»Sieh dir das mal im Spiegel an.« Er stellte sich neben sie, ließ seine Hand vor ihrem Schritt schweben, ohne sie anzufassen. »Mit männlichen Models wäre es eine gute Komposition.« Dann führte er sie zurück auf die Couch. Überrascht sah sie ihn an.
»Setz dich.«
Sie ließ sich fallen, versank beinahe. Diese Couch war groß und sehr bequem. Was man auf ihr alles tun könnte … Hatte er ihren verbalen Rückzieher überhaupt verstanden? Anscheinend ja, denn er ließ seine Hände von ihr und setzte sich neben sie.
»Was hast du lieber, wenn du ordentlich durchgefickt oder geleckt wirst?« Er fragte direkt und provokant. Sein Blick hatte sich geändert. War es doch falsch, ihn abgewiesen zu haben? Oder begann nun eine Unterhaltung, die sie so nicht erwartet hatte? Wahrscheinlich hatte er dieses Gesprächskonzept nach jahrelanger Berufserfahrung erstellt und unterhielt sich in dieser Ausdrucksweise, um abzuschätzen, wie seine Starlets tickten. Sicher gab es auch gierige Schlampen und obendrein Nutten ohne Niveau. Vielleicht selektierte Henry sie durch diese Gespräche? Vielleicht war das sein endgültiges Auswahlprinzip? Emma wurde nervös, sie verspürte ein Kribbeln im Nacken und sah Henry unsicher an. Zu was zählte er sie? Zu den Frauen mit Stil oder bereits zu den Schlampen?
»Och, das ist doch beides gut«, antwortete sie. Es war unverbindlich und ließ Spielraum in beide Richtungen. Sollte er doch selbst raten. Emma fragte sich, was er wohl hören wollte. Was zum Teufel ging ihn das eigentlich an? Und spielte ihre Antwort überhaupt noch eine Rolle? Hatte er sie nicht schon längst gewählt? Warum stellte er ihr jetzt diese intimen Fragen? Unsicherheit schwebte im Raum und umhüllte sie. Er sah sie argwöhnisch an.
»Aber wenn du dich entscheiden müsstest, was würdest du nehmen?«
»Es käme auf das Aussehen des Partners an, aber wahrscheinlich wäre mir die Zunge lieber.« Ob er es auch fotografieren würde, wenn ein Mann eine Frau leckte? In Großaufnahme? Irgendwo mussten die Bilder im Internet ja herkommen. War Henry so ein ausgebuffter Pornofotograf? Wahrscheinlich verdiente er damit einen Haufen Geld, sonst hätte er nicht so eine teure Einrichtung und so ein großes Studio. Sie versuchte abzuschätzen, wie groß sein Gebiet war, auf dem er Fotos und Filme produzierte. Sicher hatte er ein breites Themenspektrum.
»Du fotografierst alles, nicht wahr?«, fragte sie ihn neugierig.
»Ja, Männer und Frauen. Alles. Und natürlich filme ich auch, aber lassen wir das Thema. Ich glaube nicht, dass das etwas für dich ist.«
»Doch! Ich bin sehr daran interessiert.« Hatte er denn noch nicht bemerkt, wie brennend neugierig sie auf alles war? Ihre Signale waren doch unmissverständlich, oder nicht?
»Wie sehr?« Er sah ihr tief in die Augen, als wollte er überprüfen, ob sie die Wahrheit sagte und sich wirklich inbrünstig wünschte, in seine Foto- und Filmwelt einzutreten.
»Ich möchte mir am liebsten alles ansehen.«
»Das darf nicht jede. Das musst du dir erst verdienen«, meinte er und nahm sie bei der Hand. »Komm her, an den Spiegel.«
Was hatte er jetzt vor? Etwa eine neue Prüfung, die sie bestehen sollte? Er hatte einige Dinge auf einem weiß gedeckten Konsolentisch liegen. Schminkutensilien, Reinigungstücher und einen Handspiegel neben verschiedenen Behältnissen. Er nahm eine kleine Dose, öffnete sie und flog, mit den Fingern flatternd, über ihren Inhalt. Dann griff er hinein.
»Diesen. Nimm den Lippenstift und mach deine Lippen schön rot.« Emma nahm ihn aus seiner Hand. Sie wandte sich erneut dem Spiegel zu und setzte den Lippenstift an. Einen knallroten hatte Henry für sie ausgesucht. Im Alltag würde sie niemals roten Lippenstift auftragen, aber zu diesem Zweck und in dieser Aufmachung machte es ihr nichts aus. Sie fand die Farbe passend. Das orangerote Minikleid arrangierte sich toll mit ihrem jetzigen Aussehen. Die Brüste standen heraus, der Kussmund war voll und schön rot und die streng nach hinten gezogenen Haare erfüllten ihre Erwartungen vom Bild einer richtigen Erotikdarstellerin. Emma fühlte sich beinahe, als könnte sie sich selbst in einem Film sehen. Alles erschien unwirklich und das diffuse Licht im hinteren Teil des Studios hatte eine eigenartige Wirkung. Henry sah, hinter ihr stehend, in den Spiegel, wo sich ihre Blicke trafen.
»Dreh dich zu mir herum. Du hast so volle Lippen, die wirken mit dem Rot sehr erotisch. Du darfst übrigens die Schuhe wieder ausziehen.« Emma setzte sich auf den Rand der Couch, öffnete die Riemchen an den Fesseln und zog die schweren, hohen Plateauschuhe von ihren Füßen. Sie war erleichtert, dass sie davon befreit war, und lächelte, als sie die nackten Fußsohlen auf den weichen Teppich stellte.
»Du sagtest, du lebst allein.« Sein Blick wirkte zweifelnd und prüfend zugleich.
»Ja schon, aber das heißt nicht, dass ich keinen Sex habe.«
»Was willst du damit sagen?« Er forderte sie ganz schön heraus. Musste sie wirklich alles beantworten? Was wäre, wenn sie es nicht täte? Würde sie dann durch sein Raster fallen?
»Ich suche mir hier und da mein Vergnügen.« Was sollte schon Verbotenes daran sein, wenn sie ihm gestand, was sie tat? Schließlich saß sie auf der Couch eines Pornofotografen. Bestimmt war der selbst mit allen Wassern gewaschen und vögelte seine Kandidatinnen durch.
»Aha, und hast du jemand bestimmten?«, bohrte er weiter.
»Nein. Es wechselt sich ab«, antwortete sie arglos.
»Soso … es wechselt sich also ab.« Seine Stimme wurde flach. Er zischelte etwas durch die Lippen und wandte sich von ihr ab, um seine Kamera zu überprüfen. Ob er wusste oder ahnte, was sie privat trieb? Dann drehte er sich wieder zu ihr. Seine Augen schienen gierig nach ihren innersten Gedanken zu suchen. Aber zu viel wollte Emma eigentlich nicht von sich preisgeben. Verdammt, warum musste sie immer alles beantworten?
»Ich möchte dich küssen«, sagte er kurz und fordernd. Emma bekam ein schlechtes Gewissen. Könnte sie ihm widerstehen? Würde er sie für sich benutzen und später durchficken wollen? In diesem Fall würde sie sicher durchfallen.
Emma sah ihn abschätzend an. Sein Blick war verlangend, die Arme offen für sie. Er stand da und wartete, dass sie ihm nahe kam. Solange es nur ein Kuss war …
Ach, was soll’s?, dachte sie und ließ sich kurzerhand darauf ein. Gleichzeitig hätte sie sich am liebsten auf die Lippen gebissen. Die Unentschlossenheit war wieder da, aber es war bereits zu spät. Emma hing an seinen Lippen. Er küsste sie leidenschaftlich. Sie hatte in diesem Moment total vergessen, dass sie ihre Lippen knallrot geschminkt hatte. Henry presste seine Lippen auf ihre, wanderte mit dem Mund über die Lippenränder, schmierte hin und her und hielt dabei ihren Kopf mit beiden Händen fest. Sie fühlte sich wie in einem Schraubstock und konnte dem Druck seiner Hände nicht ausweichen. Warum tat er das? Vorhin war er doch noch ganz normal gewesen.
»Aua«, sagte sie mit gequetschter Stimme.
»Da, du kleine Schlampe. Sieh in den Spiegel«, motzte er sie an. Hastig drehte er sie herum, schubste sie in Richtung Spiegel und hielt ihr Gesicht so, dass sie sich direkt ansehen musste. Sein Griff war hart. Was war bloß in ihn gefahren? Emma erschrak vor ihrem Spiegelbild. Was hatte er mit ihr angestellt? Wie sah sie denn jetzt aus? Das konnte er doch nicht machen! Emma verstand ihn und die Welt nicht mehr. Sich schämend hielt sie sich die Hand vor den Mund und lief eilig zur Tücherbox, um sich mit einem Kosmetiktuch den Mund abzuwischen. Sie rubbelte fest über ihre Lippen, ihr Kinn und die Wangen. Wut schäumte in ihr hoch. Sie sann nach einer Retourkutsche, nach Rache.
Henry lachte laut auf. Sein doofes Spiel gefiel ihm auch noch! War das etwa das sprichwörtlich