Jetzt konnte Roberta sich eine Bemerkung einfach nicht verkneifen.
»Und mir wirfst du vor, so etwas wie die Mutter Teresa zu sein, was bist du denn?«
Nicki begann herzhaft zu lachen.
»Dieser Punkt, allerbeste Freundin, der geht an dich.«
Dann hatte Nicki es eilig, sich von Roberta zu verabschieden.
Gerade im richtigen Augenblick, denn Alma kehrte auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer zurück, was überhaupt nicht nötig gewesen wäre, denn die kleine Adrienne befand sich nebenan.
»Sie schläft«, flüsterte Alma verzückt, danach blickte sie ihre Chefin an. »Ist es Ihnen recht, Frau Doktor, wenn ich Adrienne für heute Nacht mit in meine Wohnung nehme? Ich möchte noch so viel wie möglich von ihr haben, denn wenn …«, sie brach ihren Satz ab, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Bei aller Liebe, jetzt dramatisierte Alma ein wenig, und das hatte sie eindeutig mit Nicki gemeinsam.
»Klar, Alma, nehmen Sie die Kleine mit in Ihre Wohnung, aber ansonsten, noch ist sie hier, noch ist nichts entschieden, nicht wahr?«
»Aber man wird sie uns nehmen«, erwiderte Alma mit düsterer Grabesstimme. Wenn die Situation nicht so ernst wäre, hätte Roberta jetzt am liebsten angefangen zu lachen. Ihr ging es doch auch nahe, sie wollte überhaupt nicht an das Leben ohne Adrienne denken.
Roberta erhob sich, war mit wenigen Schritten bei Alma, umarmte sie. »Alma, Paula ist die Mutter. Wir sollten uns freuen, dass sie sich zu ihrem Kind bekennen möchte. Anders zu denken, das wäre egoistisch, nicht wahr?«
»Sie haben recht, Frau Doktor«, bekannte Alma, »doch es ist so unendlich schwer, das voneinander zu trennen. Irgendwo sind wir Menschen alle auch Egoisten, im Fall Adrienne bekenne ich mich dazu, eine Egoistin zu sein.«
Roberta streichelte Almas Rücken.
»Alma, alles wird gut, und das Leben geht immer weiter. Und wer sagt denn, dass für uns alles zu Ende sein wird, bloß weil Paula hier aufgetaucht ist?«
Alma entschied sich, dazu nichts zu sagen, sie befreite sich aus Robertas Armen und entschuldigte sich, bemerkte mit leiser Stimme: »Sie haben so viel um die Ohren, und dann nöle ich Sie auch noch zu.«
»Alma, alles ist gut.«
Roberta war sich nicht sicher, ob diese Worte bei Alma angekommen waren, doch sie war ganz froh, dass Alma sich entschuldigte, ging, um mit der kleinen Adrienne hinunter in ihre eigene Wohnung zu gehen. Für das Baby war es wirklich sehr komfortabel, manchmal behielt Roberta sie bei sich, manchmal nahm Alma die kleine Adrienne zu sich.
Sie hatte die ganze Zeit über ziemlich cool getan, doch das sah nur so aus. Roberta hatte keine Ahnung, wie sich alles nun entwickeln würde. Vor allem wollte sie natürlich auch, dass es für Paula gut ausgehen sollte. Ihr war bald schon klar, dass sie das nicht entscheiden konnte, weil sie überhaupt keine Ahnung davon hatte. Es musste so oder so ein Anwalt her. Sie konnte Rosmarie Rückert nach einer Adresse fragen, deren Ehemann immerhin Notar war. Dann jedoch entschied sie sich anders. Sie würde sich an Teresa von Roth wenden, die ihr in dieser Angelegenheit bereits einmal geholfen hatte.
Sie versuchte, sich zu entspannen, und dann begann Roberta zu träumen. Es war schön gewesen mit Adrienne, und die Anwesenheit des Babys hatte Roberta vorgegaukelt, wie es hätte sein können, wenn sie und Lars vom Schicksal nicht getrennt worden wären.
Lars …
Roberta würde niemals aufhören, an ihn zu denken, weil er ihr alles bedeutet hatte, dieser Mann mit den unglaublich blauen Augen.
Das Bild von Ken Craig hatte sich verwischt, das von Lars würde für immer bleiben, genau wie der Stern, der ihren Namen trug, Lars und Roberta …
Nein! Sie wollte nicht schon wieder mit ihrem Schicksal hadern, das so grausam zugeschlagen hatte. Sie war nicht allein auf der Welt, die es so bitter getroffen hatte, und sie war auch nicht allein, die sich fragte, warum das ausgerechnet ihr passiert war.
Sie dachte an das, was Nicki ihr an den Kopf geworfen hatte, so etwas wie Mutter Teresa zu sein. Traf das zu? Flüchtete sie sich in etwas, was ihr nicht gefährlich werden, wo sie helfen konnte? Nein, da dachte sie in den verkehrte Richtung. Sie hatte es sich nicht ausgesucht, es war auf ihren Weg gekommen. Und so würde es auch sein, sollte irgendwann noch einmal ein Mann ihren Weg kreuzen, mit dem sie sich ein Zusammenleben, oder mit dem sie sich wenigstens eine Liebesbeziehung vorstellen konnte.
Sie griff nach der Fernbedienung ihres Fernsehers und schaltete den beinahe hektisch an, um ihren Gedanken zu entfliehen, die nicht in die richtige Richtung gingen. Ein Liebesfilm war nicht gerade das, was sie jetzt brauchte. Alles andere war auch nicht das, womit sie sich ablenken konnte. Also blieb Roberta bei einer Sendung über die ägyptischen Baudenkmäler hängen. Das war nicht gerade prickelnd, doch es lenkte sie ein wenig ab.
*
Alex Anders schien wirklich zu schmollen. Oder hatte er sich ganz aus ihrem Leben zurückgezogen? Diese Frage stellte Bea sich immer wieder. Und weil sie nichts Ungeklärtes mehr in ihrem Leben haben wollte, blieb sie dran. Ihre Beharrlichkeit hatte Erfolg. Endlich erreichte sie Alex, und der wusste zunächst einmal nicht, wie er sich verhalten sollte.
Bea tat, als sei nichts geschehen.
»Hallo, Alex, schön, dass ich dich erreiche«, sagte sie sehr freundlich, und dann erfuhr sie von ihm, dass er sehr beschäftigt gewesen sei, einige Male auch unterwegs. Das war auch so gewesen, als zwischen ihnen die Welt noch in Ordnung gewesen war, doch Bea erinnerte ihn nicht daran. Sie wollte einfach eine Klärung haben, und deswegen fuhr sie fort: »Alex, wenn du Zeit hast, dann würde ich dich gern treffen. Ich möchte einfach nicht im Raum stehen lassen, wie wir uns getrennt haben.«
Zunächst einmal war nichts zu hören, dann murmelte er: »Ich habe mich nicht gerade gentlemanlike benommen. Tut mir leid, Bea.«
Es konnte ihm auch leidtun, denn so einen Aufstand zu machen, nur weil sie eine Verabredung vergessen hatte, war wirklich nicht die feine englische Art. Doch darum ging es nicht mehr, es war vorbei, und Bea war nicht nachtragend.
»Schwamm darüber, Alex. Doch es ist ganz offensichtlich, dass wir Redebedarf haben, was wir wollen, wo wir stehen. Eskalationen entstehen oftmals auch aus unerfüllter Erwartungshaltung.«
»Gut, treffen wir uns, es ist mir ja auch sehr wichtig, Bea, du bedeutest mir sehr viel. Und weil das so ist, habe ich wohl auch so enttäuscht reagiert.«
Er wollte nicht zu ihr kommen, sie verabredeten sich an einem neutralen Ort in Hohenborn. Er hielt sich gerade in seinem Hotel auf, und für sie war es vielleicht auch gar nicht so schlecht, dann konnte sie unter Umständen noch ins Kino gehen, was sie eigentlich vorgehabt hatte.
Bea blickte auf die Uhr. Viel Zeit hatte sie nicht, also verwarf sie auch sofort wieder den Gedanken, sich für Alex ein wenig aufzuhübschen.
Alex!
Während der Zeit des Schweigens hatte sie sich schon so ihre Gedanken gemacht, da war vieles von dem Glanz erloschen, mit dem sie ihn und sich umgeben hatte. Und jetzt bei diesem Telefonat war Alex ihr richtig fremd vorgekommen. Wo waren die Gefühle geblieben, die Atemlosigkeit? Bea wollte sich da nicht in etwas verrennen. Sie waren gegenseitig voneinander enttäuscht gewesen, unsanft auf dem Boden der Wirklichkeit gelandet, herunter von der Wolke der Glückseligkeit.
Doch musste nicht jeder irgendwann im Alltag ankommen, der eine früher, der andere später?
Stopp!
Es ging nicht um sie allein, da war auch noch eine zweite Person beteiligt, eine Person, die ihr wichtig war, denn sonst würde sie sich nicht all diese Gedanken machen, dann hätte sie sich auch nicht um das Treffen mit Alex bemüht, sondern sie hätte es mit Bedauern abgehakt.
Ehe Bea das Haus verließ, schminkte sie sich wenigstens ein bisschen, zog die