Eines Staates, der größer war als je zuvor!
Das ZK der KPJ meldete sich darauf mit einer neuen Verlautbarung zu Wort, die mit Hilfe eines Mimeographen vervielfältigt wurde und die sich direkt an das kroatische Volk wandte: DIE EREIGNISSE IN ZAGREB, DIE SICH BEIM EINZUG DER EROBERER ABGESPIELT HABEN, WERDEN DER DUNKELSTE SCHANDFLECK DEINER GESCHICHTE SEIN. Die Veränderung war auch auf der Landkarte Südosteuropas gut sichtbar. Ein Tintenklecks ungleichmäßiger Form, einem Melanom ähnlich, ungefähr zweihundert Kilometer von Triest und dreihundert Kilometer von Wien entfernt, ergoss sich plötzlich zu einer riesigen schwarzen Pfütze, die sowohl die Stadt wie auch das Land und den Himmel überflutete und die Sonne bis auf Weiteres vertagte. Sie ergoss sich auch über die Bewohner wie Erdöl über Kormorane, und sie versuchten vergeblich, sich zu reinigen. Die Schwärze verschmierte alles und breitete sich aus wie eine Metastase, sie setzte sich unter ihre Fingernägel, unter ihre Haut, unter ihre Betten, in ihre Schränke, sie färbte ihre Anzüge und ihre Kleider, und es gab kein Mittel, mit dem man sie wieder hätte sauber bekommen können. Durch die schwarze Stadt irrten sie in Trauerkleidung. Eine andere brauchten sie nicht mehr.
Dann wurde das Standgericht eingeführt, um die Verbreitung derartiger defätistischer Schweinereien zu unterbinden und um das Drucken und die Verteilung von Flugblättern derartigen Inhalts zu verhindern, und der Kommunismus wurde zum gefährlichsten Desinformator des Volkes erklärt, da »diese kommunistischen, verbrecherischen Phantasten in der Theorie und phantastischen Verbrecher in der Praxis«3 nach dem Feuer der Weltrevolution riefen, in dem all das, was existiere, untergehen würde. Auch Kroatien selbst. So lautete die offizielle Verlautbarung der Regierung, und der Ustascha-Führer Ante Pavelić wandte sich auch persönlich an das Volk.
21. Mai 1941. Am Markusplatz.
Richtplatz.
– Brüder Ustasche!
So beginnt, laut Mitschrift, die Rede von Pavelić.
– Es war uns klar, dass sich kein einziges Volk in der Geschichte durch das Singen von Liedern und das Spielen von Tamburas befreit hat, sondern mit Blut und mit tödlichen Waffen, und es war uns auch klar, dass sich ein gefangen gehaltenes und entwaffnetes Volk noch nie ohne Hilfe und Unterstützung eines anderen befreundeten Volkes befreien konnte. Deshalb lenkte die Ustascha-Bewegung die Vorbereitungen, die auf die Befreiung zielten, in diese beiden Richtungen: den Kampf mit tödlichen Waffen und die Suche nach Freunden, die ihren Kampf großzügig und mit allen Kräften unterstützten …4
An dieser Stelle unterbricht ihn das Publikum mit Dankesrufen:
– Hoch lebe Deutschland!
Zuerst leise, aber dann immer lauter und lauter.
– Es lebe hoch! Es lebe hoch!!! Es lebe hoch!!!!!!!
Als das Skandieren abflaut, setzt der Führer seine Erläuterungen darüber fort, dass die Kroaten seit jeher versklavt waren, Mächten und Gewalten unterworfen, die beabsichtigten, das ganze Volk auszulöschen. Aber dann sei der neue Weltkrieg gekommen. Zu unserem Glück, so betont der Führer, da Europa nicht auf der Basis papierener Friedensverträge bestehen könne, sondern nur aufgrund der lebendigen Bedürfnisse und Kräfteverhältnisse, die zwischen den einzelnen Völkern herrschten, und es müsse geprüft werden, welches unter ihnen das stärkere sei.
Dieselbe Frage stellt er auch dem Publikum:
– Wer ist also das stärkste Volk?
Doch das Publikum schweigt. Es ist eine rhetorische Frage.
Wir Kroaten, der Führer beantwortet sie selbst, denn das kroatische Volk sei eine riesige Armee. Jeder Kroate sei ein Soldat und würde immer ein Soldat bleiben. Das liege in seiner Vergangenheit begründet, das liege auch in seinem Blut. Das Publikum bestätigt nun seine Aussagen mit lautstarken Rufen. In der Mitschrift wird dieses präzise quantifiziert. Nach dreimal »So ist es!!!« folgt elfmal »Hoch lebe der Führer!!!«, dann neunmal »Hoch lebe der Duce!!!« und dann noch fünfmal »Hoch lebe Hitler!!!«.
Dem Führer gelingt es, das Jubeln zu übertönen und seine Rede fortzusetzen. Er führt aus, dass man gegen Räuber nicht mit einem Gebetbuch in der Hand kämpfen könne, deshalb habe er die Bewegung gegründet, mit der Absicht – man erlaube ihm, es bildhaft auszudrücken –, scharfe Heilkräuter auf scharfe Wunden zu legen, und all das mit dem Ziel, jene Kräfte, die dem kroatischen Volk schaden wollten, zurückzudrängen.
Ist es nicht so?
So ist es!!! Dreimal.
Wenn es wirklich so ist, fragt der Führer, würden sie ihm folgen, wohin er auch gehe?
Das Publikum bejaht einhellig.
Seien sie bereit, ihm alles zu geben, auch ihr Leben?
Sie antworten mit Ja.
Wirklich?
WIR SIND BEREIT!!!
Es gibt kein: Ich will nicht. Es gibt kein: Ich kann nicht. Wir müssen.
Und deshalb wiederholt ihr Vater vergeblich das Gegenteil, er sagt, er sei nicht bereit, und er würde lieber nicht, aber er sagt das leise, nur für sich, da er den Ranzen schon auf seinem Rücken hat. Auch er wurde zu den Legionärseinheiten der Heimwehr einberufen, die eingegliedert in die deutsche Armee ihren Dienst leisten. Es muss losgehen. Sofort. Er hat gerade noch Zeit, seine Frau in den Hintern zu kneifen, die Tochter in die Wange und ihnen etwas Sinnloses zu sagen.
Das wird nicht lange dauern, etwas in der Richtung.
Natürlich nicht, auch wenn er weiß, dass es dauern wird, es wird allzu lange dauern, und es wird nie enden. Deshalb wundert es ihn nicht, dass sie ihn ohne Worte verabschieden, und sie winken ihm zu, bis er sie nicht mehr sehen kann. Sie winken auch danach noch, da ihnen klar ist, dass sie ihn für immer verabschieden. Ihre Hände fallen auf ihre Brüste. Die Geste ist tragisch und kommt immer noch ohne Worte aus. Die Tochter fragt nichts, die Mutter erklärt nichts, sie weiß nicht, wo sie anfangen soll. Sie schweigt nur und seufzt, schweigt und seufzt, und es ist schon Nacht, Hundebellen begleitet hartnäckig die Schritte, die ängstlich durch die Stadt marschieren. Die Mutter könnte so bis zum Morgen Seufzer auf Schweigen folgen lassen, aber die Stunden vergehen, und irgendwann muss die Tochter sie fragen, ob ihr Vater auf der Seite der Eroberer kämpfe.
– Wie bitte?
Die Mutter bittet sie zu wiederholen, was sie gesagt hat.
Nichts. Sie habe nur gefragt, ob der Vater auf der Seite der Eroberer kämpfe.
Ein Seufzer folgt. Dann Stille. Dann die Hunde.
Und dann alles ein weiteres Mal.
Der Vater kämpfe auf niemandes Seite, antwortet die Mutter. Der Vater kämpfe auf niemandes Seite, sondern arbeite weiterhin. Er arbeite und arbeite und arbeite, gegen seine eigenen Interessen, wie immer, da es für die Armen keine Wahl gäbe, das heißt ‒ für sie.
Alle Armeen seien gleich, und es gäbe keine Seiten.
Das möge sie sich bitte merken.
Zur Bestätigung dieser Worte kann man auch die drei Fotos heranziehen, die in einem Umschlag gekommen sind, die Feldpostnummer des Absenders ist unkenntlich gemacht worden. Auf den Fotos ist der Vater zu sehen. Das erste zeigt ihn, wie er Säcke mit Baumaterial schleppt. Auf dem zweiten baut er eine Mauer. Wahrscheinlich die Mauer eines Bunkers. Um ihn herum stehen weitere Männer, aber niemand von ihnen ist bewaffnet oder hat irgendwelche Militärabzeichen.
Ihre Oberkörper sind nackt, und sie mauern.
Wenn die Deutschen an ihre Tür schlagen, zeigt die Mutter die Fotos und erklärt mit Gesten, dass sie ihren Gatten bereits zum Dienst mitgenommen haben. Dasselbe erzählt sie, wenn die Ustasche klopfen. Sie wird es auch erzählen, wenn die Partisanen an die Tür kommen, jedes Mal wird sie diese Fotos zeigen, die über nichts anderes