Metamorphosen. Ovid. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ovid
Издательство: Bookwire
Серия: Reclam Taschenbuch
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783159608006
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sie die Gier nach Beute. ›Ich werde es dennoch nicht zulassen, daß dieses Schiff durch eine so heilige Fracht mit Fluch beladen wird‹, sprach ich, ›hier habe ich am meisten zu sagen.‹ Am Eingang trete ich ihnen entgegen.

      Es tobt der verwegenste von allen, Lycabas, der aus einer tuskischen Stadt vertrieben [625] und für einen gräßlichen Mord mit Verbannung bestraft worden war. Mit seiner männlichen Faust zerschlug mir dieser beinahe die Kehle, während ich Widerstand leistete. Und er hätte mich mit einem Schlag ins Meer hinausgeschleudert, wäre ich nicht trotz meiner Besinnungslosigkeit im Tauwerk hängengeblieben. Die gottlose Schar heißt die Untat gut; da endlich sprach Bacchus [630] – Bacchus war es nämlich –, als wäre er durch das Geschrei aus dem Schlaf gerissen worden und käme nach einem Rausch wieder zur Besinnung: ›Was tut ihr? Was ist das für ein Geschrei? Und sagt, ihr Seeleute: Wie bin ich hierher geraten? Wohin wollt ihr mich bringen?‹ – ›Hab keine Angst‹, versetzte Proreus. ›Sag, welchen Hafen du erreichen willst! [635] Wir werden dich in dem Land absetzen, das du dir wünschst.‹

      Liber sprach: ›Nehmt Kurs auf Naxos! Das ist meine Heimat; euch wird das Land gastlich aufnehmen.‹ Die Betrüger schwören bei dem Meer und bei allen Göttern, so werde es geschehen, und befehlen mir, am bunten Schiff die Segel schwellen zu lassen. [640] Naxos lag rechts. Als ich nach Steuerbord segelte, flüstert jeder um die Wette: ›Was tust du, Rasender? Welcher Wahnsinn hat dich gepackt, Acoetes?‹ – ›Fahr nach links‹, geben die meisten mir durch Winken zu verstehen, andere zischeln mir ins Ohr, was sie wünschen. Ich erstarrte und sprach: ›Ein anderer soll das Steuer übernehmen!‹ [645] Und ich gab mein Handwerk auf, um nicht am Frevel mitzuwirken. Alle schelten mich, die ganze Mannschaft murrt. Einer von ihnen, Aethalion, spricht: ›Auf dir allein beruht offenbar unser ganzes Heil.‹ Er löst mich ab und erfüllt meine Aufgabe, läßt Naxos hinter sich liegen und schlägt den entgegengesetzten Kurs ein.

      [650] Da treibt der Gott mit ihnen sein Spiel; als habe er eben erst den Betrug bemerkt, blickt er vom gekrümmten Heck in die Ferne übers Meer und spricht, als weine er: ›Schiffsleute, nicht diese Küste habt ihr mir versprochen, nicht dieses Land habe ich mir gewünscht. Womit habe ich diese Strafe verdient? Welchen Ruhm bringt es euch, [655] wenn ihr als Männer einen Knaben, wenn ihr zu mehreren einen einzelnen hintergeht?‹ Ich weinte schon lange. Die gottlose Schar lacht über unsere Tränen und peitscht mit hastigen Ruderschlägen das Meer. Bei ihm selbst schwöre ich dir nun – denn kein Gott ist so nahe wie er –, daß meine Erzählung ebenso wahr ist, [660] wie sie unwahrscheinlich klingt: Es blieb das Schiff im Meer stehen, nicht anders, als befände es sich auf einer trockenen Werft. Sie staunen; doch unbeirrt lassen sie die Ruder auf die See niedersausen, setzen volle Segel und versuchen so, mit zweifachem Antrieb zu fahren. Doch da behindert Efeu die Ruder; mit biegsamen Ranken kriecht er weiter [665] und schmückt die Segel mit schwellenden Dolden. Der Gott selbst, die Stirn mit beerenreichen Trauben umkränzt, schwingt den Stab, der mit Weinlaub umschlungen ist. Rings um ihn ruhen Tiger, Trugbilder von Luchsen und die wilden Gestalten gefleckter Panther.

      [670] Da sprangen die Männer auf; trieb sie Raserei oder der Schrecken dazu an? Und als erster begann Medon am Körper schwarz zu werden; sein Rückgrat drückte sich nach außen und krümmte sich zu einem Bogen. Lycabas beginnt, zu ihm zu sprechen: ›In was für ein Wundertier verwandelst du dich?‹ Und indem er noch redete, war sein Maul breit und seine Nase eingedrückt; [675] die Haut war hart geworden und bekam Schuppen. Doch während Libys die Ruder, die sich sträubten, zum Schiffsrumpf drehen wollte, sah er, daß seine Hände plötzlich auf ein kleineres Maß zusammenschrumpften und daß es keine Hände mehr waren, daß man sie schon Flossen nennen konnte. Ein anderer, der seine Arme zu den gedrehten Tauen strecken wollte, [680] hatte keine Arme mehr und sprang gebogen und mit armlosem Körper in die Wellen; die Schwanzspitze ist sichelförmig, wie sich die Hörner des Halbmondes krümmen. Von allen Seiten machen sie Sprünge, triefen vom reichlichen Sprühregen, tauchen wieder auf, kehren unters Wasser zurück, [685] tummeln sich wie in einem Reigentanz, schnellen spielerisch empor, ziehen Meerwasser ein und blasen es aus den weiten Nasenlöchern. Von eben noch zwanzig – denn so viele konnte das Schiff tragen – war ich allein übrig. In kaltem Entsetzen zitterte ich am ganzen Leibe und war kaum mehr meiner Sinne mächtig. Da stärkt mich der Gott und spricht: [690] ›Verbanne die Furcht aus deinem Herzen und halte Kurs auf Dia.‹ Nachdem der Wind mich dorthin getragen hatte, bin ich den Bacchusmysterien beigetreten und besuche sie regelmäßig.«

      Pentheus (II)

      »Wir haben«, sprach Pentheus, »lange Umschweife angehört, so daß der Zorn durch die lange Zeit hätte verrauchen können. Ihr Diener, packt ihn schleunigst, [695] foltert ihn gräßlich und schickt ihn dann hinab in die stygische Nacht!« Alsbald wird der Tyrrhener Acoetes hinweggeschleppt und in festen Gewahrsam genommen. Während man Eisen und Feuer als grausame Marterwerkzeuge vorbereitet, um ihn damit, wie befohlen, zu Tode zu quälen, öffneten sich die Tore von selbst – so heißt es –, und die Ketten glitten ihm, [700] ohne daß jemand sie löste, von den Schultern.

      Doch Echions Sohn bleibt verstockt. Er schickt nicht mehr andere, sondern er geht selbst dorthin, wo der Cithaeron, den man zum Ort der Mysterienfeier erkoren hatte, von Gesängen und den hellen Stimmen der Bacchantinnen widerhallte. Wie ein feuriges Pferd schnaubt und Lust bekommt, in die Schlacht zu ziehen, [705] wenn der Kriegstrompeter mit dem klangvollen Erz das Signal gegeben hat, so wurde Pentheus erregt, weil langgezogenes Geheul den Äther erschütterte, und beim Anhören des Geschreis flammte sein Zorn wieder auf. Etwa auf halber Höhe des Berges liegt, rings von Wald umschlossen, ein Feld ohne Bäume, das von allen Seiten sichtbar ist. [710] Hier sieht Pentheus das Heilige mit unheiligen Augen. Als erste erblickt ihn dabei die Mutter. Als erste ist sie, vom Wahnsinn getrieben, auf ihn zugestürzt, als erste hat sie ihren Pentheus mit dem Thyrsus verwundet und gerufen: »Ihr zwei Schwestern, kommt herbei! Den Eber, der in Riesengestalt auf unseren Feldern umherstreift, [715] den Eber muß ich erlegen.« Die ganze Schar wirft sich rasend auf den einen Mann. Alle schließen sich zusammen und folgen dem Ängstlichen. Ja, schon hat er Angst, schon spricht er weniger gewalttätige Worte, schon verurteilt er sich selbst, schon bekennt er, daß er sich versündigt hat. Er war verwundet, doch rief er noch: »Hilf mir, Autonoe, Schwester meiner Mutter! [720] Laß dich in deinem Zorn erweichen durch Actaeons Schatten!« Sie weiß nicht mehr, wer Actaeon ist, und reißt dem Bittenden den rechten Arm ab, den anderen zerfetzt Ino mit heftigem Ruck. Der Unselige hat keine Arme mehr, um sie seiner Mutter entgegenzustrecken, doch zeigt er ihr die verstümmelten Wunden ohne die am Boden liegenden Glieder. [725] »Sieh mich an, Mutter.« Bei dem Anblick heulte Agaue auf, warf den Kopf in den Nacken und ließ das Haar im Winde flattern. Das abgerissene Haupt mit blutigen Fingern umklammernd, ruft sie: »Hurra, meine Gefährtinnen, dieses Werk habe ich siegreich vollbracht.« Schneller reißt kein Wind vom hohen Baume das Laub, das, vom herbstlichen Frost angegriffen, [730] kaum noch an den Zweigen haftet: So rasch wurden die Glieder des Mannes von frevelnden Händen zerrissen.

      Mit diesem abschreckenden Beispiel vor Augen besuchen die Frauen vom Ismenus eifrig die neuen Mysterien und opfern Weihrauch an heiligen Altären.

      Viertes Buch

      Die Minyastöchter (I)

      Doch Minyas’ Tochter Alcithoe weigert sich, die Weihen des Gottes anzunehmen; verwegen leugnet sie immer noch, daß Bacchus Iuppiters Sohn ist. Ihre Schwestern teilen ihre gottlose Gesinnung. Der Priester hatte geboten, das Fest zu feiern. [5] Dienerinnen und Herrinnen sollten die Arbeit ruhen lassen, sich die Brust mit Fellen bedecken, die Binden am Haar lösen, Kränze aufs Haupt setzen und belaubte Thyrsusstäbe in die Hand nehmen. Er hatte auch prophezeit, wenn man die Gottheit beleidige, werde ihr Zorn furchtbar sein. Mütter und Schwiegertöchter gehorchen, [10] legen Gewebe, Wollkörbchen und Spinnarbeit unfertig beiseite, opfern Weihrauch und rufen den Gott als Bacchus an, als Bromius, Lyaeus, den Feuererzeugten, zweimal Entstandenen, allein von zwei Müttern Geborenen, dazu Nyseus, Thyoneus mit langem Haar, Lenaeus, Stifter der herzerquickenden Traube, [15] Nyctelius, Vater Eleleus, Iacchus, Euhan und mit den zahlreichen Namen, die du sonst noch bei den griechischen Stämmen trägst, Liber! Hast du doch unerschöpfliche Jugend, bleibst ewig ein Knabe, oben im Himmel bist du als der Schönste