Agnes Grey. Anne Bronte. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anne Bronte
Издательство: Bookwire
Серия: Reclam Taschenbuch
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783159617022
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oft Neues und allerlei Kurzweil gab, vor allem, wenn Besuch im Hause weilte; und ihre Mutter, die doch befohlen hatte, dass sie im Schulzimmer bleiben sollten, schimpfte nie mit ihnen, weil sie heruntergekommen waren, noch machte sie sich die Mühe, sie wieder zurückzuschicken. An diesem Tage jedoch waren sie anscheinend mit ihrem momentanen Aufenthaltsort zufrieden und, was noch erstaunlicher war, auch geneigt, miteinander zu spielen, ohne sich auf meine Unterhaltung zu verlassen oder zu streiten. Sie widmeten sich einer etwas rätselhaften Beschäftigung: Alle kauerten dicht beisammen auf dem Fußboden am Fenster und beugten sich über einen Haufen zerbrochenen Spielzeugs und eine Anzahl Vogeleier – oder vielmehr Eierschalen, denn das Innere war zum Glück schon daraus entfernt worden. Diese Schalen hatten sie aufgebrochen und zerstießen sie jetzt in winzige Teilchen; zu welchem Zweck konnte ich mir nicht denken, aber solange sie ruhig waren und gerade nichts anstellten, war mir das gleich. Und ungewöhnlich entspannt saß ich am Kamin, machte die letzten Stiche am Kleid für Mary Anns Puppe und dachte daran, danach einen Brief an meine Mutter zu beginnen. Plötzlich öffnete sich die Tür, und Mr. Bloomfields dunkler Kopf erschien.

      »Es ist so still hier! Was macht ihr gerade?«, fragte er. »Wenigstens heute einmal keinen Unsinn«, dachte ich. Aber er war anderer Ansicht. Er ging zum Fenster und rief, als er sah, womit die Kinder sich beschäftigten, erbost aus: »Was, zum Teufel, macht ihr da?«

      »Wir zerreiben Eierschalen, Papa!«, schrie Tom.

      »Was fällt euch ein, einen derartigen Dreck zu machen, ihr Flegel? Sehr ihr denn nicht, wie ihr den Teppich zurichtet?« (Der Teppich war ein unscheinbarer brauner Läufer.) »Miss Grey, wussten Sie, womit die Kinder sich betätigt haben?«

      »Ja, Sir.«

      »Sie wussten es?«

      »Ja.«

      »Sie wussten es also und saßen tatsächlich da und ließen sie ohne ein Wort des Tadels weitermachen!«

      »Ich habe nicht angenommen, dass sie irgendwelchen Schaden anrichten.«

      »Schaden! Dann sehen Sie her! Sehen Sie sich diesen Teppich an –hat es dergleichen jemals in einem christlichen Haus gegeben? Kein Wunder, dass dieses Zimmer nicht einmal als Schweinestall taugt – kein Wunder, dass Ihre Schüler schlimmer sind als ein Wurf Ferkel! – Kein Wunder – wahrhaftig, da kann einem ja wirklich der Geduldsfaden reißen!« Er ging und schlug die Tür mit einem solchen Knall hinter sich zu, dass die Kinder anfingen zu lachen.

      »Mit meiner Geduld ist es auch zu Ende!«, murmelte ich, stand auf, packte den Schürhaken und stocherte damit heftig und mit ungewohnter Energie in der Asche herum und ließ so, unter dem Vorwand, das Feuer zu schüren, meinem Ärger freien Lauf.

      Nach diesem Vorfall kam Mr. Bloomfield regelmäßig und sah nach, ob im Schulzimmer Ordnung herrschte; und da die Kinder ständig Überreste von zerbrochenem Spielzeug, Stöcke, Steine, Halme, Blätter und anderen Unrat auf dem Teppich umherstreuten – ich konnte sie nicht daran hindern, ihn mit hereinzubringen, oder sie zwingen, ihn aufzuheben, und die Dienstmädchen lehnten es ab, »hinter ihnen herzuräumen« –, musste ich einen beträchtlichen Teil meiner kostbaren freien Zeit darauf verwenden, auf dem Boden zu knien und alles wieder mühsam in Ordnung zu bringen. Einmal verbot ich ihnen, ihr Essen anzurühren, ehe sie alles vom Boden aufgesammelt hatten; Fanny sollte ihres erst bekommen, wenn sie eine bestimmte Menge, Mary Ann, wenn sie das Doppelte davon aufgehoben hatte, und Tom sollte den Rest wegräumen. Wunderbarerweise gehorchten die beiden Mädchen; aber Tom geriet dermaßen in Wut, dass er auf den Tisch sprang, das Brot auf den Boden warf und die Milch hinterherkippte, auf seine Schwestern einschlug, mit den Füßen die Kohlen aus dem Kohlenkasten trat, Tisch und Stühle umzuwerfen versuchte und anscheinend vorhatte, aus der gesamten Zimmereinrichtung eine Art Rumpelkammer zu machen. Doch ich griff ihn mir und hielt ihn, nachdem ich Mary Ann geschickt hatte, ihre Mutter zu holen, trotz der Tritte, Schläge, Schreie und Verwünschungen so lange fest, bis Mrs. Bloomfield erschien.

      »Was ist mit meinem Jungen?«, fragte sie. Und alles, was sie tat, als ich ihr den Sachverhalt erklärt hatte, war, nach dem Kindermädchen zu schicken und ihr zu befehlen, das Zimmer in Ordnung zu bringen und Master Bloomfield seine Mahlzeit zu servieren.

      »Na bitte«, rief Tom, indem er triumphierend von seinem Teller aufblickte, den Mund so voll, dass er kaum sprechen konnte. »Na bitte, Miss Grey. Sie sehen ja, dass ich mein Essen auch gegen Ihren Willen bekommen habe, und ich habe auch nicht einen Krümel aufgehoben!«

      Der einzige Mensch im Haus, der mir wirklich Sympathie entgegenbrachte, war das Kindermädchen, denn sie hatte ähnliche Qualen ausgestanden, wenn auch in geringerem Maße, war sie doch weder für den Unterricht noch für das Benehmen ihrer Schützlinge verantwortlich.

      »Ach, Miss Grey!«, sagte sie oft, »Sie haben ganz schön Ihre Last mit den Kindern!«

      »Allerdings, Betty, und man kann wohl sagen, dass Sie da ein Wörtchen mitreden können.«

      »Das schon. Aber ich reg mich nicht so auf wie Sie. Außerdem kriegen sie von mir öfters eine Ohrfeige, wissen Sie, und den Kleinen verpasse ich ab und zu ’ne ordentliche Tracht Prügel, alles andere hilft bei denen nicht, bekanntermaßen. Aber wie auch immer, ich habe deshalb meine Stellung verloren.«

      »Ist das wahr, Betty? Ich habe gehört, dass Sie weggehen.«

      »Ja, verdammt! Missis hat mir schon vor drei Wochen gekündigt. Vor Weihnachten hat sie mir gesagt, was passiert, wenn ich ihnen noch mal eins draufgebe. Aber mir ist einfach die Hand ausgerutscht. Wie packen Sie das nur? Miss Mary Ann ist ja doppelt so schlimm wie ihre Schwestern!«

      Kapitel 5

      Der Onkel

      Außer der alten Lady gab es noch ein weiteres Familienmitglied, dessen Besuche mir höchst unangenehm waren, und zwar »Onkel Robson«, den Bruder von Mrs. Bloomfield. Er war ein großer, eingebildeter Mensch, dunkelhaarig und mit der gleichen fahlen Gesichtsfarbe wie seine Schwester, einer Nase, die die Erde zu verachten schien, kleinen, meist halbgeschlossenen, grauen Augen, die ihre Umgebung in einer Mischung aus echter Einfalt und gespielter Geringschätzung musterten. Er war von stämmiger, kräftiger Statur, hatte aber einen Weg gefunden, seinen Leibesumfang auf bemerkenswerte Weise zusammenzupressen, was in Verbindung mit der unnatürlichen Steifheit seines Gehabes bewies, dass der hochnäsige, männliche Mr. Robson, Verächter des weiblichen Geschlechts, über die Geckenhaftigkeit eines Korsetts durchaus nicht erhaben war. Er ließ sich selten dazu herab, mich zu bemerken, und wenn, geschah es mit einer gewissen anmaßenden Überheblichkeit in Ton und Benehmen, die mich davon überzeugten, dass er kein Gentleman war, obwohl er sicher das Gegenteil damit bezweckte. Aber nicht deswegen sah ich seinen Besuch so ungern, sondern weil der den Kindern so großen Schaden zufügte, indem er sie in all ihren schlechten Angewohnheiten bestärkte und in wenigen Minuten die bescheidenen Fortschritte zunichtemachte, die zu erreichen mich monatelange Arbeit gekostet hatte.

      Fanny und die kleine Harriet geruhte er nur selten wahrzunehmen, aber Mary Ann war sein erklärter Liebling. Ständig unterstützte er ihren Hang zur Affektiertheit (den zu beheben ich mir die größte Mühe gegeben hatte), indem er von ihrem hübschen Gesicht sprach und ihr jede erdenkliche Art von eitlen Ideen über ihr Aussehen in den Kopf setzte, während ich sie doch gelehrt hatte, Äußerlichkeiten im Vergleich zu der Entwicklung von Geist und Umgangsformen als gering zu achten; und ich habe nie ein Kind gesehen, das für Schmeicheleien so empfänglich war wie sie. Alle schlechten Seiten, die sie oder ihr Bruder besaßen, bestärkte er, indem er darüber lachte oder sie sogar lobte: Die Menschen sind sich oft nicht im Klaren, welches Unrecht sie den Kindern zufügen, wenn sie über deren Fehler lachen und mit all dem ihren Scherz treiben, was ihnen ihre wahren Freunde gerade mühsam als verabscheuungswürdig dargestellt haben.

      Wenn er auch nicht unbedingt ein Trinker war, so schüttete Mr. Robson doch regelmäßig größere Mengen Wein in sich hinein und trank genüsslich ab und zu ein Glas Brandy mit Wasser. Seinen Neffen lehrte er, es ihm darin, so gut er konnte, nachzutun und zu glauben, je mehr Wein und Branntwein er vertrüge und je besser sie ihm schmeckten, desto mehr bewiese er seinen kühnen, männlichen Geist und wäre seinen Schwestern überlegen. Mr. Bloomfield hatte nicht viel dagegen einzuwenden,