Anja Hilling
Engel
(die Verletzung, das Herz und die Gedanken)
FELIX BLOCH ERBEN
Verlag für Bühne, Film und Funk
Inhaltsverzeichnis
I. Bar
I. Polnisches Hotelrestaurant
I. Zu Hause
VI. Polnisches Hotelrestaurant
Personenverzeichnis
Asta, die BarkeeperinElisabeth, im Sand zurückgelassenOlaf, hat ein Zimmer frei jetztHartmut (Hardy) Kopetzki, der aus dem Gedächtnis maltHanno Biskop, dem die Frau verstorben warHeike, die Tochter auf WohnungssucheSonja/Elfi, die auch nicht weiß, wohinAxel, der nostalgische LiebhaberUlla, die nostalgisch Geliebte
sowie:
vier Passanten, die in Streit verfallen
zwei polnische Kellner
eine Sängerin
ORTE
eine Bar
zu Hause
ein Tattoostudio
ein Hotelzimmer
eine U-Bahn-Treppe
ein Hotelrestaurant in Polen
die polnischen Dünen
„Das Denken muss sich auf die vorliegende Lebenssituation beschränken. Alle Gedanken und Spekulationen, die darüber hinausgehen, verletzen nur das Herz.”
I-Ging: Der Berg (Die Unbeweglichkeit)
erster Akt: die Verletzung
zweiter Akt: die Gedanken
dritter Akt: das Herz
erster Akt: die Verletzung
I. Bar
Asta
Die Bar ist klein, gemütlich. Familiär könnte man sagen. Das Licht, die Polster rot, der Teppich grün. Auf dem Tresen Teelichter. Nach vier Stunden muss ich sie wechseln. Manchmal mach ich das, manchmal nicht, das hängt vom Abend ab. Ich bin Asta. Ich bin hier angestellt, nicht mehr und nicht weniger. Man sagt, ich sei schön, aber das mag am Licht liegen und am Alkohol. Es gibt vierzehn Whiskysorten, dreiundzwanzig andere Spirituosen, Gin, Wodka, Cognac, diese Dinge, vier Weißwein- und sechs Rotweinsorten. Drei Biersorten vom Fass. Wir können uns sehen lassen hier unten. Die Bar liegt im Keller. Über der Bar werden Zimmer vermietet. Aber das Geschäft läuft nicht gut. Wir befinden uns in Bahnhofsnähe. Wenn die Musik aus ist, wenn wir leise sind, kann man die Lautsprecheransagen vom Bahnsteig hören. Die Hotelgäste sind Reisende. Bleiben für eine Nacht. Manchmal zwei. Mit der Bar ist das anders. Die Gäste hier sind bekannt. Ihre Gesichter sind mir vertraut, sie verfolgen mich im Schlaf. Sie sind gerne hier, glaub ich. Vielleicht liegt die Bar auch in der Nähe oder ihnen gefällt die Musik oder das Licht oder die Barkeeperin oder oder oder. Ich weiß es nicht, ich weiß nur, ich verbringe mehr Zeit mit ihnen als mit meinem Vogel. Ein Wellensittich. Über seinen Käfig leg ich eine Decke wenn ich zur Arbeit geh.
Aber um mich geht s hier nicht.
Ich nenne die Gäste in ihrer Reihenfolge am Tresen, von links nach rechts.
An der linken Seite Herr Hanno Biskop, schütteres Haar, aber glänzend, langes Gesicht, die Augenbrauen dunkel und dicht. Er lächelt. Vor sich ein Cuba Libre, Cola mit Rum, eine Limette am Rand. Ein Cocktailschirmchen, ausnahmsweise. Er ist nicht allein. Neben ihm eine Frau, ein verletztes Bein auf einen Hocker gelegt. Die Frau heißt Elfi. Oder Sonja. Egal. Sie lächelt ihn an.
Zwei, nein drei Hocker weiter an der Ecke, am Knick des Tresens, Hardy, er hat die Jacke noch an, sein Nacken ist breit, seine Schultern auch, alles an ihm. Seine Arme können nicht dicht an seinem Körper liegen, so füllig sind sie. Über seinen Rücken sein Haar, zu einem Schwanz gebunden, reicht bis zur Brustwirbelsäule. Sein Haar ist fein, blond, fast golden im Schein der Lampe. Er trinkt Bier.
Gegenüber von mir, zwei Hocker von Hardy entfernt, eine Frau. Elisabeth. Sie trinkt Sekt. Hardy kann die Augen nicht von ihr lassen. Sie sieht mich an, nicht ihn. Sie denkt, wir sind verbunden, durch ein Geheimnis, eine Art Schmerz.
Auf dem letzten Stuhl, ganz rechts außen, Axel. Er ist noch nicht oft hier gewesen. Erst einmal. Aber er hat sich schon verändert. Seine Frisur ist furios geworden seitdem. Er hat ein Zimmer gemietet im ersten Stock. Länger als geplant. Sein Blick geht nach unten. In ein Glas.