»Weil es sein Naturell war. Kein Mensch kann über seinen Schatten springen.«
»Aber er hat sich und Sie auch um so vieles gebracht.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das dürfen Sie nicht so sehen …, wenn wir uns nicht begegnet wären, hätten wir nicht das Wunder dieser späten Liebe erlebt. Wir haben diese Liebe genossen und waren dankbar für jeden Augenblick, den wir miteinander verbringen konnten. Wir waren uns aber auch nahe, wenn wir nicht beisammen waren. Hermann und ich waren Seelenpartner …«, jetzt war sie es, die nicht weitersprechen konnte, weil sie von ihren Gefühlen überwältigt worden war. Und diesmal nahm Bettina sie in die Arme.
Zwischen ihnen war eine merkwürdige Verbundenheit, sie verstanden sich ohne Worte, weil der Berührungspunkt zwischen ihnen ein Mensch war, den sie beide sehr geliebt hatten, jede von ihnen auf ihre Weise.
Eine Friedhofsbesucherin ging grüßend an ihnen vorbei und brachte sie in die Gegenwart zurück.
»Tja, dann werde ich jetzt wohl aufbrechen«, sagte Christina von Orthen.
»Frau Dr. von Orthen, jetzt, wo ich das von Papa und Ihnen weiß …, möchten Sie nicht etwas als Erinnerung mitnehmen? Sie können sich aussuchen, was Sie möchten …, vielleicht sogar Papas Sessel aus dem Bootshaus?«
Sie hatte sich erinnert, mit welcher Ehrfurcht Frau Dr. von Orthen sich in diesen Sessel gesetzt hatte, wie behutsam ihre Hände über die Lehnen geglitten waren.
»Danke, das ist lieb, Bettina. Aber ich brauche keine Erinnerungen dieser Art. Ich habe Hermann im Herzen, und dort wird er immer bleiben, dieser wunderbare Mann, die Liebe meines Lebens.«
Sie sprach so wunderbar über ihren Vater, dabei war er doch eigentlich feige gewesen, sich nicht zu seiner Liebe zu bekennen. Fünf Jahre hatte es gebraucht, bis er endlich den Entschluss gefasst hatte, Christina von Orthen zu heiraten. Und dann war es zu spät gewesen, da hatte das Schicksal eingegriffen. Ihr Vater wusste nichts mehr davon, aber die Frau seines Herzens würde es mit sich herumtragen müssen, dass seine Zögerlichkeit sie um ein gemeinsames Glück gebracht hatte.
»Und Sie sind nicht sauer auf Papa, weil er so gezögert hat?«
»Nein …, ich habe ihn einfach nur geliebt so wie er war, mit all seinen Stärken und all seinen Schwächen. Niemand ist vollkommen, und man muss abwägen, was wichtig ist … kein anderer Mann hätte mir diese aufrichtige Liebe schenken können, keinem anderen hätte ich mich so verbunden gefühlt … Ach, ich muss es Ihnen doch noch sagen, Sie wissen, wie wunderbar Ihr Vater war.«
Sie stand auf.
»Ich wollte Sie nicht verwirren, aber wer weiß … Vielleicht musste es ja auch so kommen. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute, und bleiben Sie so, wie Sie sind … Sie gleichen im übrigen nicht nur äußerlich ihrem Vater. Sie haben auch viel von seinem Wesen, seinem Charakter geerbt.«
Bettina wurde geradezu panisch.
»Sie können doch jetzt nicht gehen, Frau Dr. von Orthen, nicht jetzt, wo wir uns …, ich meine, wo ich erfahren habe, dass Sie und Papa …, ich meine …, wir müssen uns unterhalten. Können Sie nicht bleiben? Mir alles erzählen?«
»Bettina, was wichtig ist, habe ich Ihnen erzählt. Alles weitere wären nur Worte … Manches kann man auch zerreden. Behalten Sie einfach nur als Erinnerung, dass Ihr Vater ein ganz besonderer Mann war und dass er und ich unendlich glücklich miteinander waren, auch wenn wir nicht so sehr viel Zeit miteinander verbringen konnten. Aber wissen Sie, es kommt bei Gefühlen nicht auf die Quantität an, sondern auf die Qualität …«, sie reichte Bettina die Hand, »leben Sie wohl, und halten Sie das Glück fest, wenn es bei Ihnen anklopft.«
Bettina wusste, dass es keinen Sinn machen würde, jetzt noch weiter zu drängen. Sie stand auf und nahm Christina von Orthen ganz spontan in den Arm.
»Danke für Ihre Offenheit, und danke, dass Sie meinen Papa glücklich gemacht haben.«
Tränen verschleierten ihren Blick, ihre Stimme versagte.
Christina von Orthen strich ihr über das Haar, dann ging sie davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Bettina sank auf die Bank zurück und starrte hinüber auf das Grab, auf dem wie ein leuchtendes Mal die rote Rose lag.
»Papa, warum hast du es mir nicht gesagt? Wir waren uns doch so sehr verbunden. Ich hätte mich so sehr für dich gefreut, und ich hätte schon dafür gesorgt, dass du dich für die Liebe und nicht für die Pflicht entschieden hättest.«
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