»Die Heizung springt schon seit Längerem sehr schwerfällig an«, informierte er sie über die Schulter. »Ihrer Tante ist das egal.« Er kniete sich vor den gusseisernen Ofen und öffnete die verglaste Tür. Er nahm einen Kehrbesen aus dem Kaminbesteck, welches neben der Feuerstatt lag, und fegte Rußreste durch das im Ofen liegende Gitter.
»Sie sagt, früher hätten sie auch nur mit Holz geheizt«, fuhr er fort, nahm ein Scheit nach dem anderen aus dem gut gefüllten Korb, der bereitstand, und schichtete das Brennmaterial auf. Ehe er ein Streichholz entzündete, stopfte er noch zusammengeknülltes Zeitungspapier zwischen das Holz.
»Ah«, machte Emily, die sich schon gewundert hatte, warum Tante Matilda ihre Tageszeitungen auf dem Fußboden neben dem Holzkorb lagerte. »Damit brennt es leichter an, nicht wahr?«
»Gut erkannt«, antwortete er, und sie glaubte, in seiner Stimme ein Schmunzeln zu hören. Roberts hielt das Zündholz an das Papier, das rasch Feuer fing, und schloss die Ofenklappe.
»So, jetzt geben wir noch ein wenig Luft dazu, und in ein paar Minuten wird es mollig warm«, versicherte er und schob einen Riegel unterhalb der verglasten Scheibe zur Seite.
»Danke«, murmelte Emily. Unschlüssig stand sie schräg hinter ihm. Und nun? Sie konnte ihn doch jetzt nicht gleich wieder vor die Tür setzen. Die Scheite fingen an zu knistern. Tyler rappelte sich hoch und betrachtete zufrieden das Züngeln der Flammen, die um das Holz leckten. Funken sprühten, und es knackte im Ofen.
»Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«, rang sie sich zu dem einzigen Angebot ein, welches ihr einfallen wollte. Tyler wandte sich ihr zu. Seine Miene war unbewegt. Ihr fiel auf, was für weich geschwungene Lippen er hatte. Sie fühlten sich bestimmt wunderbar an. Hastig sah sie an ihm vorbei. So wie er sie betrachtete, konnte er doch hoffentlich keine Gedanken lesen?
»Gern«, hörte sie seine Stimme.
»Was?« Sie sah ihn nun doch wieder an.
Tyler lächelte.
»Ich meine, ich nehme gern etwas zu trinken.«
»Äh, ja. Sofort. Bitte setzen Sie sich doch.« Sie zeigte zu dem Sofa. Ob Matilda Wein im Haus hatte? Oder Sherry? Oder einen Likör? Letzteres hatte sie bestimmt vorrätig, doch gerade der Likör schien ihr absolut ungeeignet, ihn dem Nachbarn anzubieten. Und sie hatte keine Ahnung, wo sie etwas finden konnte. Sie konnte ihm doch schlecht einen Tee kochen oder ein Glas Wasser servieren. Eilig verließ sie den Raum. In der Küche, gleich im ersten Schrankfach, welches sie öffnete, stand eine Flasche Rotwein, noch fast voll. Wo die Gläser waren, wusste Emily, auch wenn es nur Wassergläser waren.
Ihre Hand zitterte ein wenig, als sie keine Minute später die Gläser zur Hälfte füllte.
»Cheers«, würgte sie hervor und hob ihr Glas.
»Cheers«, erwiderte Tyler, nahm einen Schluck und sah zu ihr auf. »Wollen Sie sich nicht setzen? Ich habe beinahe den Eindruck, Sie sind irgendwie in Eile oder Aufbruchsstimmung. Gerade jetzt, wo es gemütlich warm wird.« Sie lächelte verlegen und setzte sich in den einzigen Sessel, der schräg neben dem Sofa stand, auf dem Tyler saß.
»Sie wollten also Ihre Tante überraschend besuchen, und nun fühlen Sie sich unwohl, weil wir gemeinsam in Miss Davies Haus sitzen«, begann er ein Gespräch. Emily lachte verlegen.
»Richtig«, gab sie zu.
»Ich wohne seit zwei Jahren nebenan«, erklärte Tyler ungefragt. »Ich bin von Beruf Immobilienmakler. Eigentlich sollte ich das rustikale Anwesen möglichst rasch verkaufen. Der vorherige Besitzer ist verstorben, und der einzige Sohn hatte reichlich Schulden. Er wollte das Objekt zügig veräußern und war auch bereit, es unter Wert abzugeben, um seine drückenden Verbindlichkeiten loszuwerden. Mir hat es gefallen, und so habe ich es selbst erworben.«
Sie nickte und fragte sich, warum er ihr das erzählte. Tyler drehte sein Glas in den Händen, die Ellbogen auf die Knie gestützt.
»Ich gehe also davon aus, dass Sie zumindest in den vergangenen beiden Jahren nicht bei Ihrer Tante waren. Sonst wäre mir eine attraktive junge Frau wie Sie mit Sicherheit aufgefallen.«
Emilys Wangen wurden heiß. Sie beschloss, das Kompliment zu ignorieren.
»Sie haben recht. Der letzte Besuch bei meiner Tante ist etwa drei Jahre her.« Sie zupfte an ihrem Rock. »Ich schäme mich deswegen, ehrlich gesagt. Früher war ich oft hier. Aber dann kamen andere Dinge, die mir wichtig waren, ich muss es zugeben.«
»Andere Dinge?«, hakte Tyler nach und sah sie an.
Sie zuckte mit den Schultern und verdrängte den aufkommenden Gedanken an Thomas, mit dem sie verlobt gewesen war.
»Ja. Es spielte natürlich auch die Entfernung eine Rolle. Ich habe kein Auto, und die Anfahrt mit Bahn und Bus wurde mir mit der Zeit einfach lästig. Ich habe mich auf Anrufe beschränkt. Das tut mir jetzt sehr leid. Tante Matilda hat sich nie beklagt, aber ich bin sicher, sie hätte sich gefreut, wenn ich … Nun ja.« Sie brach ab.
»Gibt es denn einen Anlass, weshalb Sie gerade jetzt hier sind?«, erkundigte er sich und nahm einen Schluck Wein.
Emily zögerte.
»Ja und nein. Ich habe meine Tante gestern angerufen und hatte den Eindruck, sie wäre ein bisschen aufgeregt. Vielleicht auch verwirrt. Ich habe nachgefragt, aber sie hat behauptet, es wäre alles wie immer. Nach dem Telefonat habe ich mir Gedanken gemacht. Sie ist jetzt 82. Ich dachte plötzlich, vielleicht wird sie komisch oder auch …«
»Dement?«, beendete er ihren Satz, weil Emily nicht weitersprach.
»Ja. Ich schäme mich ehrlich, so zu denken«, gestand sie.
»Ich glaube nicht, dass Sie sich wegen Ihrer Sorgen schämen müssen. Sie wollten also eine Art Kontrollbesuch machen«, resümierte er.
»Wenn Sie so wollen.« Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust. Tyler lächelte.
»Darin sehe ich nichts Schlimmes. Nur dass sie jetzt verschwunden ist, stimmt mich ebenfalls besorgt. Sie haben durchaus recht. Ihre Tante ist viel zu Hause, und abends meines Wissens nach immer. Gelegentlich bekommt sie Besuch von zwei älteren Damen, ab und zu habe ich Misses Davies auch zum Einkaufen mit nach Carmarthen genommen, oder wenn sie zum Arzt oder Friseur wollte. Der Bus fährt ja nicht so oft.«
»Kennen Sie die Namen ihrer Freundinnen? Ich meine, die kompletten Namen. Manchmal spricht sie von einer Molly, aber mehr weiß ich leider nicht.«
»Nein.« Tyler schüttelte den Kopf. »Bei mir hat sie mitunter noch eine Beth erwähnt. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen.«
»Was mache ich denn, wenn sie nicht auftaucht?« Sie löste die verschränkten Arme und suchte ängstlich seinen Blick.
»So weit sollten Sie nicht denken. Wenn es Ihnen nicht zu unangenehm ist, sehen Sie doch nach, ob Ihre Tante ein Adressbuch hat. Oder irgendwelche Notizen mit Namen und Telefonnummern. Wenn Sie etwas finden, könnten Sie ihre Bekannten anrufen und nachfragen.«
»Oder gleich die Polizei informieren«, fügte Emily hinzu.
»Das natürlich auch«, stimmte er ihr zu.
»Aber vielleicht sollte ich doch noch abwarten«, überlegte sie. »Theoretisch kann sie bei einer Freundin übernachten.«
»Macht sie das manchmal?«, fragte Tyler.
»Ich weiß es nicht.« Resigniert hob Emily die Schultern. »Sie haben ja gesagt, sie ist abends immer daheim.«
Tyler Roberts trank sein Glas aus.
»So weit ich das beurteilen kann, ja. Ich gehe jetzt. Danke für den Wein. Wenn etwas sein sollte, Sie können jederzeit rüberkommen. Oder noch besser: Rufen Sie mich an, dann müssen Sie nicht mitten in der Nacht aus dem Haus, falls Sie mich brauchen. Haben Sie etwas zum Schreiben?«
Emily stand auf. In