„Ich werde Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, Parker.“ Andrew zündete sich die unvermeidliche Zigarette an. „Vor vielen Generationen siedelten die ersten Harpers sich hier in der Gegend an. Sie schafften es in sehr kurzer Zeit, überall den Ton anzugeben. Ihre Methoden, sich durchzusetzen, waren bestimmt nicht immer fein, aber sie schafften es. Sie sind noch heute das, was man ungekrönte Könige nennt. Walt P. Harpers ist nun seit vielen Jahren Witwer und vergötterte seinen einzigen Sohn, sein einziges Kind. Versetzen Sie sich jetzt mal in seine Lage!“
„Warum muß Harpers annehmen und unterstellen, daß sein Sohn ermordet worden ist? Dafür muß es meiner bescheidenen Ansicht nach gravierende Gründe geben.“
„Richtig, Parker, stimmt haargenau … Die Harpers sind hier im Bezirk die ungekrönten Könige, aber sie haben Konkurrenz.“
„Die Farewells …?
Hale Andrew sah den Butler interessiert an und grinste.
„Sie wissen Bescheid“, meinte er dann, „nein, nein, erklären Sie mir nicht, woher Sie den Namen Farewell kennen … Bleiben wir bei der Geschichte, die ich Ihnen erzählen wollte … Was die Farewells angeht, so liegen Sie richtig. Die Farewells und die Harpers sind Todfeinde, schon seit vielen Generationen.“
„Um so erstaunlicher, daß sich in dem vom Wege abgekommenen Wagen Glenn Harpers und Miß Farewell befunden haben, finden Sie nicht auch?“
„Wie kommen Sie denn darauf, daß die junge Dame Miß Farewell gewesen sein soll?“ Sheriff Andrew wunderte sich.
„Nun, wenn mich nicht alles täuscht, fiel dieser Name, nachdem Ihre beiden Hilfssheriffs mich am Geröllhang festnahmen.“
„Ach so, daher das Mißverständnis! Diese Miß Farewell ist es nicht … Es handelt sich bei Gloria Farewell um eine entfernte Verwandte, die mit den wirklichen Farewells überhaupt nichts zu tun hat.“
„Darf ich etwas mehr über die richtigen Farewells hören, Sir?“
„Warum denn nicht?“ Sheriff Andrew gab sich keineswegs zurückhaltend. „Die Farewells haben ebenfalls nur einen Sohn, das einzige Kind … Etwa so alt wie Glenn Harpers … Richard heißt der Junge, ein ausgekochter Bursche, der Glenn Harpers glatt in die Tasche steckt. Er dürfte fast noch härter sein als sein Vater Cliff, der sich auch schon sehen lassen kann.“
„Miß Gloria Farewell ist also eine verarmte Verwandte aus einer Seitenlinie der Familie, oder irre ich mich?“
„Sie haben die Lage genau erfaßt, Parker. Gloria Farewell stammt aus einer Seitenlinie der Familie, hat sich aber von dieser Sippe abgesetzt. Sie leitet ein komfortables Berghotel drüben am Hang. Müßten Sie sich einmal ansehen.“
„Dieses Hotel gehört wem, wenn ich fragen darf?“
„Einigen Geldgebern, die im Moment keine Rolle spielen. Sie stammen aus Denver …!“
„Miß Gloria Farewell scheint nach Lage der Dinge gewisse Beziehungen zu den Erbfeinden der Farewells unterhalten zu haben.“
„Weil sie mit Glenn Harpers im Wagen saß?“
„Drängt dieser Schluß sich nicht förmlich auf, Sir?“
„Sie vergessen, daß Gloria mit den eigentlichen Farewells kaum etwas zu tun hat. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, daß Gloria, von den Farewells sogar verachtet wird. Sie lebt ihr eigenes Leben.“
„Eine interessante Familiengeschichte“, faßte Parker zusammen. „Auf der einen Seite hat man es mit den Harpers’ zu tun, auf der anderen Seite mit den Farewells. Beide Familien hassen sich, wenn ich Sie richtig verstanden habe.“
„Sie haben’s begriffen, Parker …“
„Sie hassen sich derart, daß sie sich gegenseitig umbringen würden?“
„Wahrscheinlich. Zumindest nicht ausgeschlossen. Hoffentlich haben Sie auf das richtige Pferd gesetzt, als Sie auf die Farewells gesetzt haben.“
„Ich fürchte, Sir, Sie wollen unbedingt eine ganz bestimmte Vermutung, die Sie sich in den Kopf gesetzt haben, aktualisieren. Darf ich Sie offen fragen, ob Sie mich wirklich für den Mörder von Glenn Harpers halten?“
„Gegenfrage, Parker! Was wollte Steven Landly bei Ihnen?“
„Steven Landly …?
„Dieser magere Bursche, der sich zu Ihnen ins Hotel stahl.“
„Jetzt begreife ich …“ Parker erinnerte sich noch sehr wohl dieses mageren Mannes, der ihm immerhin tausend Dollar verabreicht hatte.
„Also, was wollte er von Ihnen? Sheriff Andrew war gut informiert. Es war selbstverständlich, daß er das Hotel überwachen ließ. In Heartville entging ihm wohl kaum etwas von Belang.
„Jener bewußte Mr. Landly, wie Sie ihn nennen, Sir, beschwor mich, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Er warnte mich freundlicherweise vor Mr. Harpers senior.“
„Landly hatten Sie natürlich vorher noch nie gesehen, wie?“
„In der Tat, Sir.
„Sie wissen selbstverständlich auch nicht, daß er aus Denver stammt und ein Gangster ist!?“
„In der Tat, Sir, auch wenn ich mich wiederhole …“
„Schade, daß Sie nicht gefahren sind“, meinte Andrew und ging zur Tür. „Sie hätten sich damit wahrscheinlich viel Ärger erspart. Aber Sie müssen natürlich wissen, was Sie tun …“
Andrew öffnete die Tür.
„Es bleibt bei meiner Auflage“, warnte er, „Sie verlassen Heartville nicht ohne meine Genehmigung … Halten Sie sich daran …!“
*
Parker stand am Fenster und sah dem davonfahrenden Sheriff nach. Er versuchte sich ein Bild von diesem Mann zu machen. Auf welcher Seite stand Sheriff Andrew? Sorgte er sich nur um seine Wiederwahl, die ja irgendwann einmal stattfand? Vertrat er, gewollt oder ungewollt, die Interessen von Walt P. Harpers? Oder galten seine Sympathien der Sippe der Farewells? Wollte er sich die Arbeit erleichtern? Suchte er nur nach einem passenden Schuldigen?
Parker war interessiert worden. Dies lag nicht daran, daß er für einen Mörder gehalten wurde. Sein Interesse galt dieser Stadt mit Herz und Charme, wie die Reklametafeln behaupteten. In dieser Stadt schien der Ungeist der Angst, des Terrors und des Hasses zu herrschen. Diese kleine Stadt brauchte frischen Wind aus allen Richtungen! Zudem galt es, einen Mörder zu finden.
Einen Mörder …?
Wieso war Walt P. Harpers so fest davon überzeugt, daß sein Sohn Glenn ermordet worden war? Warum übersah dieser Mann alle Anzeichen eines offensichtlichen Autounfalls? Warum redete auch Sheriff Andrew von Mord? Wußte er mehr, als er zugeben wollte? Warum hatte dieser Steven Landly ihm tausend Dollar in die Hand gedrückt? Ließ das darauf schließen, daß man in ihm versehentlich einen Mörder sah, der entlohnt worden war?
Parker beschloß, eine Antwort auf jede einzelne Frage einzuholen und zu bleiben. Gewisse Dinge spielten sich nach eigenen Gesetzen ab. Er wußte im vorhinein, daß sich bald neuer Besuch einstellen würde.
Er wurde nicht enttäuscht …
Das Telefon läutete.
„Parker“, meldete der Butler sich ungewöhnlich knapp.
„Hören Sie“, sagte eine undeutliche Stimme, „Sie sitzen doch im Druck, ja? Man hält Sie doch für einen Mörder, oder? Passen Sie auf, ich habe da ein paar tolle Informationen für Sie …! Wenn Sie wollen, können Sie sich in der nächsten Stunde schon ’reinwaschen … Sie brauchen sich nur mit mir zu treffen.“
„Wann und wo sollte dieser Treffpunkt sein?“
„Im Zederntal … Ich mache mich da schon