»Ach, der ist das egal! Sie sagt, es sei schade, die schönen Singvögel zu töten, aber mit den frechen Spatzen, mit Mäusen und Ratten könne ich tun, was ich will. Also, Miss Grey, Sie sehen, dass es nicht böse ist.«
»Ich glaube immer noch, dass es das ist, Tom, und vielleicht würden deine Eltern das genauso sehen, wenn sie einmal gründlich darüber nachdächten. – Aber«, fügte ich in meinem Innern hinzu, »sie können sagen, was sie wollen, ich für meinen Teil habe beschlossen, dass du nichts Derartiges mehr tust, solange es in meiner Macht steht, das zu verhindern.«
Als Nächstes führte er mich kreuz und quer über den Rasen, um mir seine Maulwurfsfallen zu zeigen, dann in den Heumietenhof, um mir die Wieselfallen zu zeigen, von denen eine zu seiner großen Freude ein totes Wiesel enthielt, und schließlich in den Stall, nicht etwa um mir die edlen Kutschpferde, sondern ein kleines, struppiges Fohlen zu zeigen, das, wie er mir mitteilte, extra für ihn gezüchtet worden war und das er reiten solle, sobald es gut genug zugeritten wäre. Ich versuchte, dem kleinen Burschen eine Freude zu machen, und hörte all seinem Geplapper geduldig zu; denn ich hatte mir vorgenommen, falls es in seinem Wesen überhaupt so etwas wie Zuneigung gab, diese zu gewinnen und ihm dann allmählich die Fehler in seinem Verhalten zu erklären. Aber nach der großzügigen, edlen Gesinnung, von der seine Mutter gesprochen hatte, suchte ich vergebens; wobei ich allerdings schon erkannt hatte, dass er ein gewisses Maß an Aufgewecktheit und Verstand besaß, wenn es ihm beliebte, diese zu gebrauchen.
Als wir ins Haus zurückkamen, war es beinahe Teezeit. Master Tom sagte mir, dass er, ich und Mary Ann zur Feier des Tages den Tee gemeinsam mit seiner Mama einnehmen würden, weil sein Vater nicht zu Hause war; denn bei solchen Gelegenheiten aß sie immer mittags mit ihnen statt um sechs Uhr. Schon bald nach dem Tee ging Mary Ann zu Bett; Tom aber beehrte uns mit seiner Gesellschaft und Unterhaltung bis um acht. Nachdem er gegangen war, klärte mich Mrs. Bloomfield weiter über Anlagen und Fähigkeiten ihrer Kinder auf, darüber, was sie lernen sollten und wie ich mit ihnen umzugehen hätte, und sie schärfte mir ein, etwaige Schwächen nur ihr gegenüber zu erwähnen. Meine Mutter hatte mich dagegen davor gewarnt, gerade ihr allzu viel darüber zu sagen, da niemand gern von den Fehlern seiner Kinder höre, und ich beschloss also, vollkommenes Stillschweigen darüber zu bewahren. Gegen halb zehn lud mich Mrs. Bloomfield zu einem bescheidenen Abendessen ein, das aus kaltem Fleisch und Brot bestand. Ich war froh, als es vorüber war, sie ihre Kerze für die Nacht ergriff und sich zur Ruhe begab. Denn obwohl ich sie gern als angenehm empfunden hätte, war ihre Gegenwart doch äußerst ermüdend für mich, und ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass sie kalt, ernst und abweisend war – das genaue Gegenteil der freundlichen, warmherzigen Frau, wie ich sie mir in meinen Hoffnungen ausgemalt hatte.
Kapitel 3
Noch ein paar Lektionen
Am nächsten Morgen erhob ich mich trotz der Enttäuschungen, die ich bereits erfahren hatte, mit einem Gefühl erwartungsvoller Heiterkeit; aber Mary Ann anzukleiden stellte sich als nicht ganz einfach heraus, denn ihr dickes Haar musste mit Pomade eingerieben, zu drei langen Zöpfen geflochten und mit Bänderschleifen zusammengebunden werden: eine schwierige Aufgabe für meine ungeübten Finger. Sie sagte, ihr Kindermädchen benötige nur halb so viel Zeit dafür, und schaffte es durch ihr ständiges ungeduldiges Herumzappeln, dass ich noch länger brauchte. Als ich mit allem fertig war, gingen wir ins Schulzimmer, wo ich meinen anderen Schüler vorfand, und ich plauderte mit den beiden, bis es Zeit war, zum Frühstück hinunterzugehen. Nachdem diese Mahlzeit beendet war und ich mit Mrs. Bloomfield ein paar höfliche Worte gewechselt hatte, kehrten wir ins Schulzimmer zurück und begannen mit unserem Tagespensum. Ich fand meine Schüler in der Tat sehr zurück, doch Tom, obwohl jeder Art von geistiger Anstrengung abgeneigt, war nicht ohne Talent. Mary Ann konnte kaum ein Wort lesen und war so gleichgültig und unaufmerksam, dass ich mit ihr so gut wie gar nicht vorwärts kam. Jedoch mit viel Mühe und Geduld erreichte ich, dass im Verlauf des Vormittags ein kleines Pensum geschafft wurde, und dann begleitete ich meine Schützlinge in den Garten und die angrenzenden Parkanlagen, damit sie sich vor dem Essen ein wenig erholten. Dort kamen wir leidlich miteinander zurecht, nur stellte ich fest, dass es ihnen gar nicht einfiel, mit mir zu gehen: Ich musste mit ihnen gehen, wohin auch immer sie mich führen wollten. Ich musste rennen, gehen oder stehen, wie es ihnen gerade passte. Das, so dachte ich, stellte allerdings die natürliche Ordnung auf den Kopf, und ich empfand es als umso unangenehmer, als sie bei dieser wie auch allen späteren Gelegenheiten die schmutzigsten Stellen und grässlichsten Betätigungen zu bevorzugen schienen. Aber da half nichts: Entweder musste ich ihnen folgen oder mich ganz von ihnen getrennt halten, was geheißen hätte, meine Aufgabe zu vernachlässigen. Heute hatte es ihnen besonders ein Brunnen am untersten Ende des Rasens angetan, in dem sie über eine halbe Stunde lang mit Stöcken und Kieselsteinen herumplanschten. Ich war in ständiger Angst, ihre Mutter würde sie vom Fenster aus sehen und mir daran die Schuld geben, dass ich ihnen erlaubte, ihre Kleider zu beschmutzen und Füße und Hände nass zu machen, anstatt mit ihnen spazieren zu gehen; aber Argumente, Befehle und Bitten konnten sie nicht zum Weitergehen bewegen. Nun, wenn ihre Mutter sie nicht sah, so doch jemand anderes – ein Gentleman kam durch das Tor und weiter den Weg heraufgeritten; ein paar Schritte von uns entfernt hielt er an und befahl den Kindern in gereiztem, scharfem Ton: »Bleibt von diesem Wasser weg.« »Miss Grey«, sagte er, »ich nehme an, Sie sind Miss Grey, ich bin erstaunt, dass Sie ihnen erlauben, ihre Kleider so schmutzig zu machen! Sehen Sie denn nicht, wie Miss Bloomfield ihr Kleid beschmutzt hat? Und dass Master Bloomfields Socken ganz nass sind? Und beide ohne Handschuhe? Meine Güte! Ich möchte darum bitten, dass Sie in Zukunft wenigstens dafür sorgen, dass sie ordentlich aussehen!«, sagte er, machte kehrt und setzte seinen Ritt in Richtung auf das Haus fort. Es war Mr. Bloomfield. Ich war überrascht, dass er seine Kinder mit Master und Miss Bloomfield anredete, mehr noch, dass er mit mir, ihrer Lehrerin, einer ihm völlig fremden Person, so unhöflich sprach. In diesem Augenblick erklang die Glocke und rief uns herein. Ich aß mit den Kindern an einem Tisch, während er an einem anderen Tisch das Essen mit seiner Frau einnahm. Sein Benehmen dort ließ ihn nicht gerade in meiner Achtung steigen. Er war von mittlerer Statur, eher darunter und eher dünn als kräftig, offensichtlich zwischen dreißig und vierzig. Er hatte einen großen Mund, eine blasse, gräuliche Gesichtsfarbe, wässerige blaue Augen und hanffarbenes Haar. Vor ihm auf dem Tisch stand eine gebratene Hammelkeule: Er gab Mrs. Bloomfield, den Kindern und mir davon und bat mich, das Fleisch für die Kinder kleinzuschneiden. Dann, nachdem er den Braten einmal rundherum gedreht und aus den verschiedensten Richtungen beäugt hatte, erklärte er ihn für nicht essbar und verlangte nach kaltem Fleisch.
»Was ist mit dem Braten, Lieber?«, fragte seine Gattin.
»Er hat zu lange geschmort. Mrs. Bloomfield, schmecken Sie nicht, dass alles Gute aus ihm herausgebraten worden ist? Und sehen Sie nicht, dass der ganze schöne, rote Saft völlig eingetrocknet ist?«
»Nun, ich glaube, das kalte Fleisch wird Ihnen schmecken.«
Das Fleisch wurde ihm vorgesetzt, und er begann, daran herumzuschneiden, nicht ohne sich mit Äußerungen höchsten Missfallens darüber zu beklagen.
»Was ist mit dem Fleisch, Mr. Bloomfield? Ich weiß, dass ich es sehr zart fand.«
»Es war auch sehr zart. Ein zarteres Stück könnte es wohl nicht geben, aber es ist verdorben«, antwortete er verdrossen.
»Wie das?«
»Wie das? Na, sehen Sie denn nicht, wie es geschnitten ist? Lieber Himmel, es ist wirklich furchtbar!«
»Sie müssen es in der Küche falsch zerlegt haben, denn ich bin ganz sicher, es hier gestern Nachmittag richtig geschnitten zu haben.«
»Natürlich haben sie es in der Küche falsch zerlegt – diese Barbaren! Du meine Güte! Hat man schon jemals erlebt, dass ein so gutes Stück Fleisch so ganz und gar verdorben werden kann? Aber merken Sie sich, wenn in Zukunft ein einwandfreies Gericht diesen Tisch verlässt, dann sollen die in der Küche es nicht anrühren. Merken Sie sich das, Mrs. Bloomfield!«
Trotz des angeblich ungenießbaren Zustands des Fleisches gelang es dem Gentleman,