Es hatte alles recht harmlos begonnen. Nettigkeiten wurden ausgetauscht, Englisch kam von Harris zu ihr und dann ging Russisch von ihr zu Kozlovsky, als ob Karina eine Übersetzungsmaschine wäre. Die beiden Männer sahen sich gegenseitig an, fragten sie nicht einmal etwas oder bemerkten auch nur ihre Anwesenheit, nachdem das Treffen begonnen hatte. Sie spuckte die Worte mechanisch heraus wie ein Prozessor. Sie drangen durch ihr Ohr in einer Sprache ein und verließen sie durch ihre Kehle in einer anderen.
Erst als die ominöse Motivation für das private Treffen sich enthüllte, verstand Karina, dass dies - diese paar Minuten in einem verschlossenen Raum im Untergeschoss des Weißen Hauses, bei denen nur die beiden und eine Dolmetscherin anwesend waren - der wirkliche Grund für den Besuch des russischen Präsidenten in den Vereinigten Staaten war. Sie konnte nur so sachlich wie möglich dolmetschen und verzweifelt hoffen, dass ihr eigener Gesichtsausdruck sie nicht verriet.
Plötzlich wurde sich Karina Pavlo akut bewusst, dass es nicht wahrscheinlich war, dass sie das Weiße Haus lebendig verließe.
Nachdem Kozlovsky den Saal verlassen hatte, wandte sich Präsident Harris an sie, lächelte sie lüstern an, also ob die Unterhaltung, deren Zeugin sie gerade geworden war, nicht stattgefunden hätte, als wäre sie nichts weiter als eine Formalität gewesen. „Danke Ihnen, Frau Pavlo”, sagte er väterlich. „Wir wissen Ihre Erfahrung und Kompetenz zu schätzen und halten Sie für außerordentlich wertvoll.”
Vielleicht war es der Schock über das, was sie gerade herausgefunden hatte, der sie veranlasste, ebenfalls ein Lächeln zu erzwingen. Oder vielleicht war es die Mühelosigkeit, mit der Harris ein solch höfliches Verhalten an den Tag legte, während er ganz genau wusste, dass die Dolmetscherin gerade jedes einzelne Wort gehört und sogar für den anderen Gesprächspartner wiederholt hatte. Aus welchem Grund auch immer, Karina bemerkte, wie ihre Lippen sich gegen ihren Willen nach oben zogen und ihre Stimme sagte: „Danke für die Gelegenheit, Mr. Präsident.”
Er lächelte erneut. Ihr gefiel sein Lächeln nicht, denn es lag keine Heiterkeit darin. Es war eher lüstern als heiter. Sie hatte es hundert Mal auf dem Fernseher gesehen, bei seiner Wahlkampagne, doch es persönlich zu erleben war noch unangenehmer. Es erschien ihr, als wüsste er etwas, dass ihr verborgen war - was ja auch ganz und gar stimmte.
Ein Alarm schmetterte in ihrem Kopf. Sie fragte sich, wie weit sie wohl kommen würde, falls sie ihn aus dem Weg stieße und versuchte, zu rennen. Nicht besonders weit, dachte sie. Sie hatte mindestens sechs Geheimdienstagent im Gang des Kellers gesehen, und sie war sich genauso sicher, dass der Weg, auf dem sie hier heruntergekommen war, bewacht wäre.
Der Präsident räusperte sich. „Wissen Sie”, sagte ihr Harris, „es gab einen guten Grund, warum sonst niemand anwesend waren. Das können Sie sich ja sicher vorstellen.” Er kicherte ein wenig, als ob die Bedrohung für die Weltsicherheit, von der Karina gerade herausgefunden hatte, ein Witz wäre. „Sie sind die Einzige auf der ganzen Welt, die von dem Inhalt dieser Unterhaltung weiß. Sollte es an die Öffentlichkeit geraten, dann wüsste ich durch wen. Und die Dinge würden dann für diese Person nicht mehr besonders glatt laufen.”
Das Lächeln blieb auf Harris’ Gesicht, doch es war überhaupt nicht beruhigend.
Sie zwang ihre Lippen dazu, liebenswürdig zu lächeln. „Selbstverständlich, Sir. Diskretion ist eine meiner besten Eigenschaften.”
Er lehnte sich herüber und tätschelte ihre Hand. „Das glaube ich Ihnen.”
Ich weiß zu viel.
„Und ich vertraue darauf, dass Sie still bleiben.”
Der beschwichtigt mich. Die lassen mich auf keinen Fall leben.
„Ich bin mir sogar sehr sicher, dass ich Ihre Fähigkeiten erneut in der nahen Zukunft benötige.”
Es gab nichts, was Harris sagen konnte, um sie von ihren Instinkten abzubringen. Der Präsident hätte sie um ihre Hand bitten können und dennoch wäre das kribbelnde Gefühl im Nacken, das ihr sagte, dass sie in unmittelbarer Gefahr war, nicht verschwunden.
Harris stand auf und knöpfte sich seine Anzugjacke zu. „Kommen Sie. Ich bringe Sie raus.” Er ging vor ihr aus dem Raum und Karina folgte. Ihre Knie waren schwach. Sie war an einem der sichersten Orte des Planeten, umringt von trainierten Agenten des Geheimdienstes. Als sie den Gang erreichte, sah sie das halbe Dutzend Agenten, die dort aufgestellt waren. Sie hatten ihre Rücken gegen die Wand und die Hände vor sich verhakt und warteten so auf den Präsidenten.
Oder möglicherweise auf sie.
Bleib ruhig.
„Joe.” Harris winkte dem Agenten zu, der sie zuvor vom Wartezimmer abgeholt hatte. „Sorge bitte dafür, dass Frau Pavlo wieder sicher zu ihrem Hotel zurückkehrt, ja? Mit dem besten Auto, das wir haben.”
„Ja Sir”, erwiderte der Agent mit einem leichten Nicken. Ihr erschien das Nicken seltsam. Ein Nicken der Verständnis.
„Danke sehr”, sagte sie so freundlich wie sie konnte, „doch ich kann ein Taxi nehmen. Mein Hotel ist nicht weit.”
„Unsinn”, antwortete Harris liebenswürdig. „Welchen Sinn hat es, für den Präsidenten zu arbeiten, wenn Sie nicht mal ein paar der Vorteile genießen können?” Er kicherte. „Danke nochmal. Es war mir eine Freude, Sie kennenzulernen. Wir melden uns.”
Er schüttelte ihre Hand. Sie schüttelte seine. Sein Lächeln blieb auf seinem Gesicht, doch seine Augen verrieten ihn.
Karina hatte kaum eine Wahl. Sie folgte dem Geheimdienstagente, dem Mann, der sich Joe nannte (falls das sein richtiger Name war), durch das Untergeschoss des Weißen Hauses. Jeder Muskel in ihrem Körper war angespannt, nervös, bereit, jederzeit auf den Kampf-oder-Flucht-Impuls zu reagieren. Doch sie war überrascht, dass der Agent sie wirklich eine Treppe hinauf- und einen Gang zu einer weiteren Tür entlangführte, die nach draußen ging. Er führte sie wortlos zu einer kleinen Parkgarage mit einer privaten Flotte von Fahrzeugen und dann öffnete er die Passagiertür eines schwarzen Geländewagens für sie.
Steig nicht ein.
Sie stieg ein. Wenn sie jetzt kämpfte oder versuchte, wegzurennen, dann schaffte sie es nicht einmal bis zu den Toren.
Zwei Minuten später hatten sie das Gelände des Weißen Hauses verlassen und fuhren die Pennsylvania Avenue entlang. Der bringt mich irgendwo hin, um es zu tun. Die werden sich mir woanders entledigen. An einem Ort, wo niemand mich jemals finden wird.
„Sie können mich einfach zum Hilton in der Stadtmitte bringen”, sagte sie gelassen.
Der Geheimdienstagent lächelte schüchtern. „Wir sind die US Regierung, Frau Pavlo. Wir wissen, wo sie logieren.”
Sie kicherte ein wenig und versuchte, die Nervosität in ihrer Stimme zu verbergen. „Da bin ich mir sicher. Doch ich treffe einen Freund zum Abendessen im Hilton.”
„Dennoch”, antwortete der Agent, „waren die Anordnungen des Präsidenten, sie zurück zu Ihrem Hotel zu bringen, weshalb ich das tun muss. Aus Sicherheitsgründen.” Danach seufzte er, als ob er Mitleid mit ihrer Situation hätte, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass er sie umbringen würde. „Ich bin mir sicher, dass Sie das verstehen können.”
„Oh”, sagte sie plötzlich. „Meine Sachen? Mein Telefon und meine Handtasche?”
„Die habe ich.” Joe klopfte auf die Brusttasche seines Anzugs.
Nach einer langen Stille bat Karina: „Darf ich sie bitte haben...?”
„Natürlich”, sagte er heiter. „Sobald wir ankommen.”
„Ich möchte sie aber wirklich jetzt zurück”, drängte sie.
Der