Ihre Mutter wollte sie ablenken, das war lieb gemeint. Inge war sich nämlich sicher, dass sie viel mehr und viel aktuellere Bilder von der Kleinen hatte.
Sie stand auf, holte ihr Smartphone, setzte sich neben ihre Mutter, zeigte ihr alles, was sie in letzter Zeit von Ricky bekommen hatte. Ihre Mutter war keine gute Schauspielerin, sie heuchelte Begeisterung, dabei kannte sie die Fotos. Inge hatte sich nicht getäuscht.
Auf jeden Fall entspannte Inge sich, und damit hatte ihre Mutter ihr Ziel erreicht.
Inge war eine begeisterte Großmutter, sie liebte all ihre Enkelkinder, und es tat ihr noch immer in der Seele weh, dass der Kontakt zu Jörgs Kindern vollkommen abgebrochen war, seit Stella mit ihnen und ihrem neuen Lover nach Brasilien ausgewandert war.
Die kleine Teresa, das Nesthäkchen bei Ricky und Fabian, die war etwas ganz Besonderes. Man konnte nicht genug von ihr bekommen, und so begannen sowohl Großmutter als auch Urgroßmutter so richtig zu schwärmen.
Das Zerwürfnis mit Werner war vergessen, sie machten sich keine Sorgen um Hannes, dachten nicht an Jörg oder Ricky, an die anderen Kinder.
Teresa …
Das war jetzt ihr Thema, und es wäre vielleicht noch eine ganze Weile so weitergegangen, wenn nicht Magnus von Roth gekommen wäre, der sich schon Sorgen machte, weil seine Teresa nicht nach Hause kam.
Er war allerdings sofort besänftigt, als er den Kuchenteller sah, und dann noch seinen Lieblingskuchen.
Magnus war ganz anders drauf, er hatte gegen seinen Partner im Schach verloren, und deswegen grämte er sich sehr, weil er es nämlich normalerweise war, der gewann …
»Papa, man muss auch mal verlieren können, das hast du mir früher eingetrichtert, und ich habe es verinnerlicht.«
Magnus lachte.
»Na ja, ich bin nicht sauer, und wenn, dann auf mich, weil ich einen Augenblick lang unachtsam war, und das hat mein Gegner ausgenutzt. Aber jetzt genug davon. Inge, bekomme ich zu dem Kuchen auch einen Kaffee?«
Den bekam er, und Inge schenkte sich auch gleich einen ein, weil sie ihrem Vater schließlich Gesellschaft leisten musste, das sah Teresa ebenfalls so, sie nahm noch ein Stückchen Kuchen.
Tochter und Eltern verstanden sich, es gab viele gemeinsame Berührungspunkte. Die dunklen Wolken begannen sich zu verziehen.
*
Draußen tobte ein schweres Gewitter, den zuckenden Blitzen folgte unmittelbar darauf ein krachendes Donnern. Es war beängstigend.
Doch das Wetter passte zu ihrer Stimmung, dachte Rosmarie. Sie und Heinz lebten nur noch aneinander vorbei, und sie brachte nicht den Mut auf, ihre Drohung in die Tat umzusetzen, einfach mal zu verreisen.
Wahrscheinlich nahm Heinz sie nicht mehr ernst, weil sie vieles ankündigte und nichts in die Tat umsetzte.
Rosmarie war von einer merkwürdigen Unruhe erfüllt, die auch die Hunde spürten. Beauty und Missie hatten sich verzogen, von ihnen war nichts zu sehen. Aber vielleicht hatten sie auch nur Angst vor dem Gewitter.
Rosmarie stand auf, trat ans Fenster, presste ihre Stirn gegen das kühle Glas der Scheibe.
Es tobte nicht nur ein Gewitter, Sturm heulte um das Haus, und Regen klatschte gegen die Fensterscheiben. Draußen bogen sich die Bäume, der Sturm riss an ihren Ästen und Zweigen, einen Baum hatte es bereits umgerissen. Er lag entwurzelt mitten auf dem gepflegten Rasen, der jetzt übersät war von heruntergefallenem Laub.
Entwurzelt, so fühlte sie sich ebenfalls.
In ihr tobte es ebenfalls.
So konnte es nicht weitergehen.
Rosmarie wandte sich vom Fenster ab, durchquerte eilig den Salon und ging nach nebenan ins Fernsehzimmer, wo Heinz sich, trotz des Gewitters, ein Fußballspiel ansah. Das war nichts weiter als ein Alibi, denn die beiden Vereine, die da gegeneinander spielten, interessierten ihn nicht. Er wollte nur nicht mit ihr reden.
Doch das wollte Rosmarie jetzt, genau das.
»Heinz, wir müssen miteinander reden.«
Es gab keine Reaktion.
Als Rosmarie ihren Satz wiederholte, antwortete er: »Kannst du mal zur Seite gehen und gefälligst still sein, ich möchte mir das Spiel ansehen.«
Rosmarie wurde wütend.
Sie rannte zum Tisch, griff nach der Fernbedienung, machte den Fernseher aus, und seine Proteste waren ihr gleichgültig.
»Heinz, es tut mir leid, zuerst reden wir, dann kannst du tun und lassen, was du willst.«
»Ich habe dir nichts zu sagen. Und wenn zwischen uns jetzt die miese Stimmung herrscht, dann liegt das einzig und allein an dir. Ich habe mich nicht verändert.«
Wollte er ihr das ewig vorwerfen? Sie suchte jetzt die Verteidigung im Angriff.
»Das ist richtig, Heinz, du hast dich nicht verändert. Du machst dein Ding, glaubst, mit Geld alles auf die Reihe zu bringen. Geld ist nicht alles, und ich bin froh, dass ich noch rechtzeitig die Kurve bekommen habe, sonst wäre ich nämlich emotional verhungert. An Gold, an Schuhen, an Handtaschen, an Klamotten kann man sich nicht wärmen. Vielleicht habe ich mich früher damit auch nur überschüttet, weil ich die Leere in mir gespürt habe, dein liebloses Verhalten. Wir waren eine funktionierende Zweckgemeinschaft, jetzt, wo meine Gefühle erwacht sind, ob für Tiere, für alte, hilflose Menschen, da wird mir erst bewusst, dass ich an deiner Seite beinahe erfroren wäre. Heinz, es geht mir nicht darum, unsere Ehe aufzugeben, doch so, wie sie derzeit läuft, das mache ich nicht länger mit. Ich werde jetzt packen, und sobald das Gewitter vorbei ist, fahre ich los. Ich werde zu Cecile fahren. Ist es nicht verrückt? Sie ist deine Tochter, dennoch hat sie einen viel engeren Kontakt zu mir. An mir kann es also nicht allein liegen.
Zwischen uns herrscht schon lange diese Gleichgültigkeit, vielleicht schon immer, weil es nicht die große Liebe war, als wir heirateten. Wir haben nicht an einem Strang gezogen, jeder hat seine Interessen verfolgt, die Kinder sind auf der Strecke geblieben. Ich danke Gott, dass ich jetzt zu Fabian einen guten Kontakt habe, Stella haben wir vermutlich für immer verloren. Wie auch immer, nichts lässt sich rückgängig machen. Aber man kann vieles verändern, doch dazu muss man bereit sein. Heinz, ich habe dir viele Brücken gebaut, weil ich wirklich mit dir mein Leben verbringen möchte. Warum bist du nicht darüber gegangen?«
Das hatte traurig geklungen, und so war ihr auch zumute. Rosmarie konnte kaum ihre Tränen zurückhalten.
»Hier hast du deine Fernbedienung, guck dir alles an, dann kannst du dich ablenken, musst nicht über dich, über uns, über dein Leben nachdenken.«
Sie warf ihm die Fernbedienung zu, die landete neben ihm, doch das war ihr egal. Rosmarie stürmte aus dem Zimmer und ließ einen sprachlosen Heinz zurück.
Gewittern sagte man nach, dass sie eine reinigende Wirkung hatten. Auf sie traf es auf jeden Fall zu. Sie war jetzt bereit zu gehen, und sie hatte keine Ahnung, wann sie zurückkommen würde, nicht einmal, ob überhaupt.
Je weiter sie sich entwickelte, umso deutlicher wurde ihr bewusst, wie sehr sie und Heinz aneinander vorbeilebten.
Rosmarie stürmte in ihr Schlafzimmer, riss alle Schränke, alle Schubladen auf, begann, alles wahllos herauszureißen, doch dann besann sie sich.
Von Inge Auerbach wusste sie, dass man auch mit kleinem Gepäck reisen konnte. Was Inge konnte, das konnte sie auch.
Rosmarie holte sich einen Koffer und eine Reisetasche, das musste langen, mehr würde sie nicht mitnehmen.
Ein wenig mulmig war ihr schon zumute. Sie war in all den Jahren ihrer Ehe nie allein verreist, bis auf das eine Mal, wo sie, ohne darüber nachzudenken, kopflos weggefahren war. Da hatte sie noch nicht geahnt, wer Cecile wirklich war, hatte sich die wildesten Gedanken gemacht. Da hatte sie Angst gehabt, Cecile könne die Geliebte ihres Mannes sein, später, als die Wahrheit herausgekommen war, hielt sie