Reisen nach Ophir. Rolf Neuhaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rolf Neuhaus
Издательство: Bookwire
Серия: marix Sachbuch
Жанр произведения: Путеводители
Год издания: 0
isbn: 9783843806329
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Schoa nach Harar; Arbeiten, die in geografischen Fachzeitschriften Englands, Italiens und Deutschlands zitiert werden. Einen Antrag Rimbauds auf Finanzierung einer neuerlichen Forschungsreise lehnt die Société de Géographie jedoch ab. Im Herbst 1887 ist er wieder in Aden, bittet beim Ministerium für Marine und Kolonien in Paris um Erlaubnis, Material und Ausrüstung zur Waffenfabrikation in die französischen Besitzungen in Ostafrika zu bringen. Der Minister lehnt den Antrag zunächst ab, genehmigt ihn jedoch nach einer Übereinkunft mit England, zieht die Genehmigung wegen neuer Verhandlungen mit England aber wieder zurück. Unterdessen bringt Rimbaud für den bedeutendsten Waffenhändler der Küste »dieses dreckigen Roten Meeres« ein Kontingent Gewehre illegal nach Schoa.

      Im Mai 1888 lässt sich Rimbaud erneut in Harar nieder, eröffnet als Partner des »sehr ehrenhaften Handelsherrn« César Tian, der seit Jahrzehnten in Aden lebt, ein Kontor, schickt Karawanen mit Kaffee, Elfenbein, Gummi, Gewürzen und Gold an die Küste, importiert Seide, Baumwolle, Mariatheresientaler – ein im Land gebräuchliches Zahlungsmittel –, kassiert bei seinen gemeinsamen Geschäften mit Tian die Hälfte des Gewinns, macht aber auch auf eigene Rechnung Geschäfte, unter anderem mit kleineren oder gröβeren Posten Waffen. Er ist viel unterwegs, allerdings sind die Wege nach Sturzregen häufig unbegehbar oder infolge von Aufständen und Kriegen versperrt, man »massakriert und plündert nicht schlecht in diesem Gebiet«, gleichwohl hält Rimbaud die Schwarzen weder für niederträchtiger noch für dümmer als »die weiβen Neger in den sogenannten zivilisierten Ländern«, sie sind es nur auf andere Art, das ist alles. Sie sind sogar weniger boshaft, können dankbar und treu sein, es kommt darauf an, menschlich mit ihnen umzugehen. Sein Profit steht in keinem Verhältnis zu dem Ärger und den Scherereien, die er hat, wer nach Harar kommt, läuft auf keinen Fall Gefahr, Millionär zu werden – auβer an Läusen. Wenigstens hat Rimbaud hier seine Freiheit, und das Klima ist gut. Gesundheitlich geht es ihm wieder bestens, nur langweilt er sich viel, eigentlich immer, in ganz Abessinien sind kaum 20 Europäer ansässig, die meisten von ihnen in Harar, ungefähr zehn, er ist der einzige Franzose. »Und ist es denn nicht ein Elend«, schreibt er nach Hause, was man zu Hause hören möchte, »dieses Dasein ohne Familie, ohne geistige Beschäftigung, verloren inmitten von Negern, deren Los man verbessern möchte und die ihrerseits versuchen, einen auszubeuten, und die es einem unmöglich machen, Geschäfte in kurzer Frist abzuwickeln? Genötigt, ihr Kauderwelsch zu reden, ihr dreckiges Essen zu nehmen, tausend Ärger über sich ergehen zu lassen, die von ihrer Faulheit, ihrer Verräterei, ihrer Stumpfsinnigkeit kommen!« Und das ist nicht einmal das Traurigste, vielmehr die Furcht, nach und nach selbst zu verrohen, zu vertieren, vereinsamt wie er ist und weit entfernt von aller vernünftigen Gesellschaft, »ich habe (…) nie jemand gekannt, der das Leben so satt hatte wie ich«.

      Am 20. Februar 1891 schreibt Rimbaud nach Hause, was man zu Hause gar nicht gern hört: dass es ihm schlecht geht. Seit 15 Nächten macht er kein Auge zu wegen rheumatischer Schmerzen »in diesem verfluchten Bein«, diesmal ist es das rechte, und »in diesem verdammten rechten Knie«. Das ist es, »was einem die Plackerei in dieser traurigen Gegend einbringt«, die Fuβmärsche von 15 bis 40 Kilometern täglich, die Gewaltritte durch die schroffen Berge, das ungesunde Quartier, zu leichte Kleidung, die schlechte Ernährung, der ständige Ärger mit »ebenso dummen wie schurkischen Negern«. Er glaubt, die groβe Hitze in Aden würde ihm gut tun, aber er kann nicht mal eben so weg von Harar, er hat groβe Auβenstände und verlöre viel Geld. Doch die Schwellung des Knies und die Schmerzen nehmen zu, Mitte März kann er keine Bewegung mehr machen und wird bettlägrig, in Harar gibt es keinen Arzt, er liquidiert sein Geschäft, lässt sich eine Trage anfertigen und mietet 16 »Negerträger« an, die ihn zwölf lange Tage lang durch die Wüste zum Hafen von Zeila schaukeln. In Aden bekommt er das einzige Zimmer im europäischen Krankenhaus, der englische Arzt diagnostiziert eine Gelenkwasser-Geschwulst im Knie und spricht von Beinabnahme, will aber doch erst einmal abwarten, ob die Schwellung bei Ruhe zurückgeht. Rimbaud liegt sich den Rücken wund, schläft nicht eine Minute, die Krankenhauskost ist miserabel, er magert zum Skelett ab, würde am liebsten zur Behandlung nach Frankreich gehen, aber erstens sind die Dampfer ausgebucht, weil im Frühling alle Welt aus den Kolonien nach Hause fährt, und zweitens hat er mit seinem Gesellschafter in Aden noch nicht vollständig abgerechnet. Er verliert ein paar Tausend Francs, kommt aber mit 35 000 Francs aus dem Geschäft heraus, »ein trauriger Lohn für so viel Arbeit, Entbehrungen und Mühen«.

      Rimbaud bekommt einen Platz auf dem Liniendampfer, trifft am 20. Mai in Marseille ein, ist so schwach, dass er dort ins Krankenhaus muss, sein rechtes Bein ist jetzt riesengroβ und gleicht einem gewaltigen Kürbis, sieben Tage später wird es amputiert, »ich bin ein toter Mann, verkrüppelt für mein ganzes Leben«. Dann müht er sich mit Krücken und einem Holzbein ab und hofft auf ein künstliches Bein mit Gelenken. Er bekommt heftige arthritische Schmerzen in Schulter und Arm, glaubt nicht, dass er inwendig gesund ist, verlässt trotzdem das Krankenhaus, um nach Hause zu fahren. In Roche verschlimmert sich sein Zustand, er braucht Wärme, ein anderes Klima, will nach Aden, seine Schwester Isabelle begleitet ihn, aber sie kommen nur bis Marseille, dort muss er wieder ins Krankenhaus. »Wo sind die Bergüberquerungen, die Gewaltritte, die Streifzüge, die Küsten, Flüsse und Meere? (…) Mein Leben ist vorbei, ich bin bloβ noch ein unbeweglicher Stumpf.« Er leidet unter fortschreitender Lähmung aller Glieder, zwischen Hüfte und Bauch bildet sich ein riesiges Krebsgeschwür auf dem Knochen, die Metastasen breiten sich über das Knochenmark aus – oder ist es doch die Maladie française? Er will immer noch nach Aden oder Obok oder Algier, in diese verteufelten Länder, sieht zugleich, dass es nicht möglich sein wird, er träumt sich in den Orient, sagt unablässig »Allah kerim«, Gott ist gnädig, und stirbt am 10. November mit 37 Jahren.

      2.

       Abgetrieben – Alexander von Humboldt zwischen Südsee und Orient

      Der Drang, bestimmte Orte, Länder, Landschaften zu sehen, hängt nicht allein von ihrer Schönheit, Bedeutung oder Groβartigkeit ab, sondern auch von zufälligen Eindrücken der Jugend, meinte Alexander von Humboldt. Die Unwahrscheinlichkeit, solche Reiseziele zu erreichen, erhöht dabei noch ihren Reiz, verstärkt die Sehnsucht. Schon als Kind beeindruckten Humboldt die Erzählungen von dem grauenhaften Marsch des Vasco Núñez de Balboa über die Landenge von Panama, wo dieser Abenteurer im Jahr 1513 als erster Europäer den Pazifischen Ozean erblickt hatte. In seiner Jugend erregten die jüngsten Südseefahrten und Weltumseglungen Bougainvilles, Cooks und anderer Entdecker Humboldts besonderes Interesse, in ihm wuchs die Leidenschaft für das Meer und längere Schiffspassagen heran. Als er dann in Göttingen Georg Forster kennenlernte, der an Cooks zweiter Pazifikfahrt teilgenommen hatte, und als Forster ihm auf ihrer gemeinsamen Reise den Rhein hinunter nach den Niederlanden und weiter nach England und Frankreich von den Inseln des Stillen Ozeans und besonders von O-Taheiti (Tahiti) erzählte, steigerte sich Humboldts schon von früher Jugend auf gehegter Wunsch noch, »in die schönen Länder des heiβen Erdgürtels« zu reisen und ferne, von Europäern kaum berührte Welten zu erforschen. 1797 war es so weit: Nach dem Tod seiner Mutter und dem Antritt des Erbes, das ihn finanziell unabhängig machte, pfiff er auf seine Bergbeamtenkarriere, quittierte den Staatsdienst und schmiedete Pläne für ausgedehnte Forschungsreisen. Doch manche seiner Reisewünsche blieben unerfüllt, die Wirklichkeit verweigerte sich seinen Träumen, selbst ein Humboldt war ein Spielball der Umstände, und seine Reisen hingen ebenso vom Zufall ab wie die Eindrücke der Jugend. Aus ihm wurde ein zweiter Kolumbus, der wissenschaftliche Entdecker Amerikas, wie man ihn genannt hat, er leistete eine immense Forschungsarbeit in vielen Einzeldisziplinen und zugleich in universeller Sicht, aber er befuhr nicht die Südsee, und er sah Indien nicht.

      Alexander besuchte seinen Bruder Wilhelm in Jena, betrieb dort mit Goethe naturwissenschaftliche Studien, in Dresden astronomische, in Wien botanische, in Salzburg geologische Forschungen, anschlieβend wollte er nach Italien, um vulkanologische Untersuchungen am aktiven Objekt – Vesuv, Stromboli, Ätna – durchzuführen, musste aber davon absehen, weil in Italien erneut der Krieg ausbrach und Napoleon wieder einmal Ordnung schaffte. Zum Trost schlug ihm der exzentrische Reise-, Kunst-, Altertums- und Frauenliebhaber Lord Bristol, Bischof von Derry, Namensgeber der Hotels, einen kleinen Ausflug von nur acht Monaten nach Oberägypten vor, mit Zeichnern und astronomischen Instrumenten den Nil bis Assuan hinauf; Humboldt willigte ein, behielt