Dracula. Bram Stoker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bram Stoker
Издательство: Bookwire
Серия: Reclam Taschenbuch
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783159616995
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bestimmt, der nach Anweisungen des ersten die Dinge vor Ort regelt. Der Mandant könne seine Sache also unbesorgt in die Hand eines einzigen legen; auch dann sei garantiert, dass seine Wünsche und nur diese zur Geltung kämen.

      »Aber«, wandte er ein, »mir bleibt doch unbenommen, es so zu machen wie bisher und meine Anordnungen selbst zu erteilen, finden Sie nicht auch?«

      »Natürlich«, bestätigte ich. »Für diesen Weg entscheiden sich Geschäftsleute sogar oft, wenn sie nicht all ihre Angelegenheiten einer einzigen Person zur Kenntnis geben möchten.«

      »Schön!«, versetzte er und erkundigte sich dann danach, wie man Schiffstransporte richtig organisiert, welche Formalitäten man erfüllen und mit welchen Schwierigkeiten man rechnen muss; minutiös erörterte er alle nur denkbaren Probleme, die bei einem solchen Unternehmen möglicherweise auftreten, und Methoden, ihnen wirksam zu begegnen. Ich antwortete, so genau ich vermochte; während des Gesprächs gewann ich mehr und mehr den Eindruck, dass er selbst einen ausgezeichneten Anwalt abgegeben hätte, so sorgfältig erwog und kalkulierte er sämtliche Eventualitäten. Für jemanden, der noch nie mein Land besucht und in Geschäftsdingen offenkundig kaum Erfahrungen hatte, waren seine Kenntnisse und sein Scharfblick erstaunlich. Ich erteilte ihm die gewünschten Auskünfte und belegte sie anhand der vor Ort verfügbaren Literatur. Nachdem er sich in allen Punkten, die ihn interessierten, genügend unterrichtet glaubte, erhob er sich plötzlich und fragte: »Haben Sie unserem Freund Mr. Peter Hawkins noch einmal geschrieben? Oder an sonst jemanden Post verschickt?«

      Mit einer gewissen Bitterkeit im Herzen verneinte ich. Bisher hätte ich leider keine Gelegenheit gehabt, Briefe zu versenden, an wen auch immer.

      »Dann schreiben Sie jetzt, mein junger Freund«, bestimmte er. »Schreiben Sie an unseren Freund und an wen Sie sonst wollen, dass Sie ungefähr noch einen Monat in meinem Schlosse verweilen werden.«

      »Möchten Sie denn wirklich, dass ich so lange bleibe?«, fragte ich, denn es überlief mich eiskalt bei dem Gedanken.

      »Ich wünsche es fürwahr, ja mehr noch, ich nähme es Ihnen sogar übel, wenn Sie abschlügen. Mit Ihrem Herrn oder Chef oder Arbeitgeber oder wie man das nennt, der Sie als seinen Vertreter eingesetzt hat, ist klipp und klar vereinbart, dass meine Belange in jeder Hinsicht vorgehen. Schließlich zahle ich ja auch, und ich war nicht knauserig – oder etwa doch?«

      Was blieb mir übrig? Ich erklärte mich bereit. Hier standen Mr. Hawkins’ Interessen auf dem Spiel, nicht meine, und an ihn musste ich jetzt denken, nicht an mich. Außerdem lag, während Graf Dracula sprach, ein Ausdruck in seinem Blick und seinem Gebaren, der mich daran erinnerte, dass ich ein Gefangener war und mir gar keine andere Wahl blieb, selbst wenn ich unbedingt hätte abreisen wollen. Der Graf erkannte seinen Sieg in meiner zustimmenden Verbeugung und seine Position der Stärke in meinen von innerem Kampf gezeichneten Gesichtszügen. Den Triumph begann er gleich auszunutzen, freilich in seiner gewandten, über alle Widerstände hinweggleitenden Art: »Bitte, mein werter junger Freund, sprechen Sie in Ihren Briefen nur Geschäftliches an. Für Ihre Lieben daheim indes mögen Sie hinzusetzen, dass es Ihnen gutgeht und Sie sich schon auf ein Wiedersehen freuen. Dann sind die froh, und das genügt doch, finden Sie nicht auch?«

      Während er dies sagte, reichte er mir drei Bögen und die Kuverts. Sie waren von dünnstem Überseepapier. Ich blickte erst auf sie, dann zu ihm. Er lächelte gelassen, wobei die spitzen Eckzähne über die rote Unterlippe ragten. Da begriff ich so klar, als hätte er es ausgesprochen, was er mir bedeuten wollte: ich sollte vorsichtig sein bei meiner Korrespondenz, denn ich müsste damit rechnen, dass er alles läse. Ich beschloss deshalb, dem Grafen die gewünschten förmlichen Schreiben zu liefern – eins für Mr. Hawkins, eins für Mina –, insgeheim aber beiden eine Nachricht zu schicken, welche die volle Wahrheit enthüllte. Die Botschaft an meine Braut würde ich in Stenographie verfassen, denn Mina beherrscht diese, der Graf hingegen wohl kaum; selbst wenn er das Blatt zu Gesicht bekäme – er könnte es nicht enträtseln. Nachdem ich meine beiden offiziellen Briefe beendet hatte, saß ich eine Weile still und las. Währenddessen schrieb der Graf seinerseits ein paar Zeilen, wobei er immer wieder ein paar der Bücher auf seinem Tisch zu Rate zog. Dann legte er meine Briefe zu den seinen und trug sein Schreibzeug hinaus. Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, beugte ich mich über seine Briefe, die mit der Schriftseite nach unten lagen, und drehte sie um. Skrupel hatte ich dabei keine, denn in meiner Situation, so glaube ich, muss ich jede Möglichkeit nutzen, mich zu schützen.

      Die Adressen lauteten: erstens »Samuel F. Billington, 7, The Crescent, Whitby«; zweitens »Herrn Leutner, Warna«; drittens »Coutts & Co., London« und viertens »Herren Klopstock & Billreuth, Bankiers, Budapest«. Der zweite und der vierte Umschlag waren noch unversiegelt. Eben wollte ich nach dem Inhalt schauen, als ich sah, dass sich die Türklinke bewegte. Mir blieb gerade noch Zeit, die Briefe wieder so hinzulegen, wie sie gelegen hatten, mich in meinen Sessel sinken zu lassen und mein Buch zu ergreifen, ehe der Graf, ein fünftes Schreiben in der Hand, das Zimmer betrat. Er wandte sich wieder den Briefen auf dem Tisch zu, nahm einen nach dem anderen und frankierte jeden sorgfältig. Dann richtete er erneut das Wort an mich: »Sie sind mir gewiss nicht gram, dass ich nun gehe; ich habe heute abend noch sehr viel privat zu erledigen. Aber ich hoffe, Sie werden alles vorfinden, was Sie brauchen.«

      An der Tür drehte er sich noch einmal um, zögerte kurz, dann fuhr er fort: »Ein Rat, mein lieber junger Freund – oder nein, eine Warnung, und zwar in allem Ernst. Wenn Sie diese Räume verlassen und andere Teile des Schlosses aufsuchen, vermeiden Sie unbedingt, dort einzuschlafen. Das Schloss ist alt und birgt viele Erinnerungen und hält böse Träume für jeden bereit, der seinen Schlummerplatz unbedacht wählt. Seien Sie denn gewarnt! Sollten Sie irgendwann spüren, dass der Schlaf Sie zu übermannen droht, so eilen Sie beim geringsten Anzeichen sofort in Ihr Zimmer oder eines dieser Gemächer, denn nur hier werden Sie in Sicherheit ruhen. Sind Sie in dieser Hinsicht jedoch unachtsam, dann –« Es wirkte unheimlich, wie er an dieser Stelle seine Rede abbrach, zumal er dabei mit seinen Händen eine Bewegung machte, die andeuten sollte: dann wasche er diese in Unschuld. Ich verstand ihn vollkommen. Freilich bezweifelte ich, dass je ein Traum schrecklicher sein konnte als das Unnatürliche und Schaurige, das Grauenvolle und Mysteriöse, das ich in diesen Mauern wach erlebe und das sich wie ein Netz um mich zu schließen scheint.

      Später. – Den letzten Satz meiner vorigen Eintragung kann ich nur voll unterstreichen. Nur ist inzwischen jeder Zweifel entschwunden. Ich werde ohne Furcht schlafen, wo ich will – Hauptsache, ›er‹ ist nicht in der Nähe. Zusätzlich habe ich das Kruzifix über das Kopfende meines Bettes gehängt, und dort soll es bleiben, denn so, denke ich, ist meine Ruhe freier von Träumen.

      Nachdem also der Graf sich verabschiedet hatte, ging ich in mein Zimmer zurück. Ich wartete eine Weile und lauschte, und als ich keinen Laut mehr hörte, verließ ich den Raum wieder und stieg die steinerne Treppe empor bis zu der Stelle, von der aus man nach Süden schauen kann. Die weite Ebene barg eine kleine Ahnung von Freiheit, verglichen mit der dunklen Enge des Hofes – einer Freiheit allerdings, die mir für den Moment unerreichbar blieb. Gerade dieser Ausblick ließ mich nur umso stärker fühlen, dass ich in einem Gefängnis steckte. Mir war, als müsste ich dringend einen Hauch frischer Luft einsaugen, und sei es Nachtluft. Ich spüre, dass diese nächtliche Lebensweise an mir zehrt. Sie zerschleißt meine Nerven. Ich erschrecke vor meinem eigenen Schatten und bilde mir die grausigsten Dinge ein. Gott weiß, dass dieser verwünschte Ort Grund genug zu entsetzlicher Angst bietet! Ich sah hinaus auf die wunderschöne Weite, die sanfter gelber Mondschein taghell überströmte. In dem weichen Licht verschwammen die Umrisse der fernen Berge, und die Schatten in den Tälern und Schluchten gewannen samtene Schwärze. Ich beugte mich ein wenig aus dem Fenster, da nahm etwas meinen Blick gefangen, das sich ein Stockwerk tiefer bewegte, sozusagen halblinks unter mir. Nach Lage der Räume konnten die betreffenden Fenster nur zum Zimmer des Grafen gehören. Das Fenster, an dem ich stand, war hoch und durch dickes Mauerwerk geschlagen. Es hatte ein steinernes Mittelkreuz, verwittert zwar, aber noch ganz gut erhalten. Sollte es indes je einen Rahmen besessen haben, musste dies länger her sein. Ich verbarg mich hinter dem Steinpfeiler und spähte vorsichtig hinaus.

      Als erstes entdeckte ich, dass unten der Graf seinen Kopf aus dem Fenster steckte. Zwar sah ich sein Gesicht nicht, doch erkannte