Zumindest filmen sie es nicht, dachte er düster und hielt immer noch die Waffe auf die beiden Polizisten gerichtet. Jetzt mach schon, Mitch...
Der jüngere der beiden Beamten runzelte die Stirn in Richtung seines Partners. Sie schauten einander an und blickten dann gen Himmel, während ein neues Geräusch sich mit dem entfernten Heulen der Sirenen verband -ein jaulendes Brummen, wie ein grell heulender Motor.
Was ist das? Sicher kein Auto. Aber nicht laut genug für einen Hubschrauber oder ein Flugzeug...
Reid blickte ebenfalls hoch, doch er wusste nicht, aus welcher Richtung das Geräusch kam. Er musste sich nicht lange darüber wundern. Von der linken Seite des Baseballplatzes aus kam ein winziges Objekt in sein Blickfeld, es flog schnell durch die Luft, wie eine summende Biene. Seine Form konnte man nicht erkennen, es schien weiß zu sein, doch es war schwer, es direkt anzusehen.
Die Unterseite ist mit einer Reflexionsschicht bemalt, sagte Reids Gehirn ihm. Es hält die Augen davon ab, es anzuvisieren.
Das Objekt verlor an Höhe, gerade so, als würde es aus der Luft fallen. Während es über den Pitcherhügel flog, fiel etwas anderes aus ihm raus - ein Stahlkabel mit einer kurzen Stange am Ende, wie etwa eine einzige Leitersprosse. Ein Abseilkabel.
„Das muss wohl mein Gefährt sein”, murmelte er. Während die Polizisten ungläubig das wortwörtliche UFO anblickten, das da auf sie zuflog, warf Reid die Pistole auf die Kieselsteine. Er stellte sicher, dass er seinen Seesack fest im Griff hatte und als die Leitersprosse auf ihn zu schwang, griff er danach und hielt sich fest.
Er zog seinen Atem ein, weil er sofort in den Himmel gerissen wurde, sechs Meter binnen Sekunden, dann zehn, dann fünfzehn. Die Jungs auf dem Baseballplatz riefen und zeigten auf das fliegende Objekt, während dieses das Kabel schnell einzog und dabei gleichzeitig immer höher flog.
Er blickte hinunter und sah, dass zwei weitere Polizeiwagen mit kreischenden Reifen auf dem Parkplatz eintrafen, die Fahrer ausstiegen und nach oben schauten. Er war schon über fünfzig Meter in der Luft, als er das Cockpit erreichte und sich auf den einzelnen Platz setzte, der dort auf ihn wartete.
Reid schüttelte verwundert den Kopf. Das Gefährt, das ihn abgeholt hatte, war kaum mehr als eine kleine, eiförmige Schale mit vier parallelen Armen in Form eines X, von denen jede einen sich drehenden Rotor am Ende hatte. Er wusste, worum es sich hierbei handelte - ein Quadopter, eine Einpersonendrohne, komplett automatisiert und höchst experimentell.
Eine Erinnerung blitzte in seinem Gedächtnis auf: Ein Flachdach in Kandahar. Zwei Scharfschützen haben dich auf deinem Standort umzingelt. Du hast keine Ahnung, wo sie sind. Bewege dich und du stirbst. Dann ein Geräusch - ein helles Heulen, kaum mehr als ein Summen. Es erinnert dich an deinen Rasentrimmer zu Hause. Eine Form erscheint am Himmel. Man kann sie nur schwer erkennen. Du kannst sie kaum sehen, doch du weißt, dass Hilfe angekommen ist...
Die CIA hatte mit Maschinen wie diesen experimentiert, um Agenten aus heißen Zonen zu befreien. Er war ein Teil dieses Experiments gewesen.
Es gab keine Kontrollschalter vor ihm, nur einen LED-Bildschirm, der ihm mitteilte, dass sie sich mit dreihundertsiebenundvierzig Stundenkilometern durch die Luft bewegten und in etwa vierundfünfzig Minuten ankämen. Neben dem Bildschirm war ein Kopfhörer. Er hob ihn an und setzte ihn auf.
„Null.”
„Watson, verdammt, wie hast du den bekommen?”
„Habe ich nicht.”
„Mitch war es also”, stellte Reid fest und es bestätigte seine Vermutungen. „Der ist nicht nur eine ,Aushilfe’, oder?”
„Der ist, was immer du möchtest, damit du darauf vertraust, dass er dir helfen will.”
Die Luftgeschwindigkeit des Quadopters erhöhte sich stetig und glich sich an etwas unter vierhundertachtzig Stundenkilometern an. Die geschätzte Ankunftszeit wurde um mehrere Minuten verkürzt.
„Und was ist mit der Agentur? fragte Reid. „Können die...?”
„Ihn orten? Nein. Zu klein und fliegt auf niedriger Höhe. Außerdem ist er außer Betrieb gelegt. Sie meinten, der Motor wäre zu laut, um ihn bei geheimen Einsätzen zu verwenden.
Er atmete erleichtert aus. Er hatte jetzt ein Ziel, dieses Starlight Motel in New Jersey und wenigstens war es keiner von Rais’ Tricks, der ihn dort hinführte. Falls sie noch dort waren, könnte er das alles beenden - oder es zumindest versuchen. Er konnte nicht die Tatsache ignorieren, dass dies nur in einer Konfrontation mit dem Attentäter enden könnte, und dass es seine Aufgabe war, die Mädchen aus dem Kreuzfeuer zu halten.
„Warte fünfundvierzig Minuten und schicke dann die Fährte zum Motel zu Strickland und der örtlichen Polizei”, bat er Watson. „Falls er da ist, will ich auch, dass alle anderen kommen.”
Bis zur Ankunft der CIA und der Polizei wären außerdem entweder seine Mädchen in Sicherheit, oder Reid Lawson wäre tot.
KAPITEL ACHT
Maya zog ihre Schwester näher an sich heran. Die Handschellen rasselten zwischen ihren Handgelenken. Sarahs Hand war über ihre eigene Brust hochgezogen, ihre Hand hielt Mayas auf ihrer Schulter fest, als sie zusammengekauert auf dem Rücksitz des Autos saßen.
Der Attentäter fuhr das Auto entlang des Industriehafen Jersey. Der Frachtterminal war lang, Maya riet, dass es mehrere hundert Meter waren. Hohe Stapel von Containern türmten sich auf beiden Seiten auf und bildeten eine enge Gasse, die ihnen nicht mehr als einen halben Meter Raum auf jeder Seite der Autospiegel ließen.
Die Scheinwerfer waren ausgeschaltet und es war gefährlich dunkel, doch das schien Rais nicht weiter zu stören. Hin und wieder gab es eine kleine Unterbrechung zwischen den Frachtcontainern, sodass Maya helle Lichter in der Ferne, näher am Ufer, erblicken konnte. Sie vernahm sogar das Brummen von Maschinen. Mannschaften waren am Arbeiten. Es gab dort also Menschen. Doch das machte ihr nur wenig Hoffnung. Bisher hatte Rais bewiesen, dass er sorgfältig plante und sie bezweifelte, dass neugierige Blicke sie erreichten.
Sie müsste wohl selbst etwas unternehmen, um sie von der Abfahrt abzuhalten.
Die Uhr in der Mitte des Armaturenbretts sagte ihr, dass es vier Uhr morgens war. Weniger als eine Stunde war vergangen, seitdem sie die Notiz im Wassertank der Moteltoilette hinterlassen hatte. Kurz darauf war Rais plötzlich aufgestanden und hatte ihnen mitgeteilt, dass es Zeit war, aufzubrechen. Ohne jegliches weitere Wort der Erklärung hatte er sie aus dem Motelzimmer herausgeführt, jedoch nicht zum weißen Kombi, in dem sie angekommen waren. Stattdessen führte er sie zu einem älteren Auto, dass ein paar Türen weiter von ihrem Zimmer stand. Mühelos brach er die Autotür auf und setzte sie auf den Rücksitz. Dann riss Rais die Abdeckung über dem Zündschloss ab und schloss das Auto binnen Sekunden kurz.
Jetzt waren sie am Hafen, im Schutze der Dunkelheit und fuhren auf den nördlichen Punkt des Festlandes zu, wo der Beton endete und Newark Bay begann. Rais verminderte die Geschwindigkeit und parkte das Auto.
Maya schaute durch die Windschutzscheibe. Da stand ein Boot, für kommerzielle Standards war es recht klein. Von einem Ende zum anderen konnte es nicht mehr als zwanzig Meter lang sein. Es war mit würfelförmigen Stahlcontainern beladen, die etwa anderthalb mal anderthalb Meter groß waren. Abgesehen vom Mond und den Sternen kam das einzige Licht, an diesem Ende des Kais, von zwei kränklich gelben Glühbirnen auf dem Boot, eine am Bug und die andere am Heck.
Rais schaltete den Motor aus und saß einen langen Moment still da. Danach leuchtete er mit den Scheinwerfern auf, nur ein Mal. Zwei Männer kamen aus der Kabine des Bootes. Sie schauten in seine Richtung und kamen dann über die schmale Rampe zwischen Boot und Kai