Nur nach langem Zögern hatte Josuah Parker zugestimmt. Als eingefleischter Engländer hielt er nicht besonders viel von Amerika. Und selbst jetzt nach Jahren war er ein eingefleischter Engländer geblieben. Und ein steifleinener, überaus korrekter Butler dazu. Daß er die Staaten inzwischen schätzte und liebte, ließ er sich grundsätzlich nicht anmerken.
Wenn Anwalt Mike Rander die Kriminalistik als Hobby betrachtete, so war sie für den Butler zu einer Leidenschaft geworden. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte er seine Anlagen, baute sie aus, brachte sie zu einer atemberaubenden Perfektion.
Butler Josuah Parker war listenreich wie ein Fuchs, kannte alle Tricks und erfand immer wieder neue dazu. Er verblüffte seine Gegner mit Banalitäten, technischen Überraschungen und immensen Kenntnissen.
Gangster, die bereits Kontakt mit ihm gehabt hatten, fürchteten ihn wie die Pest. In einschlägigen Kreisen waren seine schwarze Melone und sein Regenschirm fast zu einem Mythos geworden. Selbst Anwalt Rander wurde aus seinem Butler nie ganz klug. Angebote, in Randers Firma als Teilhaber einzutreten, lehnte der Butler stets ab. Er war und blieb der treue Butler seines Herrn, der immer dann zur Stelle war, wenn man ihn brauchte. Und Josuah Parker war immer schnell zur Stelle. Auch wenn er sich einer barocken und reichlich umständlichen Ausdrucksweise bediente, die er selbst in den vertracktesten und gefährlichsten Situationen niemals aufgab.
Mike Rander wollte sich gerade an den Arbeitstisch setzen, als das Telefon klingelte. Da dieser Anschluß nur über eine Geheimnummer zu erreichen war, mußte es Parker sein. Rander hob den Hörer aus der Gabel und meldete sich. »Sir, ich bedaure es ungemein, Sie stören zu müssen«, begann Josuah Parker. »In Erledigung Ihres Auftrags begab ich mich in das bewußte Hotel, um Mr. Harrison einen Besuch abzustatten.«
»Trafen Sie ihn an?«
»Es ist mir peinlich eingestehen zu müssen, Sir, daß ich Mr. Harrison um nur wenige Minuten verpaßte. Durch eine glückliche Fügung des Zufalls wurde ich dann allerdings Zeuge eines Gesprächs, das der Nachtportier mit einem Mann führte, den er in vulgärer Art als ›Boß‹ bezeichnete.«
»Ist ja toll, Parker …! Hinter Harrisons Verschwinden steckt also doch eine Gang, oder?«
»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich Ihnen beipflichten. Ich war in der erfreulichen Lage, mir die vom Nachtportier gewählte Telefonnummer merken zu können.«
»Parker, machen Sie’s bloß nicht so spannend. Wer versteckt sich hinter dieser Telefonnummer?«
»Ich nahm mir die Freiheit, das zu ergründen, Sir. Dieser Anschluß ist identisch mit einer Großhandlung für Südfrüchte aller Art. Die betreffende Firma gehört einem gewissen Mr. Walt Hostans. Sie befindet sich im Gebiet der Industriehäfen.«
»Kennen wir diesen Hostans?« erkundigte Mike Rander sich. Auf Parkers Gedächtnis konnte er sich verlassen.
»Ich kann leider nicht dienen, Sir.«
»Von wo aus rufen Sie jetzt an?«
»Um rationell zu arbeiten, Sir, fuhr ich sofort hinaus zu den Kais. Zur Zeit befinde ich mich in einer äußerst schmutzigen, öffentlichen Telefonzelle, genau gegenüber der Firma Hostans, die rein äußerlich einen recht ansprechenden Eindruck macht, wenn ich mir diese private Anmerkung vielleicht gestatten darf.«
»Natürlich, Sie dürfen«, antwortete Rander und grinste. »Wie ich Sie kenne, wollen Sie sich die Firma mal aus der Nähe ansehen, oder?«
»Sir, ich danke Ihnen für Ihr Verständnis«, gab Parker zurück.
»Ich sollte zu Ihnen rauskommen, Parker«, schlug Rander vor.
»Oh, ich möchte Ihre Zeit auf keinen Fall unnötig in Anspruch nehmen«, wehrte Parker das Hilfsangebot seines Herrn ab. »Mir ging es einzig und allem dämm, meine weiteren Schritte mit Ihnen, Sir, gründlich abzustimmen.«
»Also gut, sehen Sie sich mal um. Wenn Sie sich per Telefon nicht innerhalb der nächsten Stunde melden, werde ich eine Hilfsexpedition ausrichten, Parker. Inzwischen will ich mal mit meinen Freunden von der Polizei reden und mich nach diesem Walt Hostans erkundigen. Könnte ja sein, daß er dort registriert ist.«
Mike Rander legte auf und zündete sich eine Zigarette an. Im Grunde paßte es ihm nicht, daß Parker wieder einmal allein und auf eigene Faust handelte. Die Gefahr war schließlich zu groß. Gangster, die sich beobachtet fühlen, reagieren immer hart und schnell. Gewiß, Butler Parker war alles andere als ein Anfänger, aber auch der Geschickteste kann schließlich stolpern und Pech haben.
Mike Rander sah auf seine Armbanduhr.
Es war 19.43 Uhr.
In genau einer Stunde lief die Frist ab, die er seinem Butler gestellt hatte. Hoffentlich meldete Parker sich schon viel früher. Rander hing schließlich an Josuah Parker, der für ihn weit mehr als nur ein Butler war.
Um die Zeit wenigstens in etwa auszufüllen, rief er das Hauptquartier der Stadtpolizei von Chikago an. Er ließ sich Leutnant Current von der Zentralen Mordkommission geben.
Nach wenigen Sekunden meldete sich eine harte Stimme. Sie erwärmte sich um eine Nuance, als Mike Rander seinen Namen nannte.
»Ich wette, ich muß wieder mal Kindermädchen spielen«, sagte Current. Sein Lachen klang wie das Bellen eines heiseren Hundes. »Sitzen Sie in Schwierigkeiten, Rander? Sind Sie mal wieder über eine Leiche gestolpert? Was muß ich ausbügeln?«
»Kennen Sie einen Walt Hostans?«
»Keine Ahnung, Rander. Was soll er ausgefressen haben?«
»Noch weiß ich das nicht. Parker interessiert sich für diesen Namen.«
»Parker …?« Verblüffung herrschte auf der Gegenseite. Wenn Parkers Name erwähnt wurde, stutzte selbst der eisenharte Leutnant Current. Dann witterte auch er sofort einen Fall, der früher oder später durch die Tageszeitungen ging. »Hören Sie, Rander, was liegt da bei euch an, he? Ich habe keine Lust, wieder mal vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Diesmal nicht …!«
»Nichts ist los, Current«, antwortete Mike Rander harmlos. »Wir stolperten rein zufällig über diesen Namen. Hätte ich Sie sonst angerufen?«
»Na ja …! Ich werde im Archiv nachfragen, Rander. In spätestens zehn Minuten rufe ich wieder an.«
Der Anwalt bedankte sich und legte auf. Er war nicht besonders verwundert, als Current später anrief und ihm mitteilte, ein Walt Hostans sei der Polizei unbekannt.
Was besagte das denn schon …? Hauptsache war, Josuah Parker hatte die Spur dieses Mannes aufgenommen. Und wenn Parker sich für einen Menschen interessierte, dann bestimmt nicht ohne Grund …!
Josuah Parker verließ die Telefonzelle und überschritt die breite Fahrbahn.
Auf ihr herrschte gerade um diese Zeit ein toller Verkehr. Parker schien ihn überhaupt nicht zu bemerken. Steif und würdevoll wie ein nach Fröschen suchender Storch betrat er die Straße. Das Kreischen der Bremsen um ihn herum ignorierte er souverän. Er ging keinen Schritt schneller. Um ihn herum öffnete sich eine Gasse. Andeutungsweise nickend, sich damit bedankend, stelzte der Butler auf die andere Gehseite zu.
Hartgesottene Lastwagenfahrer, nervöse Menschen aus Fabriken und Büros starrten ihm nach. Auch sie glaubten eine Erscheinung aus einem vergangenen Jahrhundert vor sich zu haben. Wer trug denn schon hier in Chikago solch einen altertümlichen, schwarzen Covercoat, eine schwarze Melone und dazu noch einen altväterlich gewickelten Regenschirm? Und das bei dieser drückenden Schwüle …?
Butler Parker bog nach rechts ab, mischte sich unter die Passanten und blieb vor dem Tor zur Firma Walt Hostans stehen.
Das Pförtnerhaus war leer. Aber an der niedergelassenen Barriere stand ein untersetzter, etwa 50jähriger Mann, der eine Art Uniform trug.
Er kniff die Augen zusammen, als Parker plötzlich vor ihm stand.
»Ja …?« fragte er nur und rieb sich die Augen.
»Es