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Am nächsten Morgen machte Sadie sich auf den Weg. Sie hatte sich rausgeschlichen, um Jim nicht zu wecken, der schnarchend auf seinem Sessel hing. Es war unwahrscheinlich, dass er sich in diesem Zustand um einen neuen Job bemühen würde. Egal, dachte Sadie. Alles egal. Ihr Pferdeschwanz wippte, als sie in das Dorf zur Bushaltestelle lief. Sie hatte ein leichtes Make-up aufgelegt, um die Schatten unter ihren Augen zu vertuschen. Angetan mit einem T-Shirt, knielangem Rock und bequemen Sandalen, stieg sie in den Bus, der sie in die Stadt zur »Brennnessel« brachte.
Diese war bereits geöffnet, die ersten Gäste saßen auf den hohen Hockern vor dem Tresen und grinsten sie erwartungsvoll an. Sadie studierte die kleine Speisekarte mit Currywurst, Pommes und verschiedenen Sandwiches, dann ließ sie sich die Kasse erklären, fragte, welche Tische sie übernehmen solle und legte los. Denn letzten Endes lief es überall ähnlich ab. Sadie fand sich schnell zurecht und war nach einer Stunde in ihrem Element. Sie nahm Bestellungen auf, brachte Getränke und Snacks, lächelte freundlich, kassierte ab und wischte regelmäßig mit einem Lappen über die Tische. Als sie nach vier Stunden Wirbelns ihre letzte Bestellung aufnahm, bevor sie an eine Kollegin übergeben sollte, stutzte sie und vergaß zu atmen. Ein Paar graublaue Augen blickten sie lächelnd an, und jetzt wusste sie wieder, zu wem sie gehörten. Dieser Typ aus dem Wald musste sie verfolgt haben, anders konnte sie sich ihr erneutes Zusammentreffen nicht erklären. Er bestellte einen Kaffee, lächelte unglaublich, als sie das Gewünschte brachte und ihn bat, gleich abkassieren zu dürfen, weil ihre Schicht hier zu Ende sei. Sein großzügiges Trinkgeld machte sie noch verlegener, und erleichtert vernahm sie von dem Wirt, dass er zufrieden sei und sie bereits am nächsten Tag fest anfangen könne. Endlich konnte sie flüchten vor diesen Augen, die ihr Innerstes zum Prickeln brachten und sie zu verfolgen schienen.
Schnell trat sie aus der Tür und wandte sich nach links, zur Bushaltestelle, nur um festzustellen, dass der nächste Bus erst in einer halben Stunde abfahren würde. Sie wollte aber nicht an der Haltestelle warten wie bestellt und nicht abgeholt, deshalb irrte sie ziellos durch die Stadt, um sich wieder zu beruhigen und sich nüchtern die Frage zu stellen, was eigentlich mit ihr los war. Die Antwort hatte sie zwar auch nach einer halben Stunde nicht mehr, aber immerhin hatte sie einiges von der Stadt gesehen, die sie noch nicht kannte. Erleichternd aufseufzend sank sie im Bus in die Polsterung des Sitzes und ließ sich in das Dorf kutschieren, das für die nächste Zeit ihre Heimat sein würde. Fragte sich nur, wie lange, dachte sie traurig, als sie ausstieg und zum Campingplatz spazierte. Jim war wach und übel gelaunt, wahrscheinlich vor Schuldgefühlen, weil er sie gestern einfach überrollt hatte mit seiner Lust. Dann wurde er meistens besonders ungemütlich, und Sadie ließ ihn in Ruhe. Lieber machte sie einen weiteren Spaziergang.
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Die folgenden Tage waren mit Arbeit angefüllt. Der Wirt war so zufrieden mit Sadie, dass er sie öfter anforderte, als er ursprünglich vorgehabt hatte. Er hatte gemerkt, dass manche Gäste explizit wegen ihr wiederkamen und fand, wenn er nun eine so hübsche Kellnerin hatte, lohnte es sich auf jeden Fall, sie öfter einzusetzen – und sein Umsatz stieg. Sadie dagegen bewältigte die Arbeit zwar mühelos, wusste aber abends oft nicht, wo ihr der Kopf stand. Trotzdem war sie sehr zufrieden mit den Trinkgeldern, die die Männer ihr mit einem einladenden Lächeln zusteckten. Sie blieb dann professionell, lächelte freundlich zurück und bedankte sich artig. Einmal hatte sie erlebt, dass ein Kerl versucht hatte, ihren Hintern zu tätscheln. Sie hatte ihn scharf angesehen und sehr laut gesagt: »Sir, das ist nicht im Preis inbegriffen. Nehmen Sie Ihre Hände weg.« Ziemlich verlegen und mit rotem Gesicht verließ der Mann den Raum. Sadie war es egal, ob er wiederkam. Es gab genug andere, die diese und eine weitere Szene beobachtet hatten und sich hüteten, ihr zu nahe zu kommen. Denn Sadie brachte es fertig, plötzlich sehr ungeschickt zu werden und Getränke oder Essen über den zudringlichen Gast zu schütten, um dann ungerührt zu erklären: »Tut mir leid, Sir, Sie haben mich angefasst, da kann so etwas schon einmal passieren.« Die wenigen Frauen, die das mitbekamen, schmunzelten dann und gifteten eher ihre Männer an, wenn deren Augen zu offensichtlich an Sadie klebten, statt zu der hübschen Kellnerin vor Eifersucht unfreundlich zu sein.
So gut Sadie sich zu wehren wusste, gegen die graublauen Augen des Typen aus dem Wald kam sie nicht an. Nachts träumte sie von ihm, dass sie sich in diesem Blick verlieren würde, und tagsüber hielt sie unbewusst Ausschau nach dem blonden Tramper.
Doch es dauerte, bis sie ihn wiedersah; bis dahin war sie traurig davon ausgegangen, dass er die Stadt schon längst verlassen hatte. Ihr Innerstes machte einen gewaltigen Hüpfer, als er durch die Tür kam, dann setzte ihr Herz kurz aus, nur um mit einem Stolpern wieder anzulaufen. Sadie drehte ihm schnell den Rücken zu, damit er ihre Verlegenheit nicht sah. Im Moment waren nur wenige Gäste anwesend, die alle versorgt waren. Sie konnte es sich erlauben, für ein paar Minuten auf die Toilette zu flüchten, um sich etwas Wasser auf die erhitzten Wangen zu spritzen. Beim Blick in den Spiegel sahen glänzende Augen sie an. Was war das nur? Warum zog der Mann sie wie ein Magnet in seinen Bann? Er hatte nichts getan, um irgendetwas in ihr auszulösen, und trotzdem war da etwas, was sie sich nicht erklären konnte.
Sie kehrte in den Gastraum zurück, entdeckte den attraktiven Blonden in einer Ecke an einem einsamen Tisch. Sadie atmete tief durch, dann ging sie hin und versuchte, ihn unbefangen anzulächeln. Da, schon wieder diese Augen, die sich auf sie richteten! Sie spürte, dass sie rot wurde bei der Frage, ob er schon wisse, was er wolle.
Ein herzliches Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus, dann bestellte er einen Kaffee.
»Noch eine Kleinigkeit zu essen?«
»Ich überlege noch, vielen Dank!«
Sadie kehrte zur Theke zurück, brühte seinen Kaffee frisch auf, legte Milch, Zucker und einen Keks auf ein kleines Tablett und brachte es an seinen Tisch. Dann fragte sie, ob sie gleich abkassieren dürfe, weil ihre Schicht enden würde. Ohne Umstände bezahlte er, gab ein kleines Trinkgeld dazu und blickte ihr hinterher, als sie wieder ging, um die Kasse abzurechnen und alles ihrer Kollegin zu übergeben. Die stand schon neben ihr und wisperte: »Wow, hast du den tollen Kerl dahinten gesehen? Was will er? Ich bringe es ihm!«
»Er hatte einen Kaffee, den hab ich bereits abkassiert, aber er wollte überlegen, ob er noch was zu essen will …«, antwortete Sadie mechanisch, während sie ihr Trinkgeld verstaute und die Schürze abnahm.
»Klasse! Ich geh gleich mal hin!«, hechelte die Kollegin und wippte mit den Hüften zu dem Tisch des Blonden. Der schüttelte auf ihre Frage hin nur den Kopf und trank seinen Kaffee aus. Mit enttäuschter Miene kehrte sie zu Sadie zurück, die jetzt ihre Sachen zusammenpackte und nur noch raus wollte, weg von diesen Augen, die sie sogar nachts verfolgten. Es war besser, sich keine Hoffnungen zu machen, dieser Mann konnte jede Frau haben und war sicher nur auf der Durchreise. Außerdem war da noch Jim, vor dem sie Angst hatte, wenn sie ihn verließe, ob mit oder ohne einem neuen Freund. Sadie ertappte sich bei all diesen Gedanken, während sie aus der Tür der Kneipe trat, und schüttelte ungehalten über sich selbst den Kopf. Dieser Mann hatte sie verhext, eindeutig. Es war Zeit, sich wieder einzukriegen.
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An der Haltestelle musste sie feststellen, dass ihr Bus zum Campingplatz erst in einer dreiviertel Stunde wieder fahren würde. So beschloss sie, zu Fuß durch den kühlen Wald zu gehen. Es war später Nachmittag und hell genug, die Hitze flirrte durch die Straßen, die fast menschenleer waren. Sadie wandte sich Richtung Stadtrand und spazierte los, in Gedanken versunken. Dadurch dauerte es bis zum Waldrand, als sie spürte, dass sie verfolgt wurde. Ein Prickeln lief ihr über den Rücken, sie wusste nicht, wer hinter ihr herging und wurde nervös. Trotzdem schaffte sie es, mit ruhigen Schritten weiterzugehen und sich nichts anmerken zu lassen. Erst als sie den Waldrand hinter sich gelassen hatte und der weiche Waldweg eine Biegung machte, traute sie sich, sich umzudrehen. Es war der Fremde, der sie selbst in ihren Träumen verfolgte. Nun ging er mit schlaksigen Schritten hinter ihr her. Sie stand da und wartete auf ihn, der wie in ihrem Traum lächelnd auf sie zuging und vor ihr stehen blieb. Er sah ihr tief in die Augen, nahm ihr Gesicht zart zwischen seine Hände und näherte seine Lippen ihrem Mund.
Sadie glaubte wieder zu träumen. Da stand sie, spürte die weichen Lippen dieses attraktiven Fremden,