Hillmoor Cross. Shannon Crowley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Shannon Crowley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130425
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      Hillmoor Cross

      Shannon Crowley

      edition oberkassel

      2016

      Kapitel 1

      Die einsame Sackgasse, die am Ende der Ortschaft Hillmoor Cross lag, mündete in einen sandigen Fußweg. Jake stand, angespannt von den Haarwurzeln bis zu den Zehenspitzen und nahezu verborgen hinter einer Tanne am Waldrand und beobachtete die schmale Gasse. Keine Menschenseele war an diesem kühlen, sonnigen Nachmittag des 16. März hier zu sehen, obgleich 500 Meter weiter hinter einer Biegung des Fußweges der Kindergarten lag, in dem heute die vorgezogene Feier zum St. Patrick’s Day stattfand. Wer zum Hort wollte, nahm die Hauptstraße, die vorne am Eingang vorbeiführte. Viele brachten ihre Kinder mit dem Auto und konnten unmittelbar vor der Tür halten. Bis auf den kleinen Jungen, auf den Jake wartete, nutzte niemand diesen verlassenen Weg zum Kindergarten, das wusste er mittlerweile. Schließlich hatte er sich in den letzten zwei Wochen oft genug hier herumgedrückt. Schräg gegenüber von Jakes Posten befand sich eine verlassene Baustelle, auf der der Rohbau eines Bürogebäudes stand, an dem seit geraumer Zeit jegliche Arbeiten ruhten.

      Jake sah auf sein Handy. Fünf Minuten vor zwei Uhr. Um zwei Uhr fing die Feier im Kindergarten an. Er zerrte am Kragen seines grünen Poloshirts. Wo blieb der Junge? Was, wenn er gerade heute nicht hier entlangkam? Dann musste er sein Vorhaben um mindestens zwei Tage verschieben, denn morgen war der Kindergarten geschlossen. Jake durchlief ein Zittern. Das Kind musste einfach vorbeikommen – er hielt den Druck nicht länger aus. Im gleichen Moment sah er die kleine Gestalt den Gehweg entlangschlendern. Das Kind ließ die Finger über den eisernen Zaun seitlich des Bürgersteigs holpern, der die Baustelle gegen unbefugtes Betreten absicherte, und kam näher. Jake zog seine Kappe tiefer ins Gesicht, tastete nach seinem Bart und überquerte die Straße. Seine Knie zitterten und sein Herz pumpte so heftig, dass ihm die Luft knapp wurde.

      »Hey«, stieß er hervor, als der Junge nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war, und stellte sich ihm in den Weg. Seine Stimme klang heiser vor Erregung. Das Kind blieb stehen und sah ihn fragend an.

      »Willst du in den Kindergarten?«, erkundigte er sich. Der Kleine nickte. Er trug eine verwaschene Stoffhose, die ihm zu groß war und für den Frühjahrstag zu dünn.

      »Kannst du mir etwas helfen?«, fragte Jake weiter. Sein Herz schlug noch immer hart und schnell, und ihm rann der Schweiß über den Rücken.

      »Was denn?« Das Kind betrachtete ihn mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen. Jake ging in die Knie.

      »Pass auf. Ich muss auch in den Kindergarten.«

      »Du?« Der Junge runzelte die Stirn. »Du bist doch viel zu groß und zu alt.« Er steckte seine schmutzigen kleinen Hände die Hosentaschen.

      »Doch. Morgen ist doch St. Patrick’s Day, und ihr feiert heute schon, nicht wahr?«

      Das Kind nickte.

      »Die Laura sagt, morgen hat der Kindergarten zu. Deswegen feiern wir heute. Aber ich muss jetzt los, sonst verpass ich die Überraschung«, erklärte der Kleine wichtig.

      Jake suchte eilig aus den Augenwinkeln die Umgebung ab. Die Straße lag noch immer völlig verlassen. Links erstreckte sich ein Waldstück, rechts war die bewusste Baustelle. Der Kindergarten befand sich etwa hundert Meter entfernt hinter einer Biegung der Straße. Jake saß das Beben in allen Gliedern. Es dauerte zu lange. Er musste zusehen, dass er mit dem Jungen hier wegkam.

      »Nein, nein. Du verpasst nichts«, versicherte er eilig. »Ohne mich geht die Feier nicht los. Ich bin nämlich der Clown, der heute zu euch kommt, und du könntest mir etwas helfen.«

      »Du bist ein Clown? Du siehst aber gar nicht so aus.« Misstrauisch runzelte der Junge die Stirn.

      »Eben. Ich hab meinen Anzug im Auto vergessen. Kommst du mit und wir holen ihn? Danach gehen wir gemeinsam in den Kindergarten. Du darfst auch mein Assistent sein.«

      »Dein was?« Das Kind schob die Hände tiefer in die Taschen.

      »Du darfst mir helfen. Wie findest du das?« Jake richtete sich auf.

      »Krieg ich was dafür?«

      Für einen Moment war er verblüfft.

      »Fünf Euro, einverstanden?«

      »Gut.« Der Junge nickte. »Wo ist denn dein Auto?«

      Jake zeigte mit einer unbestimmten Bewegung zum Waldrand.

      »Dort hinten. Komm.«

      Der Kleine trottete neben ihm her.

      »Kannst du ein bisschen schneller laufen? Wir sind spät dran«, drängte Jake. Sie hatten die ersten Bäume erreicht. Er schob das Kind vor sich her in den Wald. Zwischen den Stämmen konnte man in etwa zwanzig Meter Entfernung die marode Scheune sehen, in der er den schlammfarbenen Range Rover abgestellt hatte. Das Dach hing an einer Stelle durch, als wollte es jeden Moment einbrechen, und an einer Seitenwand fehlten ein paar Bretter.

      »Hier ist doch gar kein Auto.« Das Kind blieb stehen. »Und außerdem hast du einen Bart und ein Clown hat keinen Bart«, fuhr der Junge fort.

      »Manchmal schon. Dort in der Scheune steht das Auto, und im Kofferraum liegt mein Kostüm.« Sie hatten den Schuppen erreicht. Jake zog eine der hölzernen Flügeltüren ein kleines Stück auf.

      »Komm«, wiederholte er und machte dem Jungen ein Zeichen, der zögernd näher kam. Jake öffnete den Kofferraum und mit einer Hand die Plastikdose, in der der mit Betäubungsmittel getränkte Schwamm lag.

      »Da ist aber gar kein Kostüm … « Blitzschnell drückte er dem Kind den Schwamm ins Gesicht. Der Junge sackte zusammen. Jake hob ihn hoch und legte ihn auf die Decke im Auto hinter dem Rücksitz. Er schlüpfte in dünne Einweghandschuhe, riss mehrere Stücke schwarzen Klebebands von einer Rolle und verschloss dem Kleinen den Mund. Hand- und Fußgelenke band er mit einer Paketschnur zusammen, schlug die Decke locker über den kleinen Körper und klappte den Kofferraum zu. Er nahm die Baseballkappe vom Kopf und wischte sich mit dem Ärmel den Haaransatz trocken. Er war schweißgebadet und sein Puls jagte. Gleich war es geschafft. In etwa zwanzig Minuten war er zu Hause und der Kleine gehörte ihm. Endlich. Vorsichtig spähte er aus der Scheune, ehe er die Türen weit öffnete.

      *

      Jake hatte Hillmoor Cross rasch hinter sich gelassen. Von der Seitenstraße aus, auf der er den Jungen angesprochen hatte, musste er lediglich zweimal abbiegen und war dann bereits unterwegs in Richtung Liscannor. Er mied die belebte Küstenstraße R 478, die zu den Cliffs of Moher führte, obgleich er auf diesem Weg schneller zu Hause gewesen wäre, und nahm stattdessen einen wenig befahrenen Umweg an Liscannor vorbei. Gelegentlich kam ihm dennoch ein Fahrzeug entgegen. Jake bemühte sich jedes Mal, den Kopf gesenkt zu halten, so gut dies gefahrlos möglich war, und fuhr konzentriert mit exakt der erlaubten Geschwindigkeit von achtzig Stundenkilometern. Er versuchte, nicht an den Kleinen im Kofferraum zu denken, und konnte doch nicht anders. Seine Erektion plagte ihn derart, dass er fürchtete, ohne Zutun zum Höhepunkt zu kommen, was in diesem Fall bitteren Zorn in ihm ausgelöst hätte. Er wollte sich jenen unwiederbringlichen und lang ersehnten Moment, dieses allererste Erleben seiner geheimsten und mächtigsten Fantasien aufsparen, um sie in allen Facetten zu genießen, und nicht vorab eine schale Milderung des Drucks erfahren.

      Jake umklammerte das Lenkrad. Er war gleich da, er musste nur noch einige Male abbiegen. Die Straße wurde schmaler. Seitlich erstreckten sich sanft geschwungene Wiesen, hier und da bewachsen mit niedrigen struppigen Sträuchern, an deren Zweigen bereits das erste zarte Grün schimmerte. Spätestens in zwei Wochen würden sich die jetzt noch geschlossenen Knospen öffnen und duftende gelbe Blüten hervorbrechen. Jake fuhr über einen Hügel und erblickte das niedrige Gebäude, das aus groben grauen Steinen gemauert war und geduckt in einer Senke lag. Zwei Anbauten, deren Dächer mit Stroh gedeckt waren, kauerten rechts vom Wohnhaus, weiter hinten glitzerte ein kleiner See in der Nachmittagssonne. Es gab keine benachbarten Häuser in Sichtweite. Rundum befanden sich ausschließlich Schafweiden und Kartoffeläcker, die zum Anwesen gehörten und die sein Urgroßvater einst bewirtschaftet hatte. Jake lenkte den Wagen zu dem Nebengebäude,