Sie waren leicht und federnd, beinahe beschwingt. Derjenige machte sich keine Gedanken darüber, ungehört zu bleiben. Harte Absätze klackten auf dem steinernen Fußboden und ein leises Klimpern hallte durch die Gänge.
Babe lehnte sich mit der Schulter gegen eine Säule und verschränkte lässig ihre Füße, steckte jedoch einen Daumen in ihren Gürtel, nahe der halbautomatischen Pistole. Wolf presste seine Kiefer aufeinander und starrte auf den Eingang.
Eine Person trat um die Ecke.
Es war ein Mann, kaum größer als Wolf.
Er hatte dunkelblondes Haar – farblich irgendetwas zwischen Straßenköter und angelaufener Messingtürklinke. Auf der einen Seite waren sie bis auf wenige Millimeter abrasiert. Dort war eine angeschwärzte Eihwaz-Rune in den Schädelknochen gehämmert worden. Ihre zerbeulten Kanten waren von verästeltem Narbengewebe gesäumt und dünne, golden glänzende Kabellagen drangen von dessen Enden unter die Haut. Auf der anderen Kopfseite reichten die wirren Haare bis zu seinen Schlüsselbeinen. Einige Strähnen fielen in sein schmales Gesicht, was mit dem rauen Drei-Tage-Bart beinahe hager wirkte, jedoch verlieh ihm der caramelfarbene Teint eine gewisse Aristokratie.
Aus zwei schmalen Augen blickten ihnen braune Iriden überraschend lebhaft entgegen. Kleine Lachfalten an ihren Seiten zeugte von einem offenbar sonnigen Gemüt.
Der Kerl schien nicht im Geringsten über den unangemeldeten Besuch überrascht zu sein. Er trat selbstsicher in den Raum und lächelte so herzlich, als würde er alte Freunde zu einem gemütlichen Plausch erwarten.
In seine schweren, schwarzen Stiefel war eine ebenso schwarze, enge Hose gestopft. Sie hatte an den Seiten unzählige Schlaufen, in denen Kristalle, Metallplättchen, Glasphiolen, Skalpelle und andere alchemistische Handwerkszeuge hingen. Der Oberkörper war in breite, dunkle Stoffbahnen gewickelt. Ein ärmelloser, tiefroter Mantel flatterte hinter ihm her und reichte ihm bis zu den Knöcheln. Seine nackten Arme waren unter unzähligen Armbändern, Riemen, Stofffetzen und Ketten verborgen. Seine Silhouette wirkte dadurch seltsam deformiert, obwohl sich darunter ein schlanker Körper verbergen musste.
Jede Bewegung wurde von einem mehrstimmigen Klimpern begleitet, denn um seinen Hals hing eine unmöglich zu erfassende Menge von Amuletten. Manche von ihnen lagen eng an, andere baumelten ihm bis zum Nabel. Sie waren aus Leder, Silber, Gold, Kupfer, Holz und anderen Materialien. Keines glich dem anderen – und ihre Formen waren so fremdartig, dass Wolf nichts mit ihnen anzufangen wusste. Das Licht glänzte und flimmerte auf der Masse dieser seltsamen Schmuckstücke wie Sonnenlicht auf dem Ozean.
Schon ein kurzer Blick hätte Wolf gereicht, obwohl er noch nie so jemanden gesehen hatte.
Jeder kannte die Geschichten über Menschen wie diesen. Man erzählte sie sich im Rausch von Drogen, wenn das Herz voll trügerischen Mutes war. Man fürchtete sich bei solchen Worten in Momenten einsamer Dunkelheit in den Straßen.
Wolf fletschte sofort die Zähne und ging in Angriffsstellung. Seine Pranke legte sich auf den Griff seines Schwertes.
Trotz der Magie an diesem Ort und des furchterregenden Gefühls außerhalb der Pyramide, verstörte ihn dieser Mann noch viel mehr.
Er schien ihm leer. Es gab keinerlei Ausstrahlung, keine Magie, nichts. Es war, als existiere dort ein Loch in der Lebendigkeit der Schöpfung.
Wolf war sich ganz sicher. Er öffnete die Lippen und presste halb aggressiv, halb ängstlich das Wort hervor, was jedermann fürchtete – gleich nach den niemals gesehenen Engeln:
»Exorzist.«
Der Kopf des Mannes neigte sich zur Seite und ein warmes Lächeln zeigte sich auf seinem Antlitz. Er schloss kurz die Augen und nickte zustimmend.
Nekromanten waren schon nicht besonders beliebt, denn sie befassten sich mit dem Wesen des Lebens und des Todes. Dennoch waren ihre Künste eine Bereicherung, wenn sie wohldosiert angewendet wurden. Exorzisten arbeiteten mit der gleichen Magie, doch ihre Begabung war eine gänzlich andere. Weder gaben, noch nahmen sie – Exorzisten wischten hinfort. Der Unterschied war so subtil wie außerordentlich mächtig.
Es gab nur wenige dieser Begabten und der Schwarm hütete sie wie einen unliebsamen Schatz. Sie setzen diese Fähigkeiten vor allem zur Eindämmung von Magie ein. Das war ein wichtiger Punkt, vor allem bei Forschung und Energieerzeugung in den Megacitys der Welt. Ihre Kräfte waren der natürliche Feind aller Wissenschaft, Magie und des Lebens – und einem Halbwolf ging dieser Umstand selbstverständlich durch Mark und Bein.
Babe seufzte laut auf.
»Hab doch gewusst, dass du ihn nicht leiden kannst«, meinte sie, rührte sich jedoch auch nicht von der Stelle.
»Bist du völlig übergeschnappt?!«, bellte Wolf außer sich. »Ein engelsverdammter Exorzist? Kein Wunder, dass der Typ hinter einer Mauer aus Leichen eingesperrt ist! In einer verschissenen Pyramide! In einer engelverlassenen Ebene aus Silizium!«
»Tief durchatmen, Wolf«, sprach Babe ruhig und hob eine Hand. »Jetzt werd nicht gleich eine hysterische Dramaqueen.«
Wolf schnappte nach Luft und seine Augen glühten vor Zorn … und Furcht.
»Jetzt mal ganz entspannt«, mischte sich die weiche Stimme des Exorzisten ein. »Verratet mir doch bitte, wie ihr hier hereingekommen seid. Besuch habe ich äußerst selten und wenn ihr euch angekündigt hättet, wäre eventuell sogar etwas Staub gewischt.«
Wolfs Kopf ruckte zu ihm, Babes Blick ruhte ebenfalls auf dem Exorzisten. Er stand in gelassener Körperhaltung da, tippte sich neugierig mit dem Daumen gegen das stoppelige Kinn und … lächelte weiterhin entwaffnend herzlich. Sein Gesicht zeigte Heiterkeit und passte nicht im Geringsten zu der Umgebung, seinem düsteren Äußeren oder gar den nachgesagten Fertigkeiten.
»Wir haben so unsere Möglichkeiten«, erwiderte Babe und grinste süffisant. »Ah ja, Grüße von Wania.«
»Lebt der alte Geizknochen noch?«, fragte er amüsiert und lachte auf. »Die alte Krähe ist ganz schön zäh. Hätte nicht gedacht, dass sie sich mit dem Kombinat anlegen kann und das überlebt.«
»Sie hat so ihre Kniffe«, meinte Babe, schulterzuckend. »Hätte nicht vermutet, dass du mit ihr so eng warst.«
»Ach, als ob bei der noch irgendwas ...«, er winkte ab, die Armkettchen schepperten und Babe prustete vor Lachen. »Ich mag halt Enthusiasmus. Du bist also auch ein Eremit? Und dein Begleiter ist scheinbar ein Wandler, mh? Warum bist du hier in Tiergestalt? Wolltest du die Säulen markieren? Ich habe zuerst vermutet, dass ihr vom Schwarm seid, aber dafür seht ihr zu … interessant aus.«
Er musterte zuerst Babe, dann glitt sein Blick Wolfs Körper hinab. Der Exorzist legte den Kopf schräg, sagte jedoch nichts weiter.
»Was macht ein Exorzist an diesem Ort? Ist das ein Gefängnis?«, fragte Wolf und schluckte den bissigen Kommentar bezüglich des Markierens hinunter – man sollte es sich mit so jemandem schließlich nicht gleich völlig verscherzen.
»Ach was, ich kann hier kommen und gehen, wie ich will. Das ist nur mein Job«, antwortete er und nickte zu den Steinkästen. »Ich bin für das Recycling zuständig. Der Schwarm kümmert sich stets um seinen Abfall.«
»Nette Umschreibung«, murmelte Babe und schnalzte mit der Zunge.
Da steckt doch mehr dahinter, dachte Wolf. Babe hat mehr Informationen zu ihm.
»Wollt ihr den doofen Wolf nicht aufklären?«, murrte er.
»Ach, dazu gibt es nicht viel zu sagen«, begann der Exorzist, schlug seine Hände zusammen und lächelte breit. »Wie gesagt, ich recycle. Aus Alt mach Neu – na ja, aus nutzlos mach nützlich, wäre wohl besser ausgedrückt. Ich kümmere mich um die Verstorbenen. Die Überreste brauchen viel zu viel Platz, natürliche Verwesung zu viel Zeit, den Kram zu verbrennen zu viel Energie und so weiter. Absolut ineffizient und ein Dorn im Nagelbett, sozusagen.«
»Du … recycelst … Tote?«, ächzte Wolf und glotzte Babe völlig fassungslos von der Seite an.
Was