Die Öffnung lag rund zwei Meter über dem Fluss und hatte einen Durchmesser, der es mir gerade ermöglichte, mich hineinzuzwängen. Mein Respekt vor Enge und Dunkelheit war jedoch zu groß, als dass ich sofort den Kopf hineingesteckt hätte. Vorsichtig tapste ich mit den Zehen ins Innere der Röhre. Zentimeter für Zentimeter tasteten sich meine Füße weiter, bis sie das Ende des Rohres erreicht hatten. Nur noch mein Kopf ragte heraus. Ich fühlte, dass es dahinter breiter wurde. Das Ende der Öffnung war nicht das Ende des Loches. Meine Zehen tippten in alle Richtungen. Nach oben, nach unten, nach hinten. Nirgendwo stießen sie an. Ich kletterte heraus, um nun doch den umgekehrten Blick in die Dunkelheit zu wagen. Mit beiden Händen spreizte ich das Gestrüpp auseinander. Nach ein paar tiefen Atemzügen steckte ich den Kopf hinein und krabbelte hindurch.
So fand ich mein neues Zuhause.
Hinter der alten Röhre befand sich ein kleiner Hohlraum. Früher wurde hier wohl das Abwasser der Fabrik direkt in den Fluss geleitet. Die Abflussrohre zum Fluss waren jedoch wieder entfernt worden, nachdem das Wasserschutzgesetz vor Jahren streng geregelt worden war. Nur der Stumpf, der nun meinen Eingang bildete, war übrig geblieben. Bei den Umbauarbeiten musste diese kleine Höhle entstanden sein. Das Abwasser wurde seither durch das Erdloch in die Kläranlage gepumpt. An der hinteren Seite des Hohlraumes war noch ein Stück altes Rohr vorhanden, an welches man eine neue Leitung angekoppelt hatte. Zu meiner Überraschung handelte es sich um warmes Wasser, das durch die Leitung floss. Dadurch gab das Rohr Hitze ab und erwärmte den Raum. Ich konnte mich auf den Knien aufrichten und mich in hockender Haltung durch die winzige Stube bewegen. Das über den Schaft hängende Gras und Gestrüpp ließ nur wenig Licht in den Hohlraum eindringen, aber meine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit.
Kapitel 13
Noch am selben Tag holte ich meine wenigen Habseligkeiten bei Tante Margot ab. Meine Schultasche, meine Kleidung, mein Mobiltelefon mit der noch vollen Wertkarte, mein zweites Paar Schuhe und meinen Stoffhund, den mir Mama und Papa an meinem ersten Schultag geschenkt hatten. Ich war damals so schrecklich aufgeregt gewesen. Mama und Papa hatten gemeint, der kleine Hund würde gut auf mich aufpassen und ich bräuchte ihn nur fest an mich zu drücken, wenn ich mich unwohl fühlte.
Kapitel 14
Nachdem meine Eltern verunglückt waren, hatte ich den Stoffhund unzählige Male fest an mich gedrückt, aber er hatte mir leider nur wenig helfen können. Einzig der Gedanke daran, dass ihn Mama und Papa für mich ausgesucht und in ihren lebendigen Händen gehalten hatten, gab mir das Gefühl, dass das Hündchen mich mit meinen Eltern verband.
Gerne hätte ich Fotos von meiner Familie mitgenommen, aber ich konnte sie nicht finden. Ich hätte nach ihnen suchen müssen und ich wollte nicht riskieren, der Tante in die Arme zu laufen.
Schnell stopfte ich noch eine Decke in meine Tasche und lief aus Tante Margots Wohnung. Nie wieder wollte ich hierher zurückkehren. Die letzten Wochen waren schrecklich gewesen.
An diesem Tag wurde der Hohlraum an der Böschung hinter dem Fabrikgelände meine neue Bleibe.
Ich lebte in einer Penthouse Wohnung im besten Viertel. Die riesige Glasfront bot einen unglaublichen Blick über die Dächer der Stadt. Meine Terrasse überragte die der anderen. Ich fühlte mich wie in einem Adlerhorst, von dem aus ich alles überblicken konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Ich war ein großer Fan von Philippe Starck und hatte ihm die Einrichtung meiner Wohnung überlassen.
Meine Terrasse war mit Bäumen und Bambus bepflanzt. In der Mitte befand sich der Pool, in dem ich dank Gegenstromanlage ausgiebige Schwimmeinheiten absolvieren konnte. Abends saß ich oft stundenlang mit einem kalten Bier im sprudelnden Jacuzzi und blickte in den Himmel oder über das Lichtermeer der Stadt. Viele meiner Geschäftsideen waren hier geboren worden.
Kapitel 15
Ursprünglich stammte ich aus einer ganz normalen Familie. Meine Mutter war Hausfrau und kümmerte sich um Haus, Garten, meinen Vater, meine jüngere Schwester und mich.
Mein Vater war technischer Leiter einer großen Klinik und verdiente gut, wenn auch nicht überragend. Unser Leben war das einer ganz normalen, fast langweiligen Familie. Ich genoss viele Freiheiten, obgleich mein Vater sehr bestrebt war, meinen Ehrgeiz zu schüren. Wie oft hörte ich ihn predigen, dass mich ein Leben in einer Leistungsgesellschaft erwartete, in der nur die Besten und Stärksten eine Chance hatten.
Mein Wirtschaftsstudium schloss ich mit Auszeichnung ab und wurde im Anschluss mit offenen Armen in der Arbeitswelt empfangen.
Meine Karriere war von da an eine steile und rasante. Ich hatte bald den Ruf des harten Verhandlers und schnellen Denkers. Rhetorisch war ich bereits während der Studienzeit meinen Kommilitonen und selbst den Professoren überlegen. Oft begriffen meine Geschäftspartner die Tragweite ihrer Unterschrift erst dann, wenn sie bereits auf Papier klebte.
Mit fünfunddreißig wurde ich in den Vorstand des Unternehmens gehoben und drei Jahre später übernahm ich den Vorsitz. Das Unternehmen florierte und parallel dazu mein persönliches Vermögen.
Beziehungen hatten in meinem Leben keinen Platz. Sex hingegen einen hohen Stellenwert. Sex setzte ich auf eine Ebene mit Sport. Beides verhalf mir, Ventile zu öffnen und Druck loszuwerden. Ich verausgabte mich in der Kraftkammer ebenso bis zur Erschöpfung, wie ich es in einer wilden Liebesnacht tat. Ich mochte meinen durchtrainierten Körper und ich mochte das Gefühl der Befreiung nach einem bombastischen Orgasmus. Gefühlsduselei kam weder in der Kraftkammer noch im Bett auf, zumindest nicht von meiner Seite.
Einige wenige Beziehungen hatte ich versucht und allesamt waren sie innerhalb kürzester Zeit wieder zu Ende gewesen. Nach einem kurzen Strohfeuer an Euphorie kam die Ernüchterung, gefolgt von gähnender Langeweile und schließlich dem Gefühl massiver Aversion. Es war immer die gleiche Entwicklung. Ich entdeckte eine schöne Frau, groß und blond, mit einem makellosen Körper. Der Wolf in mir leckte Blut. Ich kam, sah und siegte. Die Schönheit landete in meinem Bett und ich hatte ihr, nachdem ich sie gevögelt hatte, nichts mehr zu sagen. Die Mädchen hingegen glaubten mit ihrer Hingabe, den Anfang einer Beziehung gesetzt zu haben und klammerten.
Manche von ihnen führte ich noch ein weiteres Mal zum Essen aus, weil ich es für möglich hielt, dass die Faszination zurückkehren würde. Doch bereits bei der Vorspeise langweilten mich die substanzlosen Inhalte ihrer Gespräche. Während des Hauptganges steigerte sich meine Stimmung in Richtung Antipathie und als der Kellner an den Tisch trat, um die leeren Teller abzuräumen, wünschte ich mir nur noch, er würde die Tussi gleich mitnehmen.
Ich warf nicht alle Frauen in den gleichen Topf. Aber ich kannte bisher nur zwei Typen von Frauen: die klugen, die jedoch völlig asexuell durch die Welt spazierten und als Objekte der Begierde genauso unbrauchbar waren wie Biomülltonnen. Und dann jene Frauen, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen, deren Traumfrauenstatus jedoch jäh zunichtegemacht wurde, weil die Durchtrennung ihrer Stimmbänder nicht stattgefunden hatte.
Als Resultat dieser Erfahrungen hatte ich aufgehört, Frauen in mein Apartment zu nehmen. Meist mietete ich Hotelsuiten an,