Heathens Ink: Mein Heiler. K.M. Neuhold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: K.M. Neuhold
Издательство: Bookwire
Серия: Heathens Ink
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238275
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ich haben uns bei meiner allerersten Tanzstunde kennengelernt, als ich acht Jahre alt war. Meine Eltern haben alles, was ihnen möglich war, getan, um mir auszureden, einen Tanzkurs zu besuchen. Aber ich war in einem Alter, in dem ich alles tun wollte, was Brianna tat, und sie wollte Ballettunterricht. Sie haben mir jede erdenkliche Alternative angeboten, von Bogenschießen bis hin zu Reiten. Geld und Zeit waren kein Problem. Aber ich hatte mich darauf eingeschossen, bei meiner Schwester zu bleiben.

      Es war mir egal, als sie mir sagten, dass keine anderen Jungs da sein würden und dass die Leute einen Jungen auslachen könnten, weil er Ballett tanzte. Ich wusste, was ich wollte, und ließ mich nicht davon abbringen.

      Sie lagen falsch damit, dass es dort keine anderen Jungs geben würde, aber nicht damit, dass ich über Jahre gehänselt wurde, weil ich tanzte. Nicht, dass es nur das Tanzen war, weswegen ich gehänselt wurde. Es war alles, von der femininen Art, wie ich gestikulierte und mich bewegte, bis hin zu der hübschen Kleidung, die ich gern trug.

      Als wir Teenager waren, fragte mich Clay, ob ich transgender wäre. Ich hab ihm gesagt, dass ich mich nicht wie ein Mädchen fühlte, sondern nur die Klamotten mochte, die sie tragen konnten. Und um ehrlich zu sein, wusste ich, dass ich mit Make-up verdammt sexy aussah.

      Auf dem College wurde mir klar, dass nicht nur reiche Schnösel und Dummköpfe Probleme damit hatten, wie ich mich anzog und verhielt. Wie sich herausstellte, können selbst schwule Männer untereinander sehr ablehnend und grausam sein.

      Ich habe all meine Seiden- und Spitzenwäsche in den hinteren Teil meines Kleiderschranks verbannt und mein Make-up weggeworfen. Ich habe mit dem Tanzen aufgehört und all meine Energie darauf verwendet, mich anzupassen und das Jurastudium durchzuziehen, um meine Eltern glücklich zu machen.

      Nur zwei Menschen haben gesehen, wie schmerzhaft es für mich war, den echten Beck so tief zu begraben. Nur zwei Menschen sahen, wie ich trank, um den Schmerz zu verbergen, und mich von Männern benutzen ließ, damit ich mich geschätzt fühlte. Clay und Bri waren die Einzigen, die mein wahres Ich nie aus den Augen verloren haben, selbst als sogar ich nicht mehr sicher war, wer ich war.

      »Oh mein Gott, im Heathens arbeiten die heißesten Tätowierer«, schwärmt Clay und reißt mich aus meinen Erinnerungen.

      Der attraktive, grüblerische Tattookünstler, der heute an mir gearbeitet hat, taucht vor meinem inneren Auge auf und ich spüre erneut, wie Verlegenheit in mir aufwallt. Mann, was war los mit mir, dass ich ihn so angemacht habe, obwohl er mir keinen Hinweis darauf gegeben hat, dass er interessiert war? Ich meine, sicher, er hat mich definitiv gemustert, als ich reingekommen bin, aber er hat sicher nur versucht herauszufinden, was mit mir los ist. Auch wenn ich heute meine normalen Klamotten angehabt hatte, hatte ich doch Make-up getragen.

      »Ja, der Typ, der mich tätowiert hat, hatte diese intensiven Augen, die mich einen Moment völlig aus dem Tritt gebracht haben. Ich hab ihn gefragt, ob er vergeben ist; es war so peinlich.«

      Clay lacht mich aus.

      »Wollen wir was trinken gehen, nachdem ich abgeschlossen habe?«, schlägt Clay for.

      »Darf ich es verschieben? Ich fühle mich heute irgendwie komisch.«

      »Natürlich, Süßer.« Clay drückt mir einen Kuss auf die Wange. »Versuch, morgen pünktlich zu sein.«

      »Warum sollte ich mich anstrengen, wenn ich meinen Boss um den kleinen Finger gewickelt habe?«, necke ich ihn zwinkernd.

      ***

      Seufzend lasse ich mich auf die Couch fallen.

      Da ich mich heute Abend einsam und ein wenig traurig fühle, greife ich nach meinem Handy, öffne meine Grindr-App und sehe mich ein wenig um. Es wäre schön, flachgelegt zu werden; es ist viel zu lange her.

      Während ich ein Profil mit den Bemerkungen keine Femmes oder nur maskulin nach dem anderen wegwische, knurre ich frustriert und werfe mein Handy weg.

      »Mann, Bri, warum hast du mich so sehr gedrängt, ich selbst zu sein. Das ist beschissen«, grummle ich meine leere Wohnung an. Na und, dann rede ich eben immer noch mit meiner toten Schwester. Mein Therapeut sagt, das wäre normal.

      Ich gehe ins Badezimmer, um mir das Gesicht zu waschen und es mir für einen aufregenden Abend allein vor dem Fernseher gemütlich zu machen.

      Ich öffnete die Musik-App auf meinem Handy und stelle die Zufallswiedergabe ein. Als zuerst das Lied Beautiful von Christina Aguilera gespielt wird, verdrehe ich die Augen.

      »Ernsthaft, Bri, du wählst Xtina, um deinen Standpunkt klarzumachen? Da stehst du doch drüber.« Ich drücke auf den kleinen Pfeil, um zum nächsten Lied zu wechseln. Es ist Unpretty von TLC und ich seufze gequält auf. »Du bist jetzt genauso penetrant wie zu Lebzeiten.«

      Erneut trifft mich die Einsamkeit mitten in die Brust.

      Ich hoffe immer noch, dass sich meine Seele irgendwann nicht mehr wie zerbrochen anfühlt, doch das scheint nie zu passieren. Ich weiß, dass Bri erst seit einem Jahr tot ist, aber es wäre toll, wenn ich aufhören könnte, nach meinem Handy zu greifen, um ihr zu schreiben.

      Kapitel 3

      Gage

      Während ich mit Officer Cas Bratton im Krankenhausflur stehe, werde ich das Bild von Nox' Gesicht, das durch den Sauerstoffmangel ganz blau war, nicht los. Oder wie sein Körper schlaff zu Boden gefallen ist.

      Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat, bis der Krankenwagen da war, aber es hat sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Ich konnte nur an den qualvollen Schmerz denken, den Menschen zu verlieren, den man am meisten liebt. Das durfte Adam nicht passieren. Niemand sollte das jemals fühlen müssen.

      Es ist schon schwer genug, die Tage nur mit Bruchstücken eines Herzens zu überstehen. Aber jetzt fühle ich mich entblößt und ungeschützt.

      Der Schorf wurde abgerissen, um eine Wunde freizulegen, die noch nicht verheilt ist, egal, wie viele Jahre vergangen sind.

      Ich bin wieder dort. Ich bin mit Johnnys Familie im Krankenhaus, mit Adam, und warte auf Nachrichten, obwohl ich es bereits weiß.

      Niemand erzählt dir das über den Tod eines geliebten Menschen. Irgendwie weißt du es einfach. Als Adam mich in dieser Nacht angerufen und gesagt hat, dass Johnny ins Krankenhaus gebracht worden war, hat sich ein flaues Gefühl in meinem Magen ausgebreitet und eine Stimme in meinem Hinterkopf hat mir gesagt, dass er tot war, bevor ich überhaupt wusste, was los war. Es war, als könnte ich sein Fehlen in dem Moment spüren, als es passierte.

      Adam kommt aus Nox' Zimmer, ein Gefühl erschöpfter Erleichterung dringt ihm aus jeder Pore. Ohne Vorwarnung kommt er auf mich zu und zieht mich in eine stürmische Umarmung.

      »Du hast ihm das Leben gerettet. Ich werde dir nie genug danken können. Ich weiß nicht, was ich getan hätte…«

      »Natürlich hab ich ihm geholfen. Du musst dich nicht bedanken.«

      »Es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe. Ich habe die Schuldgefühle so viele Jahre mit mir herumgetragen. Es war ein Teufelskreis. Mit jedem Tag, an dem ich dir nicht die Wahrheit gesagt habe, wurde es schwerer. Ich wollte dich nie verletzen.« Adams Stimme bricht am Ende und ich umarme ihn fester.

      Ja, ich war wütend und ja, ich war verletzt. Aber all das war jetzt nicht wichtig.

      »Ich weiß und ich hätte nicht sagen sollen, was ich gesagt habe. Es war unangebracht und ich habe es nicht einen Augenblick lang geglaubt. Ich war verletzt und hab um mich geschlagen. Nicht eine Sekunde habe ich je gedacht, dass du irgendeine Schuld an Johnnys Tod trägst.« Weil ich für Johnnys Tod verantwortlich bin. Wenn ich ein besserer Freund gewesen wäre, aufmerksamer, wenn ich nur gewusst hätte… Ich tätschele seinen Rücken. »Vergessen wir das. Ich liebe dich, Mann. Ich will, dass du glücklich bist und ich bin froh, dass du den richtigen Mann gefunden hast.«

      »Danke.«

      »Ich schätze, dass ich mir wohl besser eine andere Wohnung suche, hm?«, sage ich