„Und wo stecken sie?“ Während Broken sprach, wurde der Butler von den Überlebenden umringt. Keswick, Brokens Geschäftspartner, schien ungemein erleichtert zu sein. Er wollte wissen, wie Parker und Mike Rander es geschafft hatten.
„Ein durchaus als gnädig zu nennender Zufall zerschlug das Deck, Sir“, berichtete Parker, „Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit konnten die Kabine daraufhin verlassen, da die Tür der Kabine sich leider verklemmt hatte.“
„Dann sind wir ja bis auf zwei Personen vollzählig“, sagte Hank Curson, der Kapitän der „Seejungfrau“. Der massige, untersetzte Mann mit dem breiten Gesicht und den wasserhellen Augen schien sich mit dem Unglück noch nicht ganz abgefunden zu haben. Er machte einen niedergeschmetterten Eindruck.
„Darf man höflichst fragen, welche Personen fehlen?“ erkundigte sich Parker, der den gefundenen Toten bisher nicht erwähnt hatte.
„Es fehlen Norman Edwards und Miß Lombard“, zählte Kapitän Curson auf, „hoffentlich treiben sie sich irgendwo auf der Insel herum.“
„Ihr Lagerfeuer wird gewiß gesehen werden“, beruhigte Parker den Kapitän, „darf ich unterstellen, daß alle Anwesenden sich bester Gesundheit erfreuen?“
„Selbst wenn’s so ist, wird’s nicht lange Vorhalten“, meinte Playboy Jeff Deering, ein bereits leicht gealterter Mann von höchstens vierzig Jahren. Sein aufreibendes Leben als Salonlöwe hatte ihn bereits deutlich gezeichnet. Deering machte einen nervösen, fast ängstlichen Eindruck.
„Nun machen Sie mal halblang“, lärmte Broken optimistisch dazwischen, „lange kann’s nicht dauern, bis man uns hier findet. Was meinen Sie, Curson?“
„Das geht schon klar“, erwiderte der Kapitän der „Seejungfrau“ ohne jede Überzeugungskraft.
„Man muß Geduld und Vertrauen haben“, schaltete sich Mrs. Ethel Forest ein, eine schlanke, fast magere Dame von schätzungsweise fünfzig Jahren, die ein wenig salbungsvoll wirkte, „wir alle stehen in der Hand des Herrn!“
„Sehr richtig“, pflichtete John ihr bei. Ehemann Forest, ein wenig zur Korpulenz neigend, etwa fünfundvierzig Jahre alt, jünger als seine hagere Frau, schien ein sehr passiver Typ zu sein, wie Parker insgeheim feststellte. Er hatte inzwischen alle früheren Einschätzungen zur Person über Bord geworfen und orientierte sich neu. Nach der Strandung zeigten sich die Gäste der „Seejungfrau“ nackt und ohne Maske. Es gab jetzt keine Verstellung und keine Selbsttäuschung mehr.
Parker fiel auf, daß die drei Partygirls sich an dem Gespräch nicht beteiligten. Sie drängten sich trotz der Sonne frierend um das Lagerfeuer. Wie Pamela Clayton sahen sie ohne jede farbliche Aufmachung frisch und durchaus appetitlich aus. Sie hatten ihr geziertes Benehmen auf der zerschlagenen „Seejungfrau“ zurückgelassen.
„Wenn Sie erlauben, werde ich Mister Rander und Miß Clayton verständigen“, entschuldigte Parker sich und lüftete seine Melone, „könnten Sie inzwischen Ausschau nach den immer noch nicht gefundenen Mister Edwards und Miß Lombard halten?“
„Hatten wir ohnehin vor“, lärmte Broken selbstbewußt, „irgendwie habe ich jetzt ein gutes Gefühl, auch sie müssen sich vom Wrack gerettet haben!“
Parker verließ das Lagerfeuer und begab sich zurück ins dichte Unterholz. Er hörte, daß ihm einer der Gäste folgte, drehte sich aber nicht um.
„Hallo, Parker!“
Der Butler, bereits im Unterholz und vom Lagerfeuer aus nicht mehr zu sehen, blieb stehen und drehte sich nach Jeff Deering um. Der alternde Playboy sah sich mißtrauisch um und kam dann mit kleinen schnellen Schritten auf den Butler zu.
„Was kann ich für Sie tun, Sir?“ erkundigte Parker sich höflich.
„Wir … wir haben einen Mörder unter uns“, sagte Jeff Deering schnell und nervös, „ich weiß es genau. Ich habe nämlich Norman Edwards gesehen! Tot! Man hat ihm das Genick gebrochen, wenn Sie mich fragen!“
„Das ist eine Anschuldigung, Sir, für die Sie einen gewissen Beweis antreten sollten!“
„Beweisen kann ich überhaupt nichts.“ Jeff Deering schluckte nervös und wandte sich wieder in Richtung Lagerfeuer um, als fürchte er beobachtet zu werden, „ich habe nur so ein Gefühl, verstehen Sie?“
„Und wer sollte dieser Mörder sein?“ erkundigte Josuah Parker sich. „Haben Sie möglicherweise eine bestimmte Vorstellung?“
„Lassen Sie Keswick nicht aus den Augen“, gab Deering leise und fast beschwörend zurück, „ich weiß, daß er aus diesem Fach kommt!“
Bevor Parker weitere Fragen stellen konnte, war Playboy Deering schon im Unterholz verschwunden.
Dafür erschien besagter Mister Keswick auf der Bildfläche. Er gab sich ahnungslos, falls er Deering überhaupt gesehen hatte. Keswick, kompakt, untersetzt, irgendwie an eine Bulldogge erinnernd, bestimmt schon seine fünfundvierzig bis fünfzig Jahre alt, sah sich interessiert um.
„War Deering nicht gerade hier?“ fragte er dann unvermittelt.
„Sie suchen Mister Deering?“ Parker reagierte würdig, gemessen und sehr höflich.
„Nee, dem gehe ich lieber aus dem Weg“, erwiderte Keswick, der Geschäftspartner von Paul Broken, „dieser Bursche ist so gefährlich wie eine gereizte Klapperschlange.“
„Sie versetzen mich in einiges Erstaunen, Sir.“
„Kann ich mir vorstellen. Aber wer vermutet hinter Deering schon so etwas wie einen Gangster, oder?“
„Sind Sie sicher, Sir, daß Sie sich nicht täuschen?“
„Vollkommen sicher, Parker. Deering war mal eine gewisse Größe in Milwaukee, fragen Sie ihn doch selbst. Aber ich wette, darüber wird er Ihnen kaum etwas erzählen. Aber ich will nichts gesagt haben, klar?“ Keswick nickte dem Butler zu und huschte zurück ins dichte Gebüsch.
Josuah Parker ging kopfschüttelnd weiter. Sein vager Verdacht, der zuerst von einer verriegelten Kabinentür herrührte, verdichtete sich zur Gewißheit, daß sein junger Herr und er früher oder später mit einem raffinierten Mörder konfrontiert werden würden …
*
Parker, er war etwa zehn Minuten unterwegs, hörte plötzlich schräg vor sich das Knacken eines kleinen Astes.
Da mit Tieren auf dieser Insel nicht zu rechnen war, konnte dieses Geräusch nur ein Mensch verursacht haben. Der Butler, der sich beobachtet fühlte, ließ sich selbstverständlich nichts anmerken und schritt gemessen weiter.
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