Teil 3: Matrix Revolutions (2003)
Mobil Ave: die indische Familie
Hel Club, oder: Kausalität versus Glaube
Anflug auf die Felder, Angriff der Wächter und Trinitys Tod
Neos Angebot und der „Urschmerz“ der KIs
»Es ist vollbracht«: Neos Tod und Reboot der Matrix
Für
K. M. W.
Wann hört sie auf, des wilden Glühens Plage,
Bezauberin gefallener Seraphim?
Lass ruhn den Zauber längst vergangener Tage.
Blick deiner Augen setzte Mannes Herz in Flammen.
Sage,
Lebt anderes als dein Wille noch in ihm?
Wann hört sie auf, des wilden Glühens Plage?
(James Joyce, 1916)
Vorwort
Unter Freunden der Matrix-Trilogie ist folgendes Muster weit verbreitet: The Matrix wird heiß geliebt, Matrix Reloaded – trotz zahlreicher Höhepunkte – weniger, Matrix Revolutions noch weniger. Trennt man nicht auf diese Weise und betrachtet das Matrix-Projekt als Ganzheit, können Reloaded und Revolutions jedoch Boden gutmachen. Die vorliegende Untersuchung ist in diesem Geist verfasst, unbeirrt von der Tatsache, dass die (allgemein als sehr überraschend empfundene) Realisierung eines vierten Matrix-Filmes mit Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss im Gange ist.
Erwartungsgemäß liegt aus dem angloamerikanischen Raum viel umfangreichere Sekundärliteratur vor als im deutschsprachigen. Dort etablierte Begriffe wie Matricians und Zionites wurden als Vorlage für Eindeutschungen verwendet (also »Matrizianer« und »Zioniten«), während anderes wie Redpiller und Bluepiller im Text unverändert bleibt. Auch bei Filmzitaten ist nicht konsequent das englische Original wiedergegeben; es wird davon ausgegangen, dass der neugierige Leser seine DVDs oder sonstigen Wiedergabesysteme „in Reichweite“ hat und den Vergleich selbst vornehmen kann. Generell folgt der Kapitelaufbau recht genau dem Ablauf der drei Filmhandlungen, wobei zahlreiche inhaltliche Vorgriffe oder Rückblenden argumentativ unvermeidlich waren.
Eine große Bürde für ein Buchprojekt wie dieses besteht in den unüberblickbaren Internetquellen, vor allem den intensiv betriebenen Diskussionsseiten der „ersten Stunde“, welche mittlerweile aus dem Net verschwunden beziehungsweise nur noch über wayback-Funktionen zugänglich sind. Es wurde darauf verzichtet diesen schwer zugänglichen Quellen im Einzelnen nachzuspüren; folglich ist nicht auszuschließen, dass viele der hier als „neu“ dargestellten Gedanken in irgendwelchen längst verschütteten Forumsdiskussionen vor sich hin schlummern. Für die Gesamtheit der vorgelegten Untersuchung jedoch hofft der Verfasser, gewisse Originalität für sich beanspruchen zu können.
T. S., März 2020
Einleitung
Wenn Peter Bogdanovich in seinem 1968 gedrehten Debüt Targets die Klage ausstößt, alle guten Filme seien bereits gemacht worden, wirkt dies ausgesprochen vergnüglich: jedenfalls dann, wenn man bedenkt, dass im selben Jahr Stanley Kubrick mit 2001 ein Vorstoß in neue cineastische Dimensionen gelang. Gut drei Jahrzehnte später glückte Larry und Andy Wachowski ein solcher Wurf mit The Matrix; der Film gilt als unbestrittener Meilenstein der Filmgeschichte. Nicht wenige Kinofreunde sind der Ansicht, dass den Wachowskis mit The Matrix der Film des Jahrhunderts gelang (kurz vor Ultimo, sozusagen: Premiere war am 31.3.1999). Und den überzeugtesten Anhängern dürfte es kaum schwerfallen, The Matrix (wenn nicht gar die gesamte Trilogie, vollendet 2003 mit Matrix Reloaded und Matrix Revolutions) in der Welt des Spielfilms dort anzusiedeln, wo man in der Belletristik Ulysses verortet.1
Gegenstimmen und Euphoriekiller freilich lassen sich ebenso benennen. Seeßlen (2003, S.112) erinnert wie folgt an zeitgenössische „Expertenmeinungen“:
»Die etablierte amerikanische Filmkritik wurde von THE MATRIX definitiv auf dem falschen Fuß erwischt (aber steht sie nicht ohnehin seit geraumer Zeit selten auf dem richtigen?). Sowohl in Time wie in Newsweek fanden sich eher gelangweilte Rezensionen (…). Der Hollywood Reporter sprach davon, dass die Story in THE MATRIX den Spezialeffekten eins zu zehn unterlegen sei. Wenige Wochen später mussten die Blätter andere Schreiber daran setzen, den überraschenden Erfolg und das soziale Phänomen MATRIX zu erklären.«
Dass mit der Erklärung des »sozialen Phänomens« noch lange kein Lob verbunden sein muss, zeigt exemplarisch Hurka (2004, S.240):
»Matrix ist ein Gewalt- und Dämonisierungsfilm, der wie die Masse filmischen Outputs auf einer dualistischen Gut-Böse-Struktur basiert. Ein zum kämpfenden Helden codierter Opferselektor ist auf angebliche Mächte des Bösen angesetzt und vernichtet in einer Showdown-Sequenz (s)einen Widersacher, den Träger des Bösen. (…) Indessen handelt es sich, weil der Ausgang dieses immergleichen Kampfes in den Filmen von vornherein feststeht, um einen Scheinkampf, der von der Story zum anregenden Katz- und Mausspiel ausgespannt wird. (…) Ist aber, was das Publikum immer schon weiß, die Überlegenheit des guten Kontrahenten prästabilisiert, dann ist der Tod der Negativfigur nicht das Resultat eines Kampfes, sondern einer Hinrichtung.«
Berücksichtigt man nur The Matrix, also Teil 1 der Trilogie, so wäre gegen diese Betrachtungsweise wenig einzuwenden (Brin 2003 formuliert für den Auftaktfilm ähnliche Vorbehalte und spricht ebd. S.168 ebenfalls vom »Drang, einen dämonisierten Feind zu vernichten«). Doch schon vor dem Hintergrund aller drei Filme erhält sie Risse, und denjenigen, die The Matrix als Beginn eines multimedialen Projektes der Wachowskis kennen, fällt Widerspruch sehr leicht. Noch