Mein Essen schlinge ich herunter, ohne auch nur den Geschmack wahrzunehmen.
Endlich bin ich erlöst und fahre nach East Village ins Café. Es ist wunderschönes Wetter. Das Sonnenlicht fällt golden auf die bunten Blätter. Trotz des verleitend warmen Wetters kommen mir plötzlich Zweifel, ob ich mich wirklich mit dem Mann meiner Träume der letzten zwei Jahre treffen soll. Vielleicht sollte ich einfach weiter von ihm träumen. Manchmal sind ja die Träume schöner als die Wirklichkeit. Ist das jetzt schon Betrug, wenn ich einen Kaffee mit ihm trinke und mich nur mit ihm unterhalte? Was soll ich ihm überhaupt erzählen und wie soll ich mich ihm gegenüber verhalten? Wird mein Mann sauer, wenn er von dem Treffen erfährt oder soll ich ihm beiläufig beichten, dass ich einen alten Bekannten ganz zufällig getroffen habe? Sauer ist er so oder so. Aber mit all diesen Gedanken will ich mich jetzt nicht befassen. Das belastet mich nur und macht mich zurückhaltend und das will ich nicht sein. Ich will das Zusammentreffen mit meinem Traummann genießen. Ich will mit ihm flirten, mit ihm lachen und ihn vielleicht auch küssen. Dann werde ich sehen, was daraus wird. Fühlt er für mich genauso wie ich für ihn?
Zehn Minuten vor der Zeit fahre ich auf den Parkplatz des Cafés. Ich hole mir einen Latte Macchiato und setze mich auf die Terrasse in die Sonne. Hier sitzen nur ältere Leute, die ich nicht kenne, was ein Wunder ist. Normalerweise treffe ich immer irgendwelche Bekannte. Nervös blättere ich in einer Frauenzeitschrift, die jemand auf dem Tisch vergessen hat, als plötzlich mein Handy klingelt. Das Display zeigt die Nummer meines Verehrers. Er wird doch jetzt nicht kurzfristig absagen ...
Nein, er hat sich verfahren und ich lotse ihn per Telefon zum Parkplatz des Cafés. Da stehe ich nun am Straßenrand wie eine Bekloppte, die einem herannahenden Auto winkt. Die Leute denken bestimmt, ich habe sie nicht alle. Aber, scheiß auf die Leute, scheiß auf die Gedanken. Schwungvoll parkt der silberne Chrysler 300 mit dem fremden Nummernschild ein. Bevor ich beim Wagen bin, ist mein Traummann schon ausgestiegen und kommt lachend auf mich zu. Sieht der Mann gut aus! Nein, nicht gut – attraktiv, anziehend, erotisch. Ja, das ist es. Er hat eine erotische Ausstrahlung, dieser große, breitschultrige, braungebrannte Mann mit seinen stoppelkurzen grauen Haaren.
Verschmitzt lacht er mich aus seinen stahlgrauen Augen an und drückt mir seinen Dreitagebart an meine linke Wange, die ich ihm auf den Fußspitzen balancierend bereitwillig hinhalte. Aber die Wange reicht ihm nicht aus. Er umfasst meine linke Pobacke mit seiner riesigen Hand und drückt mich eng an sich. Verlegen halte ich ihm auch noch die andere Wange hin, bevor er auf die Idee kommt, mich in der Öffentlichkeit auf den Mund zu küssen.
»Meine Königin«, haucht er mir ins Ohr.
Na, das fängt ja gut an. Der Skandal ist jetzt schon perfekt, wenn mich hier irgendeiner sieht, der mich nur annähernd kennt. Das geht dann morgen rum wie ein Lauffeuer. Aber ehrlich gesagt, selbst das ist mir im Moment egal. Selbst wenn er mich hier und jetzt über die Kühlerhaube seines schicken Chryslers werfen und sich selbst auf mich stürzen würde, wäre es mir auch egal. Dieser Mann macht mich unglaublich an. Er hat so etwas Animalisches an sich. Das ist mir in diesem Ausmaß noch nie mit einem anderen Mann, außer mit meinem Mann vor fünfundzwanzig Jahren, passiert. Die Wirklichkeit ist sogar noch besser als meine Träume, die ich seit zwei Jahren von ihm habe, als wir uns auf einem Seminar in Philadelphia kennengelernt und die ganze Nacht durchgetanzt hatten. Schon damals wollte er die Nacht mit mir verbringen. Aber ich blöde Kuh habe abgelehnt.
»Ich halte nichts von One-Night-Stands«, hatte ich ihm damals zu verstehen gegeben. In den Monaten danach hatte er mich immer wieder angerufen und wir schickten uns ein paar verliebte SMS hin und her.
Einmal hatten wir uns tatsächlich auf einer Veranstaltung wiedergetroffen. Aber das war harmlos gewesen. Er musste noch vor dem Ende des offiziellen Teils gehen. Danach hatte ich ihn anderthalb Jahre nicht gesehen. Nur zu Weihnachten kamen ein paar liebe Grüße. Und dann, vor vier Wochen, tauchte mein Traummann wie aus dem Nichts wieder auf. Obwohl er mir erzählte, dass er mittlerweile verheiratet ist, fliegen seitdem Schmetterlinge in meinem Bauch herum und meine Träume sind wieder aufregender und bunter geworden.
Er nimmt mich an die Hand und führt mich an den Tisch, auf dem mein Latte Macchiato kalt geworden ist. Die Selbstverständlichkeit, mit der er Besitz von mir ergreift, ist unglaublich. Ich kann das Zittern meiner Knie kaum unterdrücken. Das Angebot für ein Stück Kuchen lehne ich dankend ab. Ich habe Angst, dass ich mich vor lauter Nervosität verschlucke. Als ob er meine Gedanken lesen könnte, nimmt er meine rechte Hand und führt sie an seinen Mund.
»Bleib ganz ruhig, ich tue dir nichts. Ich will nur ein bisschen mit dir reden.«
Mit meinen neunundvierzig Jahren werde ich doch tatsächlich knallrot. Mir wird heiß, der Schweiß läuft mir aus den Poren und steht auf meiner Stirn. Warum muss ich ausgerechnet jetzt eine dieser blöden Hitzewallungen haben? Ich lächle ihn verlegen von der Seite an, in der Hoffnung, dass er nichts merkt.
Er streicht mir über die Wange und umfasst dann ganz plötzlich mein rechtes Bein mit seinen riesigen Händen. »Mensch, das ist ja so toll, dass wir uns endlich mal wiedersehen. Ich freue mich riesig.« Er freut sich tatsächlich wie ein kleiner Junge. Seine Augen blitzen und das macht ihn noch erotischer. Ich würde ihn am liebsten auf der Stelle küssen, ihn umarmen, an mich drücken und ihn nicht mehr loslassen.
Stattdessen unterhalten wir uns etwas über unser Leben in den letzten zwei Jahren und sehen uns dabei tief in die Augen. Ich verstehe nicht, warum er mich sehen will, wenn er doch erst seit kurzem verheiratet ist.
»Machst du das immer so?«, frage ich.
»Nein, du bist eine Ausnahme.«
»Aber warum?«, bohre ich weiter.
»Das kann ich dir nicht sagen. Du würdest erschrecken.«
Verblüfft schweige ich.
»Ich muss seit unserer ersten Begegnung immer an dich denken. Du faszinierst mich.«
»Mir geht es genauso«, gebe ich zu. »Ich kann dich nicht vergessen.«
Doch bevor es noch intimer wird und wir uns hier verbal vernaschen, wechsle ich schnell das Thema. Ich erzähle ihm von meinem Thriller, den ich geschrieben habe.
»Das finde ich toll. Schreib doch mal einen Erotik-Thriller. Ich liefere dir auch gern die passende Erfahrung dazu ...«
Wow, das haut mich um. Er macht mir ganz offen ein Angebot und ich höre mich antworten: »Wenn das so einfach wäre. Ich glaube, ich bin dazu nicht skrupellos genug. Ich möchte meinem Mann nicht wehtun, aber: Danke für das Angebot.«
»Ich will dich nicht drängen, aber ...«
»Darüber muss ich nachdenken. Gib mir etwas Zeit.«
»Wir müssen ja nichts überstürzen. Lass uns einfach daran arbeiten. Aber du sollst wissen, dass ich dich will. Ich will mit dir schlafen. Nicht nur einmal, sondern viele schöne Male.«
Wieder Wow! Genau das will ich auch. Ich will ihn. Ich will erotischen Sex, ich will wilden Sex, ich will romantischen Sex mit ihm haben. Ich bin bereit, es in allen Varianten mit ihm zu treiben. Das wird mir jetzt und hier klar. Egal, was dabei herauskommt. Aber ich muss ihn haben. Ich muss das Gefühl haben, dass ich noch lebe, dass ich noch etwas in mir spüre, dass ich noch keine alte Frau bin.
Seine Hände erfassen mein Knie und er kommt mir mit seinem Gesicht gefährlich nahe.
»Hör auf damit«, weise ich ihn zurecht. »Du machst mich nervös. Außerdem kennt mich hier jeder. Wir gehen jetzt und zwar getrennt. Und wage es nicht, mich zu küssen!«
»Wir bleiben in Kontakt. Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du Sehnsucht hast. Ich komme geeilt. Du wirst es nicht bereuen.«
Ich bereue es jetzt schon, dass ich mich ihm nicht gleich hingebe. Aber das wäre ungeschickt. Den Moment völliger Hingabe möchte ich solange wie möglich hinauszögern. Es heißt nicht umsonst: Vorfreude ist die schönste Freude.
Beim Hinausgehen tätschelt er meinen Po und wirft mir einen Handkuss zu. Ich klopfe