestimmt viele andere Möglichkeiten für dich da draußen.”
Luke schüttelte seinen Kopf. Dann lachte er.
„Das ist ein komischer Tag heute”, sagte er.
Don nickte. „Der wird gleich noch komischer. Hier ist eine weitere Überraschung. Dieses Mal ist es ein Geschenk. Ich wollte es dir nicht im Krankenhaus geben, weil Krankenhäuser furchtbare Orte sind. Besonders Veteranenkrankenhäuser.”
Vor dem Auto stand eine schöne junge Frau mit langem braunen Haar. Sie blickte Luke an, Tränen standen ihr in den Augen. Sie trug eine leichte Jacke, unter der sie ein Mama-Shirt trug. Die Frau war hochschwanger.
Mit Lukes Sohn.
Luke brauchte den Bruchteil einer Sekunde, um sie zu erkennen - das war etwas, dass er niemals jemandem gestehen würde, nicht einmal unter Folter. Sein Gehirn hatte die letzten Wochen über nicht richtig funktioniert und sie war fehl am Platz in diesem öden Parkplatz. Er hatte nicht erwartet, sie hier zu sehen. Ihre Anwesenheit war irreal, mysteriös.
Rebecca.
„Oh Gott”, brachte Luke heraus.
„Ja”, sagte Don. „Vielleicht willst du sie besser begrüßen, bevor sie jemand besseren findet. Hier dauert das bestimmt nicht lang.”
„Warum… warum hast du sie hier hergebracht?”
Don zuckte mit den Schultern. Er blickte sich auf dem Burger King Parkplatz um.
„Romantischer