Der Reiter saß schon seit dem Morgengrauen im Sattel. Er war von der Wasserstelle aufgebrochen, als die Sterne zu verblassen begannen. Die Kühle des beginnenden Tages mußte für den Ritt ausgenutzt werden. Der Weg, der vor ihm lag, war weit; und schon gegen neun Uhr schleuderte die Sonne in diesem Landstrich eine erbarmungslose Hitze auf den Sand.
Sand – yeah, es war der große Sand. Unten am Südrand des gefürchteten Llano estacado, nur wenige Meilen von der Grenze New Mexicos entfernt, in der westlichen Ecke von Texas.
Der Reiter war ein großer breitschultriger Mann. Er trug ein graues Kattunhemd und einen breitrandigen, flachkronigen Hut, der irgendwann einmal schwarz gewesen sein mußte. Jetzt jedenfalls hatte ihn der mehlfeine Flug-sand gelb gepudert. Eine Handbreit unter dem Gürtel der engen schwarzen Levishosen trug der Mann einen breiten Waffengurt aus schwarzem Büffelleder, der an beiden Hüftseiten je einen großen Revolver im Lederschuh trug.
Der einsame Reiter war der Marshal Wyatt Earp aus Dodge City in Kansas.
Nirgends, so weit das Auge reichte, bot sich ein Rastplatz, der Schatten gespendet hätte.
Es mochte so gegen halb zwei sein, als Wyatt Earp den Einschnitt einer durchbrochenen, ziemlich hohen Sanddüne passierte.
Der Marshal hatte den Paß kaum hinter sich, da zerriß ein Schuß die wabernde Luft.
Wyatt verspürte noch den fürchterlichen Stoß seitlich am Kopf und glitt dann nach links aus dem Sattel.
Hart schlug er auf dem glühenden Sand auf und blieb reglos liegen.
Oben aus der Dünensenke tauchten zwei Reiter auf, die in voller Karriere auf den Einschnitt zuhielten.
Bei dem Niedergeschossenen sprangen sie von den Pferden.
Der eine von ihnen hatte ein olivfarbenes Gesicht und dunkle Kohlenaugen. Er trug einen breiten Sombrero, ein blaues Hemd und eine weite ausgefranste Hose. Er war mittelgroß und schlank. Es war der einunddreißigjährige texanische Peon Ric Hunter.
Der andere war groß, von kräftiger Statur und hatte ein hageres, von harten Falten durchzogenes Gesicht. Quer über der Nasenwurzel brannte eine feuerrote Nase. Es war der Cowboy Jubal Chett aus Oklahoma. Seine etwas zu weit auseinanderstehenden schiefergrauen Augen hafteten auf dem reglosen Mann im Sand.
Der Texaner lockerte seinen Colt im Halfter.
Da legte sich Chetts Hand auf seinen Arm. »Laß das! Der Gewehrschuß könnte ohnehin gehört worden sein. Er ist tot.« Chett wies auf das Einschußloch hinten im Hut Wyatts, bückte sich und zerrte dem Niedergeschossenen den Waffengurt vom Körper. Dann tastete er hastig dessen Taschen ab, packte den Falben am Zügel und schwang sich wieder in den Sattel.
Hunter stand noch steif da und blickte auf den Mann im Sand. Dann schob er mit den Stiefeln Sand über ihn.
Gleich darauf zog auch er sich in den Sattel.
Er war schon mehrere Yards entfernt, als er sein Pferd noch einmal herumnahm, zurückkam und den Revolver aus dem Halfter zog.
Der Schuß brüllte los.
Aber er war schlecht gezielt, obwohl er nur aus fünf Yards Entfernung kam.
Die Kugel streifte nur den Nacken des Mannes im Sand – und brachte den Betäubten zu sich.
Wyatt wirbelte herum und im gleichen Augenblick blitzte in seiner Linken ein kleiner doppelläufiger Revolver vom Typ Derringer auf.
Obgleich der Verbrecher den Colt in der Hand gehabt hatte, war er nicht mehr zum Schuß gekommen. Die Derringer-Kugel riß ihn aus dem Sattel.
Wyatt hatte den Revolver noch in der vorgestreckten Faust, als er sich erhob und auf den Banditen zuging.
Der texanische Pferdeknecht Ric Hunter war tot. Die Kugel hatte ihn genau ins Herz getroffen.
Drei kurze Jahrzehnte waren vergangen, seit die Mexikanerin Conchita Hunter dem kleinen Ric das Leben unten in der Sierra Blanca, unweit vom Nordufer des Rio Grande des Norte geschenkt hatte. Rics Vater war Peon auf einer Ranch – und Ric wurde das gleiche. Bis er vor zwei Jahren auf den Oklahoma-Cowboy Jubal Chett traf.
Chett hatte es verstanden, aus dem bis dahin harmlosen Pferdeknecht einen mit allen Wassern gewaschenen gewissenlosen Verbrecher zu machen, wie er selbst einer war.
Seit einigen Tagen schon trieben sie sich hier in den Sanddünen sieben Meilen nördlich vor der kleinen Texasstadt El Bravo herum. Aber es kam nur selten ein Reiter hier durch diesen heißen Landstrich. Und die Leute, die in die Stadt mußten, wählten die Fahrstraße, die viele Meilen weiter drüben im Osten entlanglief.
Noch vor drei Tagen hatten die beiden in der Pferdewechselstation Halarinca neun Meilen weiter westlich die Overland überfallen, zwei Männer angeschossen und den Begleitfahrer lebensgefährlich verletzt. Ihre Beute war karg gewesen. Die Oberland hatte nur einen Passagier, und das war ein Tramp gewesen, der sich ohne Wissen des Fahrers in den Wagenraum eingeschlichen hatte.
Chett hätte den Landstreicher vor Wut fast erschossen.
Dann war vor einer Viertelstunde der Reiter im Westen aufgetaucht.
Chett hatte den Schuß auf ihn abgegeben. Chett, der jetzt bereits hundertfünfzig Yards zwischen sich und die Überfallstelle gebracht hatte, der bereits hinter einer Düne war, als er Hunters Schuß und gleich darauf den hellen Klang des Derringers hörte.
Jubal Chett hielt an und nahm die beiden Pferde herum.
Als er das Dünenende erreichte und einen Blick auf die Paßstelle werfen konnte, kam ihm Hunters Pferd entgegen.
Chett fing es sofort ein und starrte dann mit engen Augen auf den Mann hinüber, der mit torkelnden Schritten auf den reglos im Sand liegenden Körper Hunters zuging.
Der Verbrecher stand einen Augenblick steif vor Schreck da!
By Gosh! Der Mann mußte doch tot sein. Er hatte die Kugel doch hinten in den Schädel bekommen!
Oder…
Da hob der Mann drüben den Kopf. Sein Blick fiel auf Chett.
Der Bandit stand wie angewachsen da. Vierzig Schritte trennten ihn und den Mann, den er für tot gehalten hatte.
Der Blick des anderen bannte den Desperado auf den Fleck. Und erst als Wyatt sich bewegte, blitzschnell Hunters Revolver an sich nahm und vorwärts stürmte, warf Jubel Chett sich herum und rannte zu den Pferden. Er sprang in den Sattel und preschte davon.
Den Falben hatte er an seinem Sattelhorn fest; Hunters Pferd folgte den beiden anderen.
Als Wyatt das Ende der Sanddüne erreicht hatte, hielt er inne. Keuchend starrte er hinter dem flüchtigen Verbrecher her.
Er hätte ihn vorhin auf die Distanz von vierzig Schritten mit dem Derringer niemals treffen können.
Und da preschte der Bandit nun mit den Pferden davon.
Der Marshal wischte sich mit dem Handrücken über das Kinn, betastete dann seinen Hinterkopf, nahm den Hut ab und sah das Loch, das die Kugel in den schwarzen Filz geschlagen hatte. Seine Hand tastete auch die Beule ab, die das Geschoß in die kleine Metallplatte geschlagen hatte, die er seit langem hinten im Hut trug und die bereits drei Kugeln abgefangen hatte.
Dann fühlte er den brennenden Schmerz oben am Nacken. Der Streifschuß hatte eine große Fleischwunde gerissen.
Wyatt riß einen Streifen von seinem Hemd und preßte ihn auf die Wunde; dann band er sein Halstuch darum.
Wabernd stand die Hitze über dem glühenden gelbbraunen Sand des Llanos.
Und drüben lag der stumme Mann und blickte mit starren Augen in den tiefblauen Himmel.
Halbbenommen vom Schmerz ging der Missourier daran, Sand über den Körper des toten Banditen zu scharren, dann machte er sich auf den Weg.
Weg?
War es noch ein Weg, der Trail ohne Pferd durch den glühenden Sand?
Seine