Kati Küppers und der gefallene Kaplan. Barbara Steuten. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Steuten
Издательство: Bookwire
Серия: Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130692
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      5

      Sabine Kirschbaum schob sich die blaue Baumwollmütze aus der Stirn und fuhr mit den Handschuhen über die Nase. Die große Sporttasche hing über ihrer rechten Schulter und stieß bei jedem Schritt an den Oberschenkel. Sie wäre doch besser erst nach Hause gegangen, um das Monstrum loszuwerden.

      Am nächsten Blumenkübel stellte sie die Tasche ab, zog den Reißverschluss auf und wühlte nach der Wasserflasche, die sie schließlich unter ihrem Trikot und zwei Handtüchern zwischen ihren Sportschuhen fand. Durch die Handschuhe dauerte es länger, bis sie den Verschluss geöffnet und den Trinknippel mit den Zähnen nach oben gezogen hatte. Sie nahm ein paar Schlucke, verschloss die Flasche wieder sorgfältig und verstaute sie dann genau dort, wo sie sie gefunden hatte, zwischen ihren Sportschuhen. Darüber drapierte sie die Handtücher und ihr Trikot.

      Ihr Kopf juckte. Vergebens versuchte sie, mit den Handschuhen durch die Mütze hindurch den stärker werdenden Juckreiz zu vertreiben. Der Herbstwind fegte ihr ins Gesicht und erinnerte sie daran, dass Jucken kein Übel im Vergleich zu den Ohrenschmerzen war, die ihr drohten, wenn sie die Mütze abnahm.

      Mittlerweile hatte sie den Platz vor der Kirche erreicht und blieb erschrocken stehen. Vor dem Haupteingang parkte ein Streifenwagen der Polizei. Ihr Herz pochte gegen den Brustkorb und das Blut rauschte laut in den Ohren. Ihr Blick huschte über den Kirchplatz, hinüber zum Bäcker und weiter zur Metzgerei. Niemand zu sehen. Alles still.

      Sabine zögerte. Ich könnte den Eingang zur Sakristei benutzen und so tun, als ob ich von der anderen Seite gekommen bin, dachte sie. Von da aus kann ich den Polizeiwagen nicht gesehen haben. Und dann tu ich ganz überrascht und erschrocken.

      Ein letzter prüfender Blick. Der Platz blieb leer. Die Sträucher am Rande des Platzes boten ihr nicht wirklich Deckung. Dennoch huschte Sabine in ihrem Schatten um die Kirche herum bis zur Tür, die in die Sakristei führte.

      Ihr Herz hämmerte so laut wie die dicke Trumm im Schützenzug. Hastig blickte sie sich um, stieg die Stufen hinauf und legte die Hand auf die Türklinke. Im nächsten Augenblick zog sie sie zurück, als hätte sie sich verbrannt.

      Wieder zögerte sie. Wieder legte sie die Hand auf die Klinke. Dieses Mal ließ sie sie dort länger ruhen, zog sie dann aber doch zurück. Sie streifte den linken Handschuh ab, kratzte sich erst am Kopf, dann an der rechten Hand. Das Jucken an der Hand nahm zu. Schließlich zog sie auch den anderen Handschuh aus und kratzte mit den gefeilten Fingernägeln über den rechten Handrücken, bis sich die weißen Striemen langsam rot färbten. Für einen Augenblick schloss sie die Augen, atmete mehrfach tief ein und aus, wie sie es gelernt hatte, um sich zu beruhigen. Doch der Erfolg war mäßig. Lange stand sie so.

      »Ich atme tief und ruhig ein …«, sagte die Stimme in ihrem Kopf, »atme ganz entspannt aus …«

      Schließlich wandte sie sich ab, schlich mit hängenden Schultern die Stufen hinunter und setzte wie ferngesteuert einen Fuß vor den anderen, bis sie ihr Elternhaus erreicht hatte.

      6

      Hedwig stellte Fleisch und Aufschnitt in den Kühlschrank, bevor sie ins Wohnzimmer stürmte.

      »Bärchen?«, versicherte sie sich, dass der Gatte ihr zuhörte. Kalle brummte und ließ die Zeitung sinken.

      »Hast du schon gehört?«, fragte Hedwig außer Atem.

      »Klar«, entgegnete Kalle ungerührt. Es ärgerte ihn, dass seine Frau ständig Fragen stellte, die er nicht beantworten konnte, weil sie ihm wichtige Informationen vorenthielt. Er war nur noch nicht dahintergekommen, was sie damit bezweckte.

      »Von wem?«, fragte Hedwig fassungslos und ließ sich aufs Sofa plumpsen. War Kalle gerade noch sauer gewesen, so wich sein Ärger jetzt einer leichten Besorgnis.

      »Hase?« Hedwig schüttelte nur stumm den Kopf.

      »Hasi, ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst. Ich hab nix gehört. Wat is los?« Kalle faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den Couchtisch.

      »Der Kaplan ist tot. Die Kellertreppe runtergefallen. In der Kirche.«

      Kalle traute seinen Ohren nicht.

      »Was?« Eine intelligentere Frage fiel ihm nicht ein.

      »Gerade eben. Nach der Messe im Kapellchen.«

      »Ach du Scheiße«, entfuhr es Kalle. Dass ihn seine Frau nicht tadelte, zeigte, wie durcheinander sie war.

      »Ich hab die Cilli Wilms an der Kapelle getroffen und mit zum Metzger genommen. Da standen die schon mit nem Polizeiwagen an der Kirche.« Hedwig schüttelte den Kopf.

      »Die Wilms hat sich den Schlüssel für die Kapelle heute noch mal geholt. Nach der Messe. Hat gestern wohl doch nicht geputzt.«

      »Ich hab den Schlüssel wieder mitgebracht. Sie war schon fertig.« Hedwig legte ihrem Mann die Hand aufs Knie. »Und dann kam der Heinrich beim Metzger rein und hat erzählt, was passiert ist.«

      »Welcher Heinrich?«, brummelte Kalle in seinen Bart. Nach der ersten Aufregung durfte er sich jetzt nur nicht anmerken lassen, wie gelegen ihm die Sache kam. Als Vorsitzender des Kirchenvorstandes verfasste er in Gedanken bereits Lobeshymnen im Nachruf, obwohl er den eigensinnigen Kaplan und seine Art, immer wieder das Rad neu zu erfinden, nicht ausstehen konnte.

      »Der Heinrich, der oben bei Küppers im Haus wohnt. Der immer im Fenster liegt.«

      Jetzt bot sich Kalle die Chance, die Pläne des Kaplans zu kippen.

      »Ach, der.«

      »Cilli Wilms sagt, der Kaplan hat sich mit Kati Küppers in die Wolle gekriegt.«

      Kalle lachte bitter.

      »Wie die Kesselflicker sollen die sich in der Sakristei gestritten haben. Und dann ist der Kaplan gegangen. Ohne die Messe zu lesen.« Hedwig starrte vor sich hin, dann wühlte sie im Zeitungsstapel auf dem Couchtisch.

      »Was suchst du?«

      »Die Pfarrnachrichten. Ich will wissen, ob heute noch was stattfindet. Vielleicht ist ja Rosenkranz oder Aussetzung.«

      »Kann man denn in die Kirche wieder rein?«

      Hedwig lächelte ihren Mann spöttisch an.

      »Was meinst du, warum ich die Pfarrnachrichten suche. Hier sind sie.« Triumphierend hielt sie das Blättchen hoch und kniff die Augen konzentriert zusammen, um die Ankündigungen für den Abend lesen zu können. Um keinen Preis hätte sie Kalle gebeten, ihr seine Lesebrille zu leihen.

      »Taizégebet«, entzifferte sie und legte enttäuscht das Blatt auf den Couchtisch zurück.

      »Da geht doch eh keiner hin«, spottete Kalle und griff zum Telefon.

      »Wen rufst du an?« Hedwig wurde nervös. Wenn sie ihre Frauen verständigen wollte, musste sie sich beeilen. Sie sollten es schließlich nicht von irgendwem erfahren. Ihre missbilligenden Blicke störten Kalle nicht im Geringsten.

      »Den Kirchenvorstand. Wen sonst?«

      Hedwig gab sich geschlagen. Wenn sie Glück hatte, erreichte Kalle niemanden. Die meisten Kirchenvorstandsmitglieder waren schließlich nicht wie er in Pension, sondern gingen einer geregelten Arbeit nach. Sie verzog sich in die Küche und fing an, Kartoffeln zu schälen.

      7

      Nachdem Benedikt den einzigen nicht verdreckten Sitzplatz an der Bushaltestelle entdeckt hatte, stellte er seine Sporttasche neben sich auf den Boden und setzte sich. Er zückte sein Smartphone, checkte die eingegangenen WhatsApp-Nachrichten und schaute hin und wieder suchend über die Straße, ob er seine Oma vielleicht übersehen hatte. Oder sie ihn. Er wählte Oma Katis Handynummer. Nach dem fünften Klingeln sprang die Mailbox an. Benedikt drückte sie weg, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.

      Die Sonne hatte sich hinter dem Haus versteckt, das der Bushaltestelle gegenüberlag, und Benedikt spürte die Kälte die Beine hochkriechen.