Der große Gatsby. F. Scott Fitzgerald. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: F. Scott Fitzgerald
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783967997750
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mir hin und legte dann schnell ihren Kopf wieder zurück. Offenbar war der kostbare Gegenstand, den sie balancierte, ein wenig ins Wanken geraten, worüber sie gleichsam heftig erschrak. Wieder hatte ich eine Art Entschuldigung auf der Zunge; denn der Anblick eines so völlig von sich überzeugten Menschen bringt mich fast immer aus der Fassung.

      Ich sah nun wieder meine Cousine an, die mich mit ihrer leisen, aufregenden Stimme allerlei zu fragen begann. Diese Stimme war von der Art, daß man unwillkürlich mit dem Ohr dem Auf und Ab folgte, als sei jeder Satz eine Tonfolge, die so nie wieder erklingen würde. Ihr Gesicht hatte einen rührenden Liebreiz und leuchtete aus sich – es leuchteten die Augen, und es leuchtete der leidenschaftlich geschwungene Mund; in ihrer Stimme aber war etwas Erregendes, das Männer, die sie einmal geliebt hatten, nur schwer vergaßen: ein bestrickender Ton, ein geflüstertes »Hör zu«, ein lockendes Versprechen, als sei sie eben noch mit köstlichen und aufregenden Dingen beschäftigt gewesen und als winkten solche köstlichen und aufregenden Dinge auch im nächsten Augenblick.

      Ich erzählte ihr, daß ich meine Reise in Chikago für einen Tag unterbrochen hätte und daß ein Dutzend Leute mir Grüße an sie aufgetragen hätten.

      »Vermißt man mich?« rief sie ekstatisch aus. »Die ganze Stadt ist untröstlich. Alle Autos haben zum Zeichen der Trauer das linke Hinterrad schwarz angestrichen; es ist ein einziges Wehklagen am Nordufer die ganze Nacht.«

      »Herrlich! Wir wollen wieder hin, Tom. Gleich morgen!«

      Dann fuhr sie beiläufig fort: »Du müßtest die Kleine sehen.«

      »Gern.«

      »Sie schläft gerade. Sie ist jetzt drei Jahre. Hast du sie noch gar nicht gesehen?«

      »Nein, nie.«

      »Dann mußt du sie unbedingt sehen. Sie ist –« Tom Buchanan unterbrach sein rastloses Umherwandern im Raum und legte mir schwer die Hand auf die Schulter. »Was machst du, Nick?«

      »Börsenmakler.«

      »Bei wem?«

      Ich nannte die Firma.

      »Nie gehört«, sagte er mit Entschiedenheit.

      Das ärgerte mich.

      »Wirst schon noch«, erwiderte ich schroff, »wenn du lange genug hier bist.«

      »Keine Sorge, ich bleibe«, sagte er; dabei schielte er zu Daisy hinüber und dann wieder zu mir, als sei er auf mehr gefaßt.

      »Ich wäre schön verrückt, wenn ich je woanders leben wollte.«

      An diesem Punkt der Unterhaltung sagte Miss Baker: »Komplett!« und das so unvermittelt, daß ich stutzte – es war das erstemal, daß sie überhaupt etwas sagte, seit ich da war. Sie schien davon selbst ebenso überrascht wie ich, denn sie gähnte und stand dann mit ein paar raschen, gewandten Bewegungen von der Couch auf.

      »Ich bin ganz steif«, klagte sie, »seit ich denken kann, habe ich auf diesem Sofa gelegen.«

      »Sieh mich nicht so vorwurfsvoll an«, entgegnete Daisy. »Schon den ganzen Nachmittag versuche ich, dich zu einer Fahrt nach New York zu bewegen.« »Nein, danke«, sagte Miss Baker. Das bezog sich auf die vier Cocktails, die gerade gereicht wurden. »Ich bin im Training.«

      Der Hausherr sah sie ungläubig an.

      »Ach so!« Er stürzte seinen Drink hinunter, als sei es nur ein kleiner Rest im Glas. »Wie du je etwas vor dich bringst, ist mir schleierhaft.«

      Ich blickte auf Miss Baker und fragte mich, was sie wohl ›vor sich bringen‹ sollte. Es machte mir Spaß, sie anzusehen. Sie war ein schlankes, flachbrüstiges Mädchen, hielt sich sehr gerade und unterstrich das noch durch eine stramme, kadettenhafte Art, die Schultern zurückzunehmen. Ihre grauen, sonnengestählten Augen erwiderten meinen Blick mit höflicher Neugier. Ihr blasses, hübsches Gesicht hatte einen unbefriedigten Ausdruck. Jetzt fiel mir ein, daß ich sie oder ein Foto von ihr schon irgendwo gesehen haben mußte.

      »Sie wohnen in West Egg?« bemerkte sie ein wenig von oben herab. »Da kenne ich jemand.«

      »Ich kenne keinen Menschen.«

      »Aber Sie werden doch Gatsby kennen.« »Gatsby?« fragte Daisy. »Welcher Gatsby?« Das ist mein Nachbar, wollte ich antworten, da wurden wir zu Tisch gebeten. Tom Buchanan hakte mich mit seinem athletischen Arm unter und schob mich gebieterisch aus dem Zimmer, wie man eine Schachfigur von einem Feld auf ein anderes rückt.

      Lässig und träge, einander leicht um die Hüften fassend, schritten die beiden Frauen uns voran auf eine rosenfarbene Veranda, die sich gegen die untergehende Sonne öffnete. Auf dem Tisch flackerten vier Lichter im Wind, der sich inzwischen etwas gelegt hatte.

      »Wozu Kerzen?« Daisy runzelte leicht die Stirn und schnippte sie mit den Fingern aus. »In zwei Wochen haben wir den längsten Tag im Jahr.« Sie sah uns strahlend an. »Geht es euch auch so, daß ihr immer auf den längsten Tag wartet und ihn dann verpaßt? Ich warte immer darauf und verpasse ihn jedesmal.«

      »Wir sollten etwas unternehmen«, gähnte Miss Baker; sie ließ sich so müde am Tisch nieder, als ginge sie zu Bett.

      »Fein«, sagte Daisy, »was wollen wir unternehmen?« Sie wandte sich hilfesuchend an mich: »Was unternimmt man denn so?«

      Bevor ich noch antworten konnte, blickte sie wehleidig auf ihren kleinen Finger.

      »Seht doch!« klagte sie. »Verletzt.«

      Wir sahen ihn uns an – der Knöchel war grün und blau. »Das warst du, Tom«, sagte sie vorwurfsvoll. »Nicht mit Absicht, ich weiß, aber du warst es. Das hat man davon, wenn man so einen ungeschlachten Kerl von Mann heiratet, so ein großes massiges, brutales Exemplar von –«

      »Ich kann das Wort brutal nicht leiden«, entgegnete Tom scharf, »auch nicht im Scherz.«

      »Brutal«, beharrte Daisy.

      Manchmal sprachen sie und Miss Baker gleichzeitig. Das wirkte aber nicht aufdringlich und war auch kein bloßes Geschnatter, sondern geschah aus einer gutmütigen Zerstreutheit und war von gleicher Kühle wie ihre weißen Kleider oder ihre ganz unpersönlich blickenden Augen, für die es keinen Wunsch und kein Begehren mehr zu geben schien. Sie waren nun mal da, akzeptierten Tom und mich und zeigten sich lediglich bemüht, uns auf höfliche und gefällige Art zu unterhalten und sich unterhalten zu lassen. Sie wußten, das Dinner würde bald vorbei sein und etwas später auch dieser Abend, vorbei und ad acta gelegt. Wie anders war das im Westen, wo man einen solchen Abend durch alle seine Phasen hetzte, bis zum Ende hin in ständiger Erwartung, enttäuscht zu werden, oder in nervöser Angst vor seinem bloßen Verlauf.

      Beim zweiten Glas des korkigen, aber ziemlich schweren Rotweins gestand ich: »Du bist so gräßlich zivilisiert, Daisy. Könntest du nicht einmal über die Weizenernte oder sonst etwas plaudern?«

      Ich hatte damit nichts Besonderes sagen wollen, aber es wurde auf eine überraschende Weise aufgegriffen.

      »Die Zivilisation geht sowieso zum Teufel«, legte Tom heftig los. »Ich bin mittlerweile ein schrecklicher Pessimist in diesen Dingen. Hast du den ›Aufstieg der farbigen Völker‹ von diesem Goddard gelesen?«

      »Wieso? Nein.« Sein Ton überraschte mich. »Nun, das sollte jeder lesen, ein ausgezeichnetes Buch.

      Es vertritt die These, daß die weiße Rasse, wenn wir nicht aufpassen, glatt überschwemmt wird. Alles vollkommen wissenschaftlich und belegt.«

      »Tom macht nämlich neuerdings in Bildung«, sagte Daisy und blickte unwillkürlich kummervoll drein. »Er liest tiefschürfende Bücher mit gewaltigen Fremdwörtern. Wie hieß doch das Wort, das wir –«

      »Sind eben wissenschaftliche Bücher«, sagte Tom und sah sie unwillig an. »Dieser Mann hat das alles durchdacht. Es ist an uns, der dominierenden Rasse, auf dem Posten zu sein, sonst werden die anderen alles an sich reißen.«

      »Wir müssen sie eben unterkriegen«, wisperte Daisy und zwinkerte dabei grimmig in die rotglühende Sonne.