»Ich würde mich freuen, Mama, wenn du sie für so gut hältst, dass man sie überhaupt verkaufen kann.«
»Zumindest ist es der Mühe wert, es zu versuchen, meine Liebe. Sorge du für die Bilder, ich will mich bemühen, einen Käufer dafür zu finden.«
»Ich wünschte, ich könnte auch etwas tun«, sagte ich.
»Du, Agnes! Nun, wer weiß? Du zeichnest doch auch ganz nett; wenn du ein einfaches Motiv wählst, wirst du, glaube ich, in der Lage sein, ein Bild zu malen, das wir alle voller Stolz ausstellen werden.«
»Aber ich dachte an etwas anderes, Mama, und zwar schon lange, nur wollte ich nicht darüber sprechen.«
»Wirklich? Dann sag uns bitte, worum es sich handelt.«
»Ich würde gern als Erzieherin arbeiten.«
Meine Mutter gab einen Ausruf des Erstaunens von sich und brach in Lachen aus. Meine Schwester ließ überrascht ihre Arbeit sinken und rief: »Du Erzieherin, Agnes! Wie kannst du dir nur so etwas ausdenken!«
»Nun, ich kann darin nichts Außergewöhnliches entdecken. Ich behaupte ja nicht, dass ich große Mädchen unterrichten kann, aber bei kleinen traue ich mir das zu, und ich würde es wirklich gern tun: Ich mag Kinder doch so sehr. Bitte erlaub es, Mama!«
»Aber Liebes, du hast noch nicht einmal gelernt, auf dich selbst aufzupassen, und es gehört mehr Verständnis und Erfahrung dazu, mit kleinen Kindern umzugehen als mit größeren.«
»Aber Mama, ich bin über achtzehn und durchaus in der Lage, auf mich und andere aufzupassen. Du weißt nur nicht, wie klug und vernünftig ich bin, weil ihr mich nie auf die Probe gestellt habt.«
»Nun überleg doch bloß mal«, sagte Mary, »was würdest du in einem Haus voll fremder Menschen anfangen, ohne dass ich oder Mama für dich sprechen oder handeln könnten, mit einer Kinderschar, auf die du wie auf dich selbst achtgeben müsstest, und ohne die Möglichkeit, jemanden um Rat zu fragen? Du wüsstest doch noch nicht einmal, was du anziehen sollst.«
»Du glaubst wohl, weil ich immer tue, was ihr wollt, ich hätte keine eigene Meinung; aber gebt mir die Gelegenheit zu zeigen, was ich kann – das ist alles, worum ich bitte.«
In diesem Augenblick kam mein Vater herein, und wir klärten ihn über den Gegenstand unserer Diskussion auf.
»Was, meine kleine Agnes als Gouvernante!«, rief er aus und musste trotz aller Niedergeschlagenheit bei dieser Vorstellung lachen.
»Ja, Papa, sag wenigstens du nichts dagegen. Ich würde es so gerne versuchen und bin überzeugt, dass es mir bestens gelingen würde.«
»Aber Liebling, wir könnten dich nicht entbehren.« Und mit Tränen in den Augen setzte er hinzu: »So groß unser Elend auch ist, diesen Schritt werden wir ganz bestimmt noch nicht tun.«
»O nein!«, sagte meine Mutter. »Es gibt überhaupt keinen Anlass dafür, es ist nur eine Laune von ihr. Also halt deinen Mund, du ungezogenes Mädchen, denn auch wenn du es so eilig hast, uns zu verlassen, so weißt du nur zu gut, dass wir uns nicht von dir trennen können.«
An diesem wie auch an vielen folgenden Tagen schwieg ich, aber ich gab meine Lieblingsidee noch immer nicht ganz auf. Mary holte ihre Malutensilien hervor und machte sich entschlossen an die Arbeit. Ich nahm meine auch, aber während ich malte, hatte ich andere Dinge im Kopf. Wie herrlich wäre es doch, Erzieherin zu sein! Ich würde in die Welt hinausgehen, ein neues Leben beginnen, selbständig handeln, meine ungenutzten Fähigkeiten einsetzen, meine unbekannten Anlagen erproben, meinen Unterhalt selbst verdienen und noch etwas darüber hinaus, um Vater, Mutter und Schwester hilfreich zu unterstützen, ganz abgesehen davon, dass ich sie von den Ausgaben für mein Essen und meine Kleidung entlastete; ich würde meinem Vater beweisen, wozu seine kleine Agnes in der Lage war, und Mama und Mary davon überzeugen, dass ich doch nicht ganz das hilflose, unbekümmerte Geschöpf war, das sie in mir vermuteten. Ach, und dann, wie reizend wäre es, mit der Betreuung und Erziehung von Kindern betraut zu sein! Was die anderen auch sagten, ich fühlte mich der Aufgabe vollauf gewachsen: Die genaue Erinnerung an die Gedanken, die ich selbst in früher Kindheit gehabt hatte, würden mir eine zuverlässigere Anleitung sein als die Lehren des erfahrensten Ratgebers. Ich brauchte lediglich das Verhalten meiner kleinen Schüler mit dem meinigen im selben Alter zu vergleichen, um es sofort zu verstehen, ihr Vertrauen und ihre Zuneigung zu gewinnen, die Reue der Sünder zu wecken, die Furchtsamen zu ermutigen, die Leidenden zu trösten, Tugend anwendbar, Belehrung wünschenswert und Religion schön und begreiflich zu machen.
– O lieblichs Tagwerk! Süß Bemühn!
Die junge, schwächliche Idee zurechtzulenken, zu formieren!
Die zarten Pflänzchen aufzuziehen und zuzusehen, wie sich die Knospen Tag für Tag entfalten!
All diese Beweggründe bestärkten mich darin, nicht nachzugeben, obwohl die Angst, meine Mutter zu verdrießen oder meinen Vater zu betrüben, mich ein paar Tage lang daran hinderte, das Thema wieder aufzugreifen. Endlich sprach ich noch einmal unter vier Augen mit meiner Mutter darüber und nahm ihr mit einiger Mühe das Versprechen ab, mich durch ihre Fürsprache zu unterstützen. Als Nächstes gab mein Vater widerstrebend seine Zustimmung, und daraufhin – auch wenn Mary noch immer seufzend ihr Missfallen bekundete – begann meine liebe, gute Mutter, sich nach einer Stelle für mich umzusehen. Sie schrieb an die Angehörigen meines Vaters und studierte die Zeitungsanzeigen – zu ihren eigenen Verwandten hatte sie schon seit langem jegliche Verbindung abgebrochen; seit ihrer Heirat bestand der einzige Kontakt in dem gelegentlichen Austausch förmlicher Briefe, und um nichts in der Welt hätte sie sich in einem solchen Falle an sie gewandt. Aber meine Eltern hatten sich so lange und so vollkommen von der Welt zurückgezogen, dass viele Wochen verstrichen, bis eine geeignete Stellung für mich gefunden wurde. Schließlich wurde zu meiner großen Freude bestimmt, dass ich die Betreuung der Kinder einer gewissen Mrs. Bloomfield übernehmen sollte, die meine gute, brave Tante Grey in ihrer Jugend gekannt hatte und die, wie sie versicherte, eine sehr nette Frau war. Ihr Mann war ein Kaufmann, der sich, nachdem er ein ansehnliches Vermögen erworben, zur Ruhe gesetzt hatte, sich jedoch nicht dazu bewegen ließ, der Erzieherin seiner Kinder mehr als fünfundzwanzig Pfund zu bezahlen. Ich aber war eher bereit, dies zu akzeptieren, als die Stelle abzulehnen – was meinen Eltern wohl lieber gewesen wäre.
Aber noch galt es, einige Wochen mit Vorbereitungen zuzubringen. Wie endlos langweilig kamen mir diese Wochen vor! Trotzdem war es im Großen und Ganzen eine glückliche Zeit, voll strahlender Hoffnungen und großer Erwartungen. Mit welch besonderem Vergnügen half ich beim Schneidern meiner neuen Kleider und später beim Kofferpacken! Aber in diese Vorkehrungen mischte sich auch ein Gefühl der Bitterkeit, und als sie beendet waren, als alles für meine Abreise am nächsten Morgen bereit war und die letzte Nacht zu Hause bevorstand, schien eine plötzliche Angst mein Herz zu weiten. Meine Lieben sahen so traurig aus und sprachen so freundlich mit mir, dass ich meine Tränen kaum zurückhalten konnte, aber ich gab immer vor, fröhlich zu sein. Ich hatte mit Mary meine letzte Wanderung übers Moor gemacht, den letzten Spaziergang im Garten und ums Haus; gemeinsam hatten wir zum letzten Mal unsere Lieblingstauben gefüttert – die schönen Tiere, die wir so zahm gemacht hatten, dass sie die Körner aus unseren Händen pickten; noch einmal hatte ich zum Abschied ihre silberglänzenden Rücken gestreichelt, als sie sich auf meinem Schoß zusammendrängten. Ich hatte meine ganz speziellen Lieblinge, die beiden schneeweißen Pfauentauben, zärtlich geküsst, den letzten Ton auf dem alten, vertrauten Piano gespielt und mein letztes Lied für Papa gesungen, d. h., wie ich hoffte, nicht wirklich das letzte, aber wie mir schien, das letzte für lange Zeit. Und wenn ich dies alles das nächste Mal tun würde, geschah es vielleicht mit ganz anderen Gefühlen; die Verhältnisse mochten sich ändern, dies Haus würde möglicherweise nie