Nach einer Stunde war der Spuk vorbei und wir wurden nacheinander in einen Raum gerufen, wo man uns ein durchsichtiges Päckchen mit feinem, gelblich weißem Pulver in die Hand drückte – und einen Zettel. Wer mehr wolle, müsse wiederkommen. Beim nächsten Mal würde man von uns erwarten, mit nacktem Oberkörper zu tanzen.
Ich rannte nach draußen und traf dort auf die anderen. Überschwemmt von Adrenalin, übermütig durch unsere Kühnheit und unsere Tat, rannten wir bis zum Meer. Jeder von uns probierte von der Droge. Es war der pure Wahnsinn. Und natürlich wollten wir alle mehr.
Keine zwei Wochen später waren wir wieder in dem Keller versammelt. Bevor man uns die Augen verband, mussten die Jungs ihre T-Shirts und die Mädchen ihre Tops und BHs ausziehen. Ich erinnerte mich an Jacobs Gesichtsausdruck. Er stand vor mir und versuchte, mir in die Augen zu sehen. Noch bevor wir zu tanzen begannen, waren wir schon schweißgebadet. Der Sommer war fast an seinem Höhepunkt angelangt, die Hitze beinahe unerträglich. Und Jacobs Blick wanderte langsam meinen Hals entlang. Ich sah, wie er schluckte, als er auf meine Brüste blickte. Ich weiß noch genau: Ich habe ihn angegrinst und ihm die Zunge herausgestreckt. Doch er schaute mich nur an. Dann sah ich nichts mehr. Wieder die Dunkelheit, die Musik mit den dröhnenden Bässen, das Gemurmel der Menschen und die zufälligen Berührungen der anderen. Ich hörte meinen Atem schneller werden, genauso wie den der anderen auch. Und wieder bekam jeder ein Päckchen und einen Zettel mit Anweisungen.
Das nächste Mal also ganz nackt.
Auch in der folgenden Woche trafen wir uns. Wir wollten die Droge, allerdings begannen manche von uns, Skrupel zu bekommen. Wir alle hatten den Zusatz auf dem Zettel gelesen: Wer plauderte, starb. Wir wussten, wir saßen in der Falle, aber in unserer jugendlichen Unbekümmertheit dachten wir, es würde alles gut werden und niemandem könnte etwas geschehen. Keiner von uns wusste, wer uns zusah in den Nächten, in denen wir tanzten, und was die Menschen machten, während sie uns zusahen. Doch das Kokain war so gut, es war unser Freund geworden und wir mussten mehr davon haben. Und endlich gab es etwas, für das wir nicht mit dem Geld unserer Eltern bezahlen konnten, sondern das wir uns selbst verdienen mussten.
Also gingen wir wieder hin. Ich traf Jacob etwas früher als die anderen in der Gasse. Er wirkte nervös.
»Was hast du denn?«, fragte ich ihn.
Ich war aufgekratzt und sprang vor ihm auf und ab.
Er schüttelte den Kopf.
»Nichts, Audrey.«
»Na komm schon, raus mit der Sprache. Hast du Angst, weil wir jetzt alle zum ersten Mal deinen Schwanz sehen?«
Ich pikste mit meinem Zeigefinger im Takt zu meinen Sprüngen in seine Brust.
»Ach, komm.«
Er packte mich an den Schultern und zwang mich, mit dem Gehüpfe aufzuhören. Als ich still vor ihm stand und ihn mit großen Augen ansah, nahm er mein Gesicht in seine großen Hände.
»Audrey, du musst das nicht tun. Niemand von uns muss das, aber vor allem du nicht.«
»Wieso? Glaubst du, dass ich jetzt einen Rückzieher mache? Komm schon, es ist einmal ausziehen, dann das weiße Gold kassieren, abhauen, genießen. Mir macht das nichts aus! Mir geht’s gut dabei. Ich seh’ ja nicht mal, wer uns zusieht!«
»Hast du wirklich keine Ahnung, wer sich in den Nischen dieses Kellers aufhält, während wir tanzen? Es sind die Reichen, die Mächtigen, die Geschäftsleute aus Colante, aus Corrin genauso, hetero, schwul – die holen sich einen runter, während wir tanzen, die Frauen lassen sich genauso gehen dabei, wenn sie uns sehen, dann treiben sie’s miteinander ... Audrey, ich weiß nicht, ob es das wert ist.«
Doch ich war so dumm. So jung. Ich wollte immer mehr.
»Jacob, das ist mir egal. Ich will meinen Spaß, ich will meine Drogen, und dann nichts wie weg.«
Ich stupste ihn mit der Nase an, legte meine Arme um seine breiten Schultern und sagte mit leiser, verführerischer Stimme:
»Komm schon, sei kein Spielverderber. Wir liefern ihnen eine Show, dass sie explodieren vor Lust und Begierde.«
In Jacobs Augen blitzte etwas auf. Er sog scharf die Luft ein und starrte mich an. Sein Blick wanderte zu meinen Lippen. Dann riss er sich plötzlich los und trat einen Schritt zurück. Er drehte sich einmal um sich selbst, schaute mich wieder an und sagte mit einem wölfischen Grinsen:
»Gut, Süße, kannst du haben.«
Dieser Abend war anders. Wieder drängelten wir sieben uns die dunklen Stufen hinunter, doch dann ließ uns der schmierige Türsteher einzeln in einen kleinen Raum gehen, in dem wir unsere Kleidung ablegen sollten. Gleich danach wurden wir – wieder einer nach dem anderen – in die Mitte des Raumes mit der Musik geschubst. Es war unglaublich heiß in dem Keller, aber die Luft war nicht abgestanden. Es duftete ein wenig nach frischen Blumen. Der Boden war mit Teppich ausgelegt und fühlte sich warm an. Bevor man mir die Augen verband, trat Jacob neben mich. Ich musterte ihn ausführlich, mit unverhohlenem Interesse und schelmischem Blick. Jacobs ganzer Körper glänzte vom Schweiß und ich sah, wie sich sein Penis langsam aufzurichten begann. Hinter mir spürte ich die Wärme eines anderen Körpers. Ein Mädchen berührte mich an meiner Seite. Ein Schauer der Erregung durchlief mich von oben bis unten. Dann war alles dunkel und die Musik setzte ein. Es schien, als würde ich alles doppelt so sehr spüren, doppelt so sehr wahrnehmen wie bei den ersten Malen. Ich hörte den Atem der anderen laut und schon nach wenigen Minuten griff eine Hand nach mir. Es war eine weiche, zarte Hand. Das Mädchen. Es drängte sich an mich und begann, meinen Hals hinab bis zur Schulter zu küssen. Dann umfing mich ein weiterer Körper, an der Größe erkannte ich Jacob. Er atmete schnell, während er sich zum Rhythmus der Musik bewegte. Er umfasste meine Brüste und begann sie zu kneten. Er zerrte an meinen Brustwarzen, bis mir ein lautes Stöhnen entfuhr. Ich spürte, wie er sich von hinten an mich drängte, hart und fordernd. Um mich herum mussten ähnliche Dinge passieren, denn ich befand mich plötzlich inmitten einer Masse von heißen, nassen Körpern, die sich um mich drängten. Ich spürte Hände auf meinen Schenkeln, an meinem Po, eine davon drang langsam in die Spalte zwischen meinen Pobacken vor, zog sie auseinander. Dann ein heißer Atemzug dazwischen. Zugleich berührte ich Körper um Körper, verlor das Gefühl für Raum und Zeit und ließ mich fallen. Neben mir musste jemand begonnen haben, einen anderen mit der Hand zu befriedigen. Ich wurde schneller Bewegungen eines Unterarms gewahr, tastete mich vor, war neugierig, wollte mitten drin und dabei sein. Schließlich ein Betteln um Erlösung, ein lautes Stöhnen, und das Mädchen, das sich an mich gedrängt hatte, krallte seine Hände in meine Arme, vergrub sein Gesicht an meinem Hals und schrie noch einmal auf. Sie sackte um mich zusammen, wurde aufgefangen, ich hielt sie fest. Sie suchte meinen Mund, doch ich war nicht bereit.
Jacob spürte ich immer noch hinter mir, seinen Steifen an meiner Pofalte. Doch er tanzte mit mir, seine Hände an meinen Hüften, sein Mund an meinem Hals. Wieder griff eine Hand nach mir, eine männliche, da war ich mir sicher. Sie bedeckte fordernd mein Geschlecht, drückte einen Finger in die nasse Spalte. Ich stöhnte auf. Aber die Hand verschwand wieder und ließ mich dürstend nach Befriedigung zurück.
So ging es eine Weile weiter, dann riss man uns – für meinen Geschmack viel zu schnell – auseinander und führte uns nackt, wie wir waren, wieder einzeln in den Raum mit den Drogen. Das Päckchen war genauso groß wie immer und ich zog einen Schmollmund. Der Bedarf stieg. Was musste man tun, um mehr zu bekommen?
Als ich mein kurzes Sommerkleid anzog, dämmerte es mir. Sie wollten, dass wir selbst die Initiative ergriffen, dass wir es selbst wollten. Dafür nahmen sie die Wochen des Tanzens und Wartens in Kauf, solang sie noch niemanden haben konnten, der es mit ihnen trieb.
Diesmal standen auf dem Zettel nur ein Datum und eine Uhrzeit.
Die anderen warteten schon oben in der dunklen Gasse. Sie lachten hysterisch, waren euphorisch. Erneut hatten wir gegen den alteingesessenen Familienzwang rebelliert. Wieder waren wir