»Darüber sollten wir doch mal diskutieren«, erwiderte Necheyev. Sie ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Dexter wusste nicht, ob er das in der jetzigen Situation gut oder schlecht finden sollte. »Das Oberkommando sollte bei der Einheit mit der taktischen Überlegenheit liegen. Die Anzahl meiner Einheiten übersteigt die der Skulls deutlich.«
Dexter sah ruckartig auf. »Darf ich das als Drohung verstehen?«
Necheyev wandte sich ihm mit starrer Miene zu. »Keineswegs. Nur als Tatsache. Wie gesagt, liegt die taktische Überlegenheit bei uns Condorianern. Darüber hinaus hat Präsident Saizew einen Kontrakt mit den Skulls geschlossen. Als rechtlicher Nachfolger werde ich diesen Kontrakt übernehmen, was Ihre Söldnereinheit immer noch zu einem Vertragspartner und Angestellten der Freien Republik Condor macht.«
Lennox Christian schnaubte, ersparte sich jedoch einen Kommentar. Oscar Sorenson war nicht so höflich. »Eine Nation, die nicht länger existiert. Mit der FRC sind auch alle Verbindlichkeiten und Kontrakte erloschen. Ich sehe mich an den Vertrag nicht länger gebunden.«
Necheyev stand aggressiv von ihrem Stuhl auf und stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte. »Solange auch nur noch ein Condorianer aufrecht steht, existiert die FRC noch. Wagen Sie es ja nicht, etwas anderes anzudeuten!«
Oscar hob versöhnlich beide Hände mit den Handflächen nach außen. »Nichts liegt mir ferner, als Sie zu beleidigen, Admiral. Aber unsere Heimat wurde okkupiert und die Menschen dort wissen es noch nicht einmal. Vor wenigen Tagen wurden wir von königlichen Schiffen gejagt und beschossen.«
Necheyev setzte sich. Ihr Gesicht zeigte ein Grinsen, das man eigentlich nur mit Gehässigkeit umschreiben konnte. »Daran erinnere ich mich noch gut«, meinte sie.
Jeder der Anwesenden wusste, worauf sie anspielte. Die condorianische Admiralin hatte zwei königliche Schiffe zerstört, was streng genommen nicht notwendig gewesen wäre. Diese zwei Besatzungen waren für das gestorben, was Condor angetan worden war. Es war Necheyev egal, ob die Royal Navy sich dessen bewusst war oder nicht. Es genügte ihr völlig, dass sie selbst es wusste. Ihr Grinsen verblasste etwas. »Warum sollte mich kümmern, was mit dem Königreich aktuell passiert?«
»Weil dieselben Menschen, die das Königreich jetzt kontrollieren, für den Untergang Condors verantwortlich sind«, sprang Melanie helfend ein. »Das sollte auch Ihnen genug sein.«
Die Spitze traf und Necheyev senkte nachdenklich das Haupt. »Gutes Argument«, gab sie schließlich zu. »Das erklärt aber immer noch nicht, warum Sorenson den Oberbefehl innehaben sollte und nicht ich.«
»Ganz einfach«, meinte Dexter, »die Skulls sind gut vernetzt, besitzen Kontakte und ein Netzwerk von Informanten im Königreich.«
Necheyev zog eine Augenbraue hoch. »Das hoffen Sie. Wir wissen nicht, wie viel von diesen Kontakten noch aktiv sind. Auf der Jagd nach dem Mörder des Königs hat der RIS sicherlich ganze Arbeit geleistet. Und was die von Ihren Netzwerken übrig gelassen haben, wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Zirkel eliminiert.«
Dexter biss sich leicht auf die Unterlippe. Die Frau hatte wirklich auf alles eine Antwort. Das Schlimme war, ihre Argumentation war leider nicht von der Hand zu weisen.
Es war schließlich Clayton Redburn, der den Ausschlag gab. Der uneheliche Sohn Saizews musterte Necheyev eindringlich. »Aber wir kennen die ganzen Hintergründe nicht. Wir wissen nicht, wie alles zusammenhängt. Die Vernichtung unserer Nation ist nur ein kleines Puzzleteil eines viel größeren Spiels um die Macht. Die Skulls sind darin bereits länger involviert als wir. Deshalb sollten sie auch eine Führungsrolle übernehmen.«
Necheyev rümpfte die Nase. »Sie sind nur der uneheliche Sohn meines toten Präsidenten. Von Ihnen nehme ich keine Befehle entgegen.«
Red blieb auch angesichts dieses offensichtlichen Angriffs gelassen. »Das war kein Befehl, sondern nur meine Meinung. Es hat keinen Sinn, die Führung zu beanspruchen, wenn man nicht weiß, wohin die Reise gehen soll. Wenn wir den Untergang Condors irgendwann rächen wollen, dann müssen wir den Skulls vertrauen und ihnen auf ihrem Weg folgen. So einfach ist das. Falls Sie mit dem Gedanken spielen, sich von den Söldnern zu trennen, dann ist das die beste Methode, uns alle in den Abgrund zu schicken. Wir können nur überleben, wenn wir zusammenhalten.«
Necheyev überlegte angestrengt. Sie suchte verzweifelt ein Argument, das ihr half, ihren Anspruch auf das Oberkommando durchzusetzen.
Oscar räusperte sich. »Wir müssen diese leidige Diskussion zu einem Ende bringen, um uns den wirklich wichtigen Dingen zu widmen. Falls Sie sich damit besser fühlen, dann wäre ich mit einem gemeinsamen Oberkommando einverstanden. Solange Sie einwilligen, dass im Zweifelsfall mein Wort vor Ihrem gilt und Ihre Leute bereitwillig meinen Befehlen folgen. Ist das akzeptabel?«
Necheyev überlegte erneut, schließlich nickte sie langsam. »Für Condors Wohl – meinetwegen.«
Red klatschte leicht in die Hände. Der Knall hallte in der aufkeimenden Stille jedoch unangenehm laut durch den Raum. »Na sehen Sie? War das so schwierig?«
Necheyev schenkte ihm lediglich einen bitterbösen Blick, der nach einem Augenblick allerdings von einem leichten Lächeln abgelöst wurde.
Red erwiderte es. »Denken Sie daran: Diese Menschen haben einen beträchtlichen Teil unserer Bevölkerung in Sicherheit gebracht. Das ist auch etwas wert und dafür schulden wir ihnen eine Menge.«
Necheyev presste die Lippen aufeinander, nickte dann jedoch. Die Sache war fürs Erste beigelegt.
Oscar seufzte erleichtert. »Nun, dann also zurück zu meiner Eingangsfrage: Was unternehmen wir jetzt?«
Dexter hatte sich schon eine Antwort zurechtgelegt, wusste aber, dass sie keinem der Anwesenden gefallen würde. »Das Königreich wird vom Zirkel kontrolliert«, erklärte er. »Um den Zirkel zu entmachten, müssen wir daher in Opposition zum Königreich gehen. Das ist unsere einzige Chance. Wir müssen das Königreich an den Verhandlungstisch zwingen. Und dazu ist es notwendig, Druck aufzubauen.«
»Und wie machen wir das?«, wollte Red wissen.
Dexter atmete einmal tief durch. »Indem wir eine neue Rebellion anzetteln.«
Mit einem Mal redeten alle am Tisch durcheinander. Dexter ließ sie gewähren. Er wusste, sein Vorschlag war ein radikaler Schritt, doch er sah nicht, welche Alternative ihnen blieb. Es kehrte nur langsam Ruhe ein. Nachdem alle wieder schwiegen, musterte Oscar ihn scharf. »Ist dir eigentlich klar, was du da von dir gibst?«
Dexter musterte seinen alten Freund und Weggefährten eindringlich. »Ich habe mir das nicht leicht gemacht, Oscar. Aber wir für uns allein … das reicht einfach nicht. Wir brauchen Leute, Schiffe, Waffen und vor allem Geld.«
Oscar wechselte Blicke mit allen Anwesenden, bevor er sich erneut Dexter zuwandte. »Und was soll das bringen?«
»Man muss uns zuhören. Das wird man aber nicht, solange wir keine Größe sind, mit der man rechnen muss.«
Lennox Christian runzelte die Stirn. »Falls Sie mich für diesen aberwitzigen Plan gewinnen – und das ist ein großes Falls –, wo bekommen wir all das überhaupt her: die Schiffe, die Leute, die Waffen und das Geld? Wir sind mittellos, falls Sie sich erinnern. Unsere Konten sind bestimmt längst eingefroren und beschlagnahmt.«
Dexter lächelte in dem Bewusstsein, dass sein nächster Vorschlag erneut einen Sturm der Entrüstung auslösen würde. »Wir befreien Jennifer Fischer aus dem Gefängnis.«
Erneut brandete heftiger Widerstand auf und die Offiziere redeten alle durcheinander. Oscar Sorenson ließ es aber nicht eskalieren. Er schlug mehrmals mit der flachen Hand auf die Tischplatte, bis wieder Ruhe einkehrte.
Mit fassungsloser Mimik wandte er sich Dexter zu. »Ist dir eigentlich klar, wovon du da redest? Die Frau hat die erste Rebellion