»Der Chief-Superintendent weiß nur, daß es sich um eine gewisse Ballerina handelt, die hinter diesen Anschlägen steckt«, gab Parker Auskunft. »Wer diese Ballerina jedoch sein könnte, entzieht sich seinem momentanen Wissensstand, Mylady.«
»Ich werde mich sofort um diese Ballerina kümmern, Mister Parker«, versprach sie. »Treffen Sie alle Vorbereitungen dazu. Ich werde McWarden wieder mal zeigen, wie man einen solchen Fall löst!«
*
»Ich habe die Tänzerinnen und Tänzer nach Hause geschickt, Mylady«, sagte Jill Handley und deutete auf den Flügel, der vor einer großen, rechteckigen Spiegelwand stand. Dort standen einige Porzellan-Figuren, die Mylady und Parker bereits kannten.
»Sie erhielten demnach eine Drohung, Miß Handley?« erkundigte sich Parker. Er hatte die ältere Dame ins Studio der Ballett-Company begleitet. Es befand sich im Obergeschoß einer ehemaligen Baumwoll-Spinnerei im Londoner Osten.
Jill Handley mochte etwa dreißig sein. Sie war groß, überschlank und hatte ein schmales Gesicht und dunkle Augen. Über ihrem eng anliegenden Trikot trug sie einen wärmenden Steppmantel. Am Klavier saß ein älterer, vielleicht fünfzigjähriger Mann, der in Noten blätterte.
»Barnly wurde während der Probe an die Tür gerufen und erhielt ein Päckchen für ’mich«, berichtete Jill Handley. »In diesem Päckchen waren die Ballerinen dort und dann hier dieses Drohschreiben.«
Während sie noch redete, reichte sie Mylady einen Briefbogen, den die ältere Dame wie selbstverständlich sofort an ihren Butler weitergab.
»Die Ballerina, Mylady, die die Zeilen auch unterschrieb, verweist auf die Porzellan-Figuren und die diversen Risse«, informierte Parker über den Inhalt. »Sie droht mit körperlich entsprechenden Schäden.«
»Das dachte ich mir«, erwiderte Lady Agatha und wandte sich an Jill Handley. »Wann und wo wollten sie noch auftreten, meine Liebe?«
»Wir wollten in acht Tagen unsere Tanz-Company vorstellen, Mylady«, erwiderte Jill Handley. »Aber das können wir jetzt wohl vergessen.«
»Auf keinen Fall«, protestierte die ältere Dame.
»Die Ballerina droht mit nachhaltigen körperlichen Schädigungen«, meldete der Butler sich zu Wort. Er hatte inzwischen die feinen Haarrisse untersucht. »Wenn man den diversen Bruchstellen Glauben schenken darf, was man sicher soll, so ist mit Arm- und Beinbrüchen zu rechnen.«
»Papperlapapp, Mister Parker«, reagierte Lady Agatha ungeduldig. »Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«
»Ich kann das Risiko für meine Tanzgruppe einfach nicht eingehen«, warf die Leiterin der Tanz-Company ein. »Dabei hatten wir so wunderschöne Angebote.«
»Darf man mehr darüber erfahren, Miß Handley?« bat Parker.
»Wir haben bereits einen Vorvertrag für ein neues Musical, das im Herbst herauskommen wird«, beantwortete die Choreographin die Frage und blickte Lady Agatha an. »Sie wollten sich ja finanziell an dieser Produktion beteiligen.«
»Erst, meine Beste, wenn ich mit eigenen Augen gesehen habe, was Ihre Company kann«, schränkte die ältere Dame schleunigst ein. »Bei dieser Gelegenheit werde ich Ihnen zeigen, daß Sie mir auf dem Gebiet des Tanzes wohl kaum etwas vormachen können. Sagte ich Ihnen nicht bereits, daß ich früher mal im Spitzentanz ausgebildet wurde?«
»Das Musical können wir vergessen«, wiederholte Jill Handley noch mal. »Ich kann die Gesundheit meiner Tänzerinnen und Tänzer nicht aufs Spiel setzen.«
»Vertrauen Sie mir, meine Liebe, sie werden auftreten«, kündigte Lady Agatha erneut an. »Mister Parker hat in meinem Auftrag bereits mit den Ermittlungen begonnen.«
Sie wollte noch weiterreden, doch in diesem Augenblick erhob sich der kleine Klavierspieler und trippelte auf sie zu.
»Kann ich jetzt gehen, Miß Handley?« fragte er. »Ich habe noch einen anderen Termin.«
»Natürlich, Barnly, gehen Sie ruhig, hier tut sich doch nichts mehr.«
»Und wann soll ich wiederkommen?«
»Ich werde Sie anrufen, Barnly.« Der Klavierspieler nickte nach diesem Hinweis und schlurfte aus dem Studio.
»Ein seltsamer Mann«, stellte Mylady fest.
»Barnly?« gab die Choreographin flüchtig lächelnd zurück. »Er ist vor allen Dingen ein geduldiger Mann, Mylady, und ein sehr guter Begleiter bei den Proben.«
»Ich traue ihm nicht recht«, mokierte sich Agatha Simpson. »Wie sieht sein Vorleben aus? Kennen Sie ihn überhaupt?«
»Mylady, Sie glauben doch etwa nicht, daß er etwas mit dieser Ballerina zu tun hat?« Jill Handley blickte die Detektivin mehr als erstaunt an.
»Sie kennen ihn seit längerer Zeit, Miß Handley?« Die ältere Dame ließ sich nicht beirren.
»Seit vielen Jahren, Mylady«, erwiderte die Tanzlehrerin. »Barnly war früher mal Tänzer, aber wegen seiner Größe konnte er nie Karriere machen. Seit dieser Zeit begleitet er auf dem Klavier.«
»Mister Parker, erinnern Sie mich bei Gelegenheit an diesen Mann«, verlangte die ältere Dame. Bevor der Butler darauf reagieren konnte, wurde die Tür zum großen Tanzstudio jäh aufgerissen.
Zwei Männer erschienen auf der Bildfläche und machten einen wenig geselligen Eindruck.
*
Sie waren mittelgroß, schlank und etwa fünfundzwanzig Jahre alt Sie trugen schwarze Lederhosen und Jeans-Jacken. Jeder von ihnen zeigte einen Baseballschläger und machte deutlich, daß er mit diesen an sich harmlosen Sportgeräten umzugehen verstand. Sie ließen sie durch die Luft zischen und näherten sich Mylady, Parker und Jill Handley.
»Man erlaubt sich, einen recht angenehmen Abend zu wünschen«, grüßte Parker und lüftete die schwarze Melone. »Könnte es übrigens sein, daß Sie sich im Studio geirrt haben?«
»Halt’ den Rand, Alter«, herrschte ihn einer der beiden Männer an und konzentrierte sich dann auf die junge Frau. »Du bist Jill Handley, wie?«
»Was wollen Sie hier?« fragte die Choreographin ängstlich.
»Eine von den Figuren war für dich .gedacht«, fuhr der Mann fort und warf wie beiläufig einen spöttischen Blick auf Lady Agatha. »Du kannst dir eine davon aussuchen.«
»Wir richten uns dann danach«, fiel der zweite Besucher ein und lächelte spöttisch-überlegen. Für ihn waren Mylady und Parker so gut wie nicht vorhanden.
»Eine ... eine Figur aussuchen?« reagierte Jill Handley nervös.
»Klar doch, soll’s ein Fuß sein? Oder vielleicht ’ne Hand?«
»Wie wäre es denn mit ein paar gebrochenen Rippen?« bot der andere Schläger an.
»Wenn Sie gestatten, meine Herren, möchte meine Wenigkeit eine Erklärung abgeben«, meldete Parker sich zu Wort.
»Los, mach’ schon«, forderte ihn der erste Schläger auf.
»Sie dürften das, was man gemeinhin die Kinderstube zu nennen pflegt, im Eiltempo durchschritten haben«, sagte Parker.
»Mit dir beschäftigen wir uns gleich«, drohte der Schläger und grinste fast fröhlich. Er ließ seinen Baseballschläger durch die Luft zischen. »Aber dann kannst du dir nichts aussuchen.«
Er stand zu seinem Pech in Reichweite der älteren Dame. Genauer gesagt, ihr Fuß war in der Lage, einen Tritt auszuteilen. Und genau das besorgte Agatha Simpson geradezu lustvoll. Ohne Vorankündigung ließ sie ihren rechten Fuß vorschnellen. Der mächtige, solide Schuh traf haargenau das linke Schienbein des Schlägers und verursachte ein deutlich hörbares Knacken.
Der Getroffene