Einen komplett keimfreien Darm.
Und jetzt verrat ich Ihnen noch was. Sobald wir ihren Darm wieder von Bakterien besiedeln lassen, ist sie schon nach ein, zwei Tagen ein geselliges, auf ihre Umwelt neugieriges, von den Mitmäusen voll akzeptiertes Tier.
Die Darmbakterien kommunizieren nicht nur über den Vagusnerv mit dem Gehirn, sie schütten Botenstoffe wie Dopamin und so weiter aus, die unmittelbaren Einfluss auf unser Gehirn, genauer den Mandelkern, unser emotionales Zentrum haben.
Wir wollen jeden einzelnen Bakterienstamm Ihres Stuhlgangs isolieren, alle an so einem abenteuerlustigen und zugleich ausgeglichenen Wesen beteiligten Bakterien klassifizieren, sie vermehren – und ich werde Ihnen versprechen, Ihre Scheiße wird für all die Depressiven, die Nervösen, die Vergesslichen, Sozialphobischen, Neurosenreichen unseres Gesellschaftsbiotopes Gold wert sein.
Haben wir Ihr Interesse geweckt?
Ja. Dann möchte ich Sie bitten, sich mit meiner jungen Kollegin Frau Doktor Hagen, die im Übrigen über das Projekt promoviert und hier auch schon alle Formulare mit Hintergrundinformationen, Kontaktdaten und Ihrer Einverständniserklärung bereithält, kurz hinter die Bühne zu begeben.
Und sofern möglich sofort, ansonsten ab morgen innerhalb von den nächsten sieben Tagen täglich eine Stuhlprobe abzugeben.
(Einige aus den Zuschauerreihen erheben sich, werfen sich und den anderen Zuschauern vielleicht fragende oder nach Bestätigung suchende Blicke zu – Soll ich? Soll ich wirklich? Soll ich nicht? – begeben sich dann mehr oder weniger zögerlich, vielleicht auch voll Neugier auf die Wissenschaft zu Frau Doktor Hagen, und mit ihr dann hinter die Bühne –)
So viel können wir Ihnen schon verraten:
Der Schatz der Nibelungen liegt nicht mehr in den Tiefen des Rheins begraben, sondern im menschlichen Darm.
Chor der Darmbakterien I – Der Nibelungenhort
DARMBAKTERIEN
Oho
Hört, hört
Geschwister hört
Habt ihr das gehört
Jetzt zuletzt
Haben sie uns zum Schatz erklärt
Nachdem sie alles
Alles, alles, alles
Aus der Tiefe der Erde
Der Berge, der Meere
Gebohrt, abgebaut
Geborgen, geraubt
Weißes Gold, Schwarzes Gold, Rotes Gold
Sich immer im rechtmäßigen Besitz geglaubt
Jetzt zuletzt
Sollen wir
Ihr Hort sein
Wir, die wir bisher
Mit Scham behaftet
Mit Ekel betrachtet
Als Kot verachtet
Nur an einem Ort
Dem stillen Örtlein
Zum Vorschein
Treten durften
Aus Notdurft
Unscheinbar klein
Sollen nun ihr Rheingold sein?
Doch ist das Rheingold
Ein Sold, den teuer bezahlen solle
Wer sich seiner bemächtigen wolle
Jede Sage
Die von ihm berichtet
Beschreibt es
Jeder Vers
Der über es gedichtet
Verheißt es:
Der Fluch der Gier
Schlimmer, der Nidgier
Lastet auf ihr
Der glänzenden Pracht
Streng bewacht
Von Zwergen, Rheintöchtern, Riesen, Drachen
Egal ob Hagen
Der ihr den Gatten Siegfried erschlagen
Die Erbin Kriemhild des Hortes beraubt
Da ihm vor solchem Reichtum in ihren Händen graut
Was ihre Wut nur weiter schürt
Und die Nibelungen in den Untergang führt
Oder ob der Zwerg Alberich
Den Rheintöchtern, die es bewachten
Und die ihn erst verlachten
Das Gold aus den Wassertiefen entreißt
Weil es heißt, dass schweißt man es zum Ringe
Man Macht über die ganze Welt gewinne
Das Schmiedstück jedoch nur jenem gelinge
Der sein Herz verschließe jeglicher Minne
Oder ob sich die Nibelungen
Im Kampf umschlungen
Darum erschlugen
Riesen wie ihr
Vielleicht riesiger
Und doch sind wir Winzlinge es wert
Dass man uns so begehrt:
Vermehrt in rasender Schnelle
Pflegen wir Zote und Zelle
Trainieren eure Immunsysteme
Vernichten Gifte, produzieren Proteine, Vitamine
Und fünfundneunzig Prozent eurer Glückshormone
Und vermögen es
Über den Vagusnerv
Der durchs Bauchfell
Zwischen Lunge und Herz
Längs der Speiseröhre entlang
Seine Enden direkt ins Gehirn streckt
Geradewegs Reize bis ins Frontalhirn zu senden
2 / DER RAUCHRITTER
TÜV-PRÜFER
Ich weiß nicht, warum Autos nicht aus Glas sind.
Aus Plexiglas, mein ich. Panzerglas. Bruchsicher natürlich.
Aber durchsichtig.
Durch und durch durchsichtig.
Ich weiß nicht, warum ich mich das nie gefragt habe.
Ich bin rückwärts aus dem Hof gestoßen und rechtsrum auf die Straße gebogen. Und hab dabei vielleicht einen Millimoment zu lang in den Rückspiegel geschaut, denn in dem Augenblick, in dem ich nach vorn setz, hör ich auch schon das leise Boff. Oder Flapp. Ich möcht fast schwörn, es war genau beim Einlegen vom Vorwärtsgang. Ich denk noch, es hängt was in der Gangschaltung. Als ich den Kopf nach vorn dreh. Boff. Ich wusst überhaupt nicht, wo das herkam. Rechts von mir alles zugeparkt, ohne Parkstreifen, alle halb auf dem ohnehin schmalen Gehweg. Ein leises Flapp. Wie ein Flügelschlag. Jeder hat das schon mal erlebt, wenn ein Vogel gegen die Fensterscheibe fliegt.
Der Aufprall war minimal, das kann ich beschwörn, weil das kleine Plastikröhrchen, eben befüllt mit meiner ersten Stuhlprobe für das Darmbakterienforschungsexperiment, rollt von der Erschütterung nicht mal vom Armaturenbrett runter. Ich schieb es wieder nach vorn, bis an die Scheibe, es ist noch warm und abertausende Bakterienaugen scheinen mich vorwurfsvoll daraus anzustarrn.
Weil ich Kohle mit ihnen machen will, anstatt sie in die Freiheit des Orkus gespült zu haben?
Oder haben sie etwas gesehen?
Es sind gar keine Augen!
Das sind kleine Bläschen, die sich zwischen den Scheißepartikeln