»Ich werde die McKees heraufbitten«, verkündete sie, als wir im Lift standen. »Und, natürlich, auch meine Schwester werde ich anrufen.«
Die Wohnung war im obersten Stock – ein kleines Wohnzimmer, ein kleines Speisezimmer, ein kleines Schlafzimmer und ein Bad. Das Wohnzimmer war bis an die Türen vollgestellt mit einer Garnitur viel zu großer Polstermöbel mit Gobelinmuster, so daß man sich nicht im Raum bewegen konnte, ohne andauernd über Rokokoszenen mit schaukelnden Damen im Park von Versailles zu stolpern. Das einzige Bild war eine übermäßig vergrößerte Photographie, offenbar eine Henne auf einem beschmutzten Felsen sitzend. Aus einiger Entfernung betrachtet entpuppte sich indessen die Henne als ein Kapotthut, unter dem das Antlitz einer würdigen Matrone auf einen herniederblitzte. Auf dem Tisch lagen mehrere alte Nummern von ›Town Tattle‹, ein Exemplar des Buches ›Simon Called Peter‹ und einige der kleinen Skandalblättchen vom Broadway. Mrs. Wilsons erste Sorge galt dem Hund. Der nicht sehr dienstwillige Liftboy holte ein Kistchen mit Stroh und etwas Milch; dazu fügte er aus eigenem Antrieb eine Büchse mit großen, steinharten Hundekuchen, wovon einer den ganzen Nachmittag in der Untertasse mit Milch lag und sich apathisch auflöste. Inzwischen brachte Tom aus einem Schrank eine Flasche Whisky zum Vorschein.
Ich bin genau zweimal in meinem Leben betrunken gewesen, das zweite Mal an jenem Nachmittag. Daher verschwammen alle folgenden Ereignisse für mich in einem schattenhaften Dämmer, obwohl bis nach acht die strahlende Sonne zum Fenster hereinschien. Auf Toms Schoß sitzend, rief Mrs. Wilson verschiedene Leute an; dann waren keine Zigaretten da, und ich ging hinunter in den Eckladen welche holen. Als ich zurückkam, waren die beiden verschwunden. Also setzte ich mich diskret ins Wohnzimmer und las ein Kapitel aus ›Simon Called Peter‹ – entweder war es unverdauliches Zeug, oder der Whisky verzerrte die Dinge, denn ich konnte überhaupt keinen Sinn hineinbringen.
Gerade als Tom und Myrtle (nach dem ersten Glas nannten Mrs. Wilson und ich einander beim Vornamen) wiedererschienen, langten auch die Gäste in der Wohnung an.
Catherine, die Schwester, war eine schlanke, mondäne Dreißigerin mit einer festen und dicken roten Mähne über einem milchigweiß gepuderten Gesicht. Ihre Augenbrauen waren ausgezupft und dann in einem kühneren Winkel nachgezogen. Aber die Natur hatte sich mit Erfolg bemüht, die alte Kurve wiederherzustellen, wodurch ihr Gesicht etwas Verschmutztes bekam. Wenn sie sich bewegte, gab es ein unaufhörliches Geklingel von dem Auf und Ab der zahllosen Emailreifen, die sie an den Armen trug. Sie kam so hastig herein, als müsse sie nach dem Rechten sehen, und blickte sich mit solcher Besitzermiene im Zimmer um, daß mir der Gedanke kam, ob etwa sie da wohne. Als ich sie aber fragte, lachte sie unmäßig, wiederholte meine Frage laut und erklärte mir dann, sie wohne mit einer Freundin in einem Hotel.
Mr. McKee aus der unteren Etage war ein Mann von femininer Blässe. Ein kleiner Rest Seifenschaum auf seiner Wange deutete darauf hin, daß er sich soeben rasiert hatte. Er begrüßte alle Anwesenden äußerst ehrerbietig. Mich informierte er sogleich, daß er zum ›Künstlervolk‹ gehöre, und später ging mir auf, daß er ein Photograph war und die unscharfe Vergrößerung von Mrs. Wilsons Mutter verfertigt hatte, die gespenstisch von der Wand herablauerte. Seine Frau war laut und dumm, proper und unausstehlich. Sie erzählte mir stolz, ihr Mann habe sie seit ihrer Hochzeit hundertsiebenundzwanzigmal photographiert. Mrs. Wilson hatte sich umgezogen und trug jetzt ein anspruchsvolles Nachmittagskleid aus cremefarbenem Chiffon, mit dem sie sich unter ständigem Rascheln durchs Zimmer bewegte. Unter dem Einfluß dieses Gewandes hatte sich ihre ganze Persönlichkeit verändert. Ihre anfangs in der Garage so auffällige Vitalität war einer eindrucksvollen Grandezza gewichen. Ihr Lachen, ihre Gesten und Bemerkungen wurden mit jedem Augenblick heftiger und affektierter. Indem sie sich so entfaltete, schien der Raum um sie immer kleiner zu werden, bis sie sich schließlich wie auf einem lärmenden, kreischenden Karussell in der rauchgeschwängerten Luft bewegte.
»Meine Liebe«, wandte sie sich mit unnatürlich hoher Stimme an ihre Schwester, »diese Weiber beschwindeln einen hinten und vorn. Sie denken nur ans Geld. Vorige Woche hatte ich eine Frau hier wegen meiner Füße, und als sie mir die Rechnung gab, war’s, als hätte sie mir meinen Appendictus rausgenommen.«
»Wie hieß die Frau«, fragte Mrs. McKee. »Mrs. Eberhardt. Sie kommt ins Haus und macht den Leuten die Füße.«
»Ich finde Ihr Kleid wundervoll«, bemerkte Mrs. McKee, »ein Gedicht.«
Mrs. Wilson wehrte das Kompliment ab, indem sie verächtlich die Augenbrauen hochzog.
»Ein abgetragener alter Fetzen«, sagte sie. »Ich zieh’s nur manchmal über, wenn’s nicht so drauf ankommt.«
»Aber es steht Ihnen fabelhaft. Sie wissen schon, wie ich’s meine«, fuhr Mrs. McKee fort. »Wenn Chester Sie in dieser Pose – er könnte was draus machen.«
Alles schwieg und blickte auf Mrs. Wilson, die eine Haarsträhne über ihren Augen zurückstrich und unsere Blicke mit einem strahlenden Lächeln erwiderte. Mr. McKee betrachtete sie angespannt, legte den Kopf schief und bewegte dann vor dem Gesicht seine Hand langsam vor und zurück.
»Man müßte die Beleuchtung verändern«, sagte er nach einer Weile. »Ich würde gern die Gesichtszüge plastischer herausholen. Und ich würde versuchen, mehr von der Frisur zu bringen.«
»Nein, nicht das Licht verändern«, rief Mrs. McKee.
»Ich find’s gerade so –«
Ihr Gatte machte »Sst!«, und wir alle blickten wiederum auf das Objekt. Nur Tom Buchanan gähnte vernehmlich und stand auf.
»Ihr McKees, nehmt euch zu trinken!« sagte er. »Myrtle, laß noch Eis und Soda kommen, sonst schlafen unsere Gäste ganz ein.«
»Ich hab’s schon dem Boy gesagt.« Myrtle runzelte die Brauen voll Verzweiflung über die Bummelei des niederen Personals. »Diese Leute! Man muß ihnen den ganzen Tag draufsitzen.«
Sie blickte mich an und lachte sinnlos. Dann fiel sie mit exaltierten Küssen über den Hund her und rauschte hinaus in die Küche, als ob dort ein Dutzend Küchenchefs ihre Befehle erwarte.
»Ich hab draußen auf Long Island ein paar hübsche Sachen gemacht«, versicherte Mr. McKee.
Tom sah ihn verständnislos an.
»Zwei haben wir unten eingerahmt.«
»Was zwei?« fragte Tom.
»Zwei Studien. Die eine nenne ich ›Montauk Point – Die Möwen‹ und die andere ›Montauk Point – Das Meer‹.«
Die Schwester Catherine setzte sich zu mir auf die Couch.
»Wohnen Sie auch drüben auf Long Island?« wollte sie wissen.
»Ich wohne in West Egg.«
»So? Da war ich mal auf einer Gesellschaft, vor vier Wochen etwa. Im Haus von einem gewissen Gatsby. Kennen Sie den?«
»Ich wohne neben ihm.«
»So, man sagt, er wär’n Neffe oder ’n Verwandter von Kaiser Wilhelm. Daher das viele Geld.«
»Was Sie nicht sagen.«
Sie nickte.
»Ich graule mich vor ihm. Möchte nichts mit ihm zu tun haben.«
Diese erschöpfende Information über meinen Nachbarn wurde von Mrs. McKee unterbrochen, die plötzlich mit dem Finger auf Catherine zeigte:
»Chester, aber aus ihr könntest du was machen«, platzte sie los, doch Mr. McKee nickte nur gelangweilt und wandte sich ganz Tom zu.
»Ich möchte noch mehr auf Long Island arbeiten, wenn ich nur eine Einführung hätte. Ich brauche einen guten Start, weiter nichts.«
»Bitten Sie Myrtle«, sagte Tom und stieß ein kurzes Lachen aus, als Mrs. Wilson mit einem Tablett hereinkam.
»Sie