Hans dachte einen Augenblick nach, dann grinste er. »Okay, dann gibt’s halt eine Fete. Wo findet sie statt?«
»In Vorderstein auf dem Schafner-Hof…!«
»Wo ist das denn?«
»Bei allem was recht ist«, entgegnete Hubert, »aber irgendwie bist net dabei. Der Schafner-Hof ist einer der größten der Gegend und gehört Gundis Eltern. Es ist super dort, ein richtig toller alter Hof im Allgäuer Stil, er ist sicher zwei- bis dreihundert Jahre alt.«
»Und wann wird dort gefeiert?«
»Na morgen. Morgen ist der achtundzwanzigste August«, antwortete Hubert. »Du hast damals gesagt, daß du bis zum siebenundzwanzigsten zu tun hast, dann würdest aus Berchtesgaden kommen.«
»Das hab’ ich wirklich gesagt?« Hans schüttelte grinsend den Kopf.
»So ist es…!« Hubert nickte. »Ich bin da, weil mich die Gundi schickt. Ich soll dich holen.«
»Wieso sollst du mich holen?« fragte Hans. »Ich kann morgen gut alleine kommen.«
»Es geht net um morgen«, entgegnete Hubert, »es geht um jetzt. Jetzt soll ich dich holen.«
»Wieso denn das?«
»Die Gundi will halt einige Sachen mit dir durchsprechen«, erwiderte Hubert.
»Was denn…?«
»Also, das fragst sie besser selbst. Und wenn wir das dumme Frage-Antwort-Spiel net rasch drangeben, dann ist es dunkel, und wir stehen immer noch da.«
Minuten später waren die beiden unterwegs in Richtung Vorderstein.
Hans Pregartner war achtundzwanzig Jahre alt, studierte dann in München Forstwissenschaften und machte gerade im Forstamt Berchtesgaden ein Praktikum.
Hans hatte von seiner Mutter, die in München lebte, im Weißbachtal eine kleine Hofstatt geschenkt bekommen, die er sich in mühevoller Kleinarbeit ausgebaut hatte. So oft es möglich war, hielt er sich dort auf, und wann immer es seine Zeit erlaubte, verdingte er sich beim Grafen Steining als Holzknecht, um endlich wieder mal gründlich hinlangen zu können, wie er sich ausdrückte. Daß er zumindest während des Semesters ständig in Vorlesungen, Seminaren und dergleichen Veranstaltungen zu sein hatte, ging ihm gewaltig auf den Nerv, deshalb versuchte Hans so oft wie möglich als Holzknecht arbeiten zu können.
Hubert war einer seiner Spezl, mit ihm hatte er die Schulbank gedrückt. Während Hans Abitur gemacht hatte, hatte Hubert eine Ausbildung als Holzknecht absolviert, sich mit einem Holzeinschlagunternehmen selbständig gemacht und arbeitete inzwischen für verschiedene Grundbesitzer der Gegend, hauptsächlich jedoch für die Forstverwaltung des Grafen Steining.
Hubert hatte schon einige Male Anlauf genommen, etwas zu sagen, letztendlich aber kein Wort herausbekommen. Offensichtlich war es für ihn ein schwieriges Thema.
»Die Gundi«, sagte er schließlich, »sie… stehst du auf sie? Ich frag’ das, weil du damals total auf sie abgefahren bist.«
Hans grinste. »Sie ist eine blitzssaubere Dirn, daran gibt es keinen Zweifel. Aber so richtig auf sie stehen tu ich nicht, das ist gewiß.«
»Aha«, erwiderte Hubert, »sie meint es aber…!«
»Da schau her.« Hans lachte. »Das kann ja ein heiteres Fest werden. Wer kommt denn alles?«
»Was weiß ich«, murmelte Hubert, der plötzlich wortkarg wirkte.
»Was ist, Alter?« fragte Hans, dem das natürlich nicht verborgen blieb.
Hubert schüttelte den Kopf. »Nichts weiter…!«
Wenige Minuten später fuhren sie auf den Schafner-Hof und stiegen aus.
»Kruzitürken«, murmelte Hans, als er sah, daß mitten im Hof ein Tanzboden gezimmert worden war und gleich daneben ein Podium für eine Musikkapelle. »Das wird ja ein Riesenfest, bald wie eine Kirchweih.«
Ganz plötzlich stand Gundi neben ihnen und strahlte Hans mit ihren hübschen Augen an. »Hallo…!«
»Hallo«, erwiderte der, »was wird das denn, wenn es fertig ist? Das ist ja… das ist ja geradezu gigantisch.«
»Das soll’s auch sein.« Gundis Stimme hatte einen betont weichen Klang.
»Wieviel Leut’ erwartest du denn?« Hans sah sich um und entdeckte eine riesige Biertheke.
»Hundert bis zweihundert«, antwortete Gundi. »Du kannst, wenn du magst, mitbringen wen du willst.«
»Sag mal, sagen deine Eltern nix dagegen?« Hans zeigte um sich. »Das kostet doch sicher ein Vermögen und die Musik wird herübertönen bis zu den Nachbarn.«
Gundi grinste. »Die Eltern besuchen meinen Bruder, und die Nachbarn sind eingeladen. Alles was du siehst, kostet gar nix, das hab’ ich zusammengeschnorrt.«
»Das gibt’s gar net…!«
»Doch«, sagte Gundi, »das gibt es.« Dann fixierte sie Hans. »Du hältst deinen Teil der Verabredung auch ein?«
In dem Moment war Hans heilfroh, daß Hubert gekommen und mit ihm gesprochen hatte. Allmählich erinnerte er sich zwar wieder, doch sein Erinnerungsvermögen hatte zuerst geweckt werden müssen.
»Du meinst deinen Besuch in Berchtesgaden?« Hans lächelte das hübsche Mädchen freundlich an.
Das nickte. »Genau…!«
»Sicher halt’ ich mein Versprechen ein«, erwiderte Hans. »Du mußt nur rasch kommen, weil ich gar so lang’ nimmer in Berchtesgaden bin.«
»Oje«, sagte Gundi, »das ist jetzt schlecht. Ich… ich kann in den nächsten Wochen net. Oder ich müßt’ mir die Zeit irgendwo abzwacken.«
Hans winkte ab. »Das ist net nötig. Dann kommst mich halt in München besuchen. Oder aber da, wo ich mein nächstes Praktikum mach. Das heißt, wenn ich mit dem Examen fertig bin, kommt die Referendarzeit.«
Gundi ließ Hans nicht aus den Augen. »Wo ich dich besuch’, ist mir ziemlich wurscht. Hauptsach’, ich besuch’ dich…!«
*
»Das ist das Anna-Marterl?« Christiane stieg aus dem Wagen, blieb daneben stehen und sah das unscheinbare Marterl eine Weile starr an. Dann bückte sie sich, sah in den Wagen und fragte, wann Heidi zurück sei?
»Eine halbe Stund’ dauert’s etwa«, erwiderte die Bergerhof-Wirtin. »Das heißt, wenn’s recht ist. Sonst können S’ auch mit mir kommen und wir bleiben nachher ein bissel da.«
Christiane schüttelte den Kopf. »Es ist schon recht so. Ich bin ganz froh, wenn ich ein bissel allein da bin.«
Heidi zögerte einen Moment, weil sie meinte, das hübsche Mädchen nicht alleine lassen zu dürfen, doch dann sah sie dessen Entschlossenheit, nickte, sagte, sie sei bald wieder da und fuhr weiter. Im Rückspiegel sah sie, wie Christiane an der Bank neben dem Marterl Platz nahm.
Christiane hatte bis vor kurzem nicht gewußt, daß es ein Anna-Marterl gab und welche Bedeutung es hatte, wußte sie da schon mal gar nicht. Erst als Ralf sie zu sich an sein Bett gebeten hatte, weil er ihr noch was sagen wollte, erfuhr sie die Geschichte des Marterls und seine Bedeutung für Ralf.
Eine von Ralfs Großtanten, sie war die Schwester seiner Großmutter gewesen, hatte in das Hofgut gleich hinter dem Marterl eingeheiratet. Anna hatte sie geheißen und sie war, wollte man Ralf glauben, eine ausnehmend schöne Frau gewesen.
»Du siehst ihr sehr ähnlich«, hatte Ralf gesagt, während Christiane an seinem Bett saß und seine Hand hielt. »Du bist ihr auch sonst ähnlich… irgendwie jedenfalls…!«
Tante Anna war immer schmal und kränklich gewesen und nicht