Und wirklich, schon der Empfang selbst, der Schwejk im Irrenhaus zuteil geworden war, als man ihn vom Strafgericht zur Beobachtung einlieferte, übertraf seine Erwartungen. Zuerst zog man ihn nackt aus, dann gab man ihm irgendeinen Schlafrock und führte ihn ins Bad, während ihn zwei Wärter vertraulich unter den Armen faßten, wobei ihn einer mit der Wiedergabe einer jüdischen Anekdote unterhielt. Im Badezimmer steckte man ihn in eine Wanne mit warmem Wasser, zog ihn dann heraus und stellte ihn unter eine kalte Dusche. Das wiederholte man dreimal, und dann fragte man ihn, wie ihm das gefalle. Schwejk sagte, daß das angenehmer sei als in dem Bad bei der Karlsbrücke und daß er sehr gern bade. »Wenn Sie mir noch die Nägel und die Haare schneiden wern, so wird mir nichts zu meinem vollkommenen Glück fehln«, fügte er lächelnd und liebenswürdig hinzu.
Auch dieser Wunsch wurde erfüllt, und nachdem sie ihn noch gründlich mit einem Schwamm abgerieben hatten, wickelten ihn die Wärter in ein Leintuch und trugen ihn in die erste Abteilung ins Bett, wo sie ihn niederlegten, mit einer Decke zudeckten und ihn einzuschlafen baten.
Schwejk erzählt noch heute mit Liebe davon: »Stelln Sie sich vor, daß sie mich getragen ham, wirklich weggetragen ham, ich war in diesem Augenblick vollkommen glücklich.«
Und er schlief auch glücklich im Bett ein. Dann weckte man ihn, um ihm einen Topf Milch und eine Semmel vorzusetzen. Die Semmel war bereits in kleine Stückchen zerschnitten, und während einer von den Wärtern Schwejk an beiden Händen hielt, tunkte der andere die Semmelstückchen in die Milch und fütterte ihn, wie man eine Gans mit Stopfnudeln füttert. Als sie ihn gefüttert hatten, faßten sie ihn unter den Armen und führten ihn auf den Abort, wo sie ihn baten, seine kleine und große Notdurft zu verrichten.
Auch von diesem schönen Augenblick erzählt Schwejk mit Liebe, und ich muß sicherlich nicht mit seinen Worten wiedergeben, was sie dann mit ihm taten. Ich erwähne nur, daß Schwejk erzählt: »Einer von ihnen hat mich dabei in den Armen gehalten.«
Nachdem sie ihn zurückgebracht hatten, legten sie ihn wiederum ins Bett und baten ihn abermals, einzuschlafen. Als er eingeschlafen war, weckten sie ihn und führten ihn ins Ordinationszimmer, wo Schwejk, völlig nackt vor zwei Ärzten stehend, der glorreichen Zeit seiner Assentierung gedachte. Unwillkürlich entschlüpfte es seinen Lippen: »Tauglich.«
»Was sagen Sie?« fragte einer der Arzte. »Machen Sie fünf Schritte nach vorn und fünf Schritte zurück.«
Schwejk machte zehn.
»Ich habe Ihnen doch gesagt«, sagte der Arzt, »Sie solln fünf machen.«
»Mir kommts auf paar Schritte nicht an«, sagte Schwejk.
Hierauf forderten ihn die Ärzte auf, er möge sich auf einen Stuhl setzen, und einer klopfte ihm auf die Knie. Dann sagte er zu dem andern, daß die Reflexe vollständig normal seien, worauf der zweite den Kopf schüttelte und Schwejk selbst auf die Knie zu klopfen begann, während der erste Schwejks Augenlider emporhob und seine Pupillen untersuchte. Dann gingen sie zum Tisch und warfen ein paar lateinische Ausdrücke hin.
»Hören Sie, können Sie singen?« fragte einer von ihnen Schwejk. »Könnten Sie uns nicht irgendein Lied vorsingen?«
»Ohne weiters, meine Herren«, antwortete Schwejk. »Ich hab zwar weder Stimme noch musikalisches Gehör, aber ich will versuchen, Ihnen den Gefallen zu tun, wenn Sie sich unterhalten wolln!«
Und Schwejk legte los:
»Der junge Mönch im Lehnstuhl dort
blickt nieder in tiefem Sinnen,
zwei bittre heiße Tränen fort
auf seine Wangen rinnen.
Weiter kann ichs nicht«, fuhr Schwejk fort. »Wenn Sie aber wollen, sing ich Ihnen:
Wie ist mir heute bang zumute,
wie schwer hebts meine Brust,
dort in der Ferne, im Schein der Sterne
dort, dort allein ist meine Lust.
Und auch das kann ich nich weiter«, seufzte Schwejk. »Ich kann noch die erste Strophe von ›Kde domov mùj?‹2 und dann noch: ›General Windischgrätz und die hohen Herren, als die Sonne aufging, gaben die Befehle‹, und noch paar solche Nationallieder, wie: ›Gott erhalte, Gott beschütze‹ und ›Als wir nach Jaromĕř zogen‹ und ›Wir grüßen dich vieltausendmal‹.«
Die beiden Herren Ärzte blickten einander an und einer von ihnen stellte an Schwejk die Frage: »Wurde Ihr Geisteszustand bereits einmal geprüft?«
»Beim Militär«, antwortete Schwejk feierlich und stolz, »bin ich von den Herren Militärärzten amtlich für einen notorischen Idioten erklärt worn.«
»Mir scheint, Sie sind ein Simulant!« schrie der zweite Arzt Schwejk an.
»Ich, meine Herren«, verteidigte sich Schwejk, »bin kein Simulant, ich bin ein wirklicher Idiot, Sie können sich darüber in der Kanzlei der Einundneunziger in Budweis oder beim Ergänzungskommando in Karolinenthal erkundigen.«
Der ältere von den Ärzten winkte hoffnungslos mit der Hand und sagte, auf Schwejk weisend, zu den Wärtern: »Diesem Mann da geben Sie seine Kleider zurück, und bringen Sie ihn in die dritte Klasse auf den ersten Korridor, dann kommt einer zurück und trägt alle Dokumente über ihn in die Kanzlei. Und sagen Sie dort, daß mans bald erledigen soll, damit wir ihn hier nicht lang auf dem Hals haben.«
Die Ärzte warfen noch einen niederschmetternden Blick auf Schwejk, der ehrerbietig rücklings zur Tür zurückwich, wobei er sich höflich verneigte. Auf die Frage eines der Wärter, was er da für Dummheiten mache, erwiderte er: »Weil ich nicht angezogen bin, bin nackt und will den Herren nichts zeigen, damit sie nicht denken, daß ich unhöflich oder ordinär bin.«
Von dem Augenblick, wo die Wärter den Befehl erhalten hatten, Schwejk seine Kleider zurückzugeben, wandten sie ihm nicht mehr die geringste Sorgfalt zu. Sie befahlen ihm, sich anzukleiden, und einer führte ihn in die dritte Klasse, wo er während der paar Tage, deren es bedurfte, um in der Kanzlei seinen schriftlichen Hinauswurf durchzuführen, Gelegenheit hatte, hübsche Beobachtungen zu machen. Die enttäuschten Ärzte gaben ihm das Gutachten mit auf den Weg, daß er ein »Simulant von schwachem Verstand sei«, und weil man ihn vor dem Mittagessen entließ, kam es zu einem kleinen Auftritt.
Schwejk erklärte, wenn man jemanden aus dem Irrenhaus hinauswerfe, dürfe man ihn nicht ohne Mittagessen hinauswerfen.
Dem Auftritt machte der vom Pförtner herbeigeholte Schutzmann ein Ende, der Schwejk aufs Polizeikommissariat in die Salmgasse brachte.
5
Schwejk auf dem Polizeikommissariat in der Salmgasse
Auf die schönen sonnigen Tage im Irrenhaus folgten für Schwejk Stunden voller Nachstellungen. Polizeiinspektor Braun arrangierte die Begegnungsszene mit Schwejk mit der Grausamkeit römischer Henkersknechte aus der Zeit des reizenden Kaisers Nero. Hart, wie damals, als man sagte: »Werft diesen Lumpen, den Christen, vor die Löwen«, sagte Inspektor Braun: »Steckt ihn hinters ›Katr‹!«
Kein Wort mehr und kein Wort weniger. Nur die Augen des Herrn Polizeiinspektors Braun leuchteten dabei in einer sonderbaren perversen Wollust.
Schwejk verneigte sich und sagte stolz: »Ich bin bereit, meine Herren. Ich denk, daß Katr dasselbe bedeutet wie Separation, und das is nicht das ärgste.«
»Machen Sie sich hier nicht zu breit«, entgegnete der Polizist, worauf Schwejk sich vernehmen ließ: »Ich bin ganz bescheiden und dankbar für alles, was Sie für mich tun.«
In der Separation auf der Pritsche saß ein melancholischer Mann. Er saß apathisch da, und seinem Äußeren merkte man an, daß er beim Kreischen der Schlüssel in der Tür der Separationszelle nicht daran glaubte, daß sich