PROLOG
Karina Pavlo sah zu, als die beiden Männer am Konferenztisch neben ihr aufstanden. Auch sie stand auf, da sie wusste, dass es sich so gehörte, doch ihre Beine fühlten sich schwach und zittrig an. Sie sah dabei zu, als sie einander freundlich anlächelten, diese zwei Männer in teuren Anzügen, diese stark kontrastierenden Staatsoberhäupter. Sie sagte nichts, während sie ihr Geschäft damit abschlossen, sich über den Tisch hinweg die Hand zu geben.
Karina war immer noch schockiert darüber, was sie gerade gehört hatte, über die Worte, die über ihre eigenen Lippen kamen.
Sie war nie zuvor im Weißen Haus gewesen, doch der Teil des Gebäudes, den sie besuchte, lag kaum im Auge der Öffentlichkeit. Der Keller (wenn man ihn überhaupt so nennen konnte, denn er sah kaum so aus, wie man sich einen Keller vorstellt) unter dem nördlichen Säulengang enthielt alle mögliche Ausstattung, wie etwa eine Kegelbahn, Wäschestationen, eine Schreinerwerkstatt, einen Zahnarzt, den Krisensaal, das Büro des Präsidenten, drei Konferenzsäle und einen bequemen Warteraum, in den Karina bei ihrer Ankunft geführt wurde.
In diesem Warteraum nahm ein Geheimdienstagent ihre persönlichen Gegenstände entgegen, ihr Handy und eine kleine, schwarze Handtasche und bat sie darum, ihren dunklen Blazer auszuziehen. Der Agent durchsuchte ihn gründlich, jede Tasche und jede Naht und führte dann eine gründliche, doch mechanische Abklopfung durch, bei der sie ihre Arme in einem Winkel von neunzig Grad ausstrecken musste. Er bat sie darum, ihren Mund zu öffnen, ihre Zunge anzuheben, ihre Schuhe auszuziehen und stillzustehen, während er mit einem Metalldetektor-Stab über sie fuhr.
Das einzige, was Karina mit zu dem Treffen bringen durfte, war die Kleidung an ihrem Körper und die Perlenohrringe, die sie trug. Die strengen Sicherheitsmaßnahmen waren jedoch nicht außergewöhnlich. Karina war schon seit einigen Jahren Dolmetscherin, hatte bei den Vereinten Nationen gearbeitet und für mehrere Staatsoberhäupter übersetzt. Karina, die in der Ukraine geboren, in Wolgograd in Russland ausgebildet wurde und schon lange genug in den USA lebte, um ein permanentes Visum zu erhalten, hielt sich für eine Weltbürgerin. Sie sprach vier Sprachen fließend und konnte sich in drei weiteren unterhalten. Ihre Sicherheitsfreigabe war so hoch, wie die eines Zivilen nur sein konnte.
Doch dieses war ihre große Chance. Die Gelegenheit, das Weiße Haus zu besuchen, um bei einem Treffen zwischen den neuen Präsidenten von Russland und den Vereinigten Staaten zu dolmetschen, kam ihr nicht einmal zwanzig Minuten zuvor wie der neueste Höhepunkt ihrer Karriere vor.
Wie falsch sie doch lag.
Zu ihrer Linken knöpfte sich der russische Präsident Aleksandr Kozlovsky den obersten Knopf seiner Anzugjacke zu. Es war eine fließende, eingeübte Geste, die Karina fast irrational gelassen erschien, wenn man bedachte, was sie gerade Momente zuvor gehört hatte. Mit seinen fast zwei Metern überragte Kozlovsky beide. Sein schlanker Körper und sein Gang auf seinen langen Gliedmaßen ließen ihn wie eine Kellerspinne aussehen. Er sah schlicht aus, hatte ein glattes, faltenfreies Gesicht, als würde er sich noch weiterentwickeln.
Achtzehn Monate zuvor war der vorherige russische Präsident, Dmitri Ivanov, in den Ruhestand getreten. Zumindest nannte man es so. Nachdem der riesige amerikanische Skandal aufgedeckt wurde, hatte man gleichzeitig entdeckt, dass die russische Regierung ebenfalls mit den Verschwörern unter einer Decke steckte. Nicht nur unterstützten sie die USA im Nahen Osten, sondern warteten auch darauf, dass die Welt sich auf die Meeresenge von Hormus konzentrierte, damit sie ukrainische ölproduzierende Ressourcen in der Ostsee für sich vereinnahmen könnten.
In Russland wurde niemand verhaftet. Es gab keine Verurteilungen, keine Haft. Durch den Druck der Vereinten Nationen und der ganzen Welt trat Ivanov einfach von seinem Posten zurück und wurde durch Kozlovsky ersetzt, von dem Karina wusste, dass er vielmehr ein Ersatzdarsteller als der wirkliche politische Rivale war, als den die Medien ihn darstellten.
Kozlovsky lächelte selbstgefällig. „Es war mir eine Freude, Präsident Harris.” Pavlo nickte er nur kurz zu, bevor er sich rasch umdrehte und aus dem Saal schritt.
Zwanzig Minuten zuvor hatte der Geheimdienstagent Karina zu dem kleinsten der drei Konferenzsäle im Keller des Weißen Hauses gebracht, in dem sich ein dunkler, langer Tisch aus einem exotischen Holz, acht Lederstühle, ein Fernsehbildschirm und sonst nichts befanden. Keine einzige Seele. Als Karina den Auftrag zum Dolmetschen bekam, dachte sie, dass bei dem Treffen Kameras, Nachrichtensprecher, Mitglieder der Kabinette beider Regierungen, Presse und Medien anwesend wären.
Doch es waren nur sie, und dann Kozlovsky, und dann Samuel Harris.
Der Präsident der Vereinigten Staaten, Samuel Harris, stand rechts von ihr. Er war siebzig Jahre alt, halb glatzköpfig, sein Gesicht war vom Alter und Stress faltig und seine Schultern hingen aufgrund einer Verletzung am Rücken, die er bei seinem Einsatz in Vietnam erlitt, ständig vor. Dennoch bewegte er sich entschlossen und seine raue Stimme war viel dominanter, als man sich vorstellen konnte.
Harris hatte den vorherigen Präsidenten, Eli Pierson, bei den Wahlen im vorherigen November leicht geschlagen. Trotz dem Mitleid der Öffentlichkeit wegen des Mordversuches an ihm achtzehn Monate zuvor, und trotz der noblen Anstrengung, sein Kabinett nach dem iranischen Skandal wieder aufzubauen, hatte Amerika seinen Glauben an ihn verloren.
Karina kam Harris wie ein Geier vor, was sie nur dadurch bestätigt sah, wie er angeflogen kam und die Wahlstimmen von Pierson stahl, wie ein Aasvogel, der die Innereien aus einem Kadaver von viel zu vielen Fehlern und Vertrauen in die falschen Leute riss. Harris, der demokratische Kandidat, musste kaum Versprechen machen, außer jegliche weitere Korruption im Weißen Haus aufzudecken und schnellstmöglich zu beenden. Doch wie Karina Pavlo gerade herausgefunden hatte, gab es weitere Korruption im Weißen Haus, die sich möglicherweise ausschließlich auf das Amt des Präsidenten beschränkte.
Über den Besuch des russischen Präsidenten Kozlovsky wurde bei fast allen Medien der USA berichtet. Es war das erste Mal seitdem die verräterische Intrige beider Regierungen bekannt wurde, dass die beiden neuen Weltführer sich persönlich trafen. Es gab Pressekonferenzen, ständige Berichterstattung und Treffen mit hundert Kameras im Raum, um zu besprechen, wie die beiden Nationen auf freundliche und abgestimmte Weise nach der Beinahe-Katastrophe nach vorne schauen konnten.
Doch