Sie sah sich um und betrachtete die Gesichter ihrer Kameraden und Kameradinnen. Viele lächelten sich gegenseitig an und manche flüsterten einander etwas zu, während Direktor Cormack seine Rede fortsetzte. Riley wusste, dass zwischen manchen von ihnen dauerhafte Freundschaften hier auf der Akademie entstanden waren.
Sie unterdrückte das Seufzen beim Gedanken, dass sie bisher keine wahre »Familie« hier gefunden hatte. Da sie sich wegen des Mordfalls sehr spät zu den anderen angeschlossen hatte, blieb nur sehr wenig Zeit zum Kontakte knüpfen und mit Freunden ausgehen. Es gelang ihr genau zwei enge Freundschaften während ihres Aufenthaltes hier zu knüpfen—eine mit ihrer Zimmergenossin Frankie Dow und die andere mit John Welch, einem idealistisch gestimmten und gutaussehenden jungen Mann, den sie während des Sommers kennenlernte, als sie noch beide im zehnwöchigen Ehren-Praktikum-Programm des FBI teilnahmen.
John und Frankie waren ebenfalls heute anwesend. Da die Abschlussklasse nach Namen alphabetisch geordnet saß, hatte Riley nicht die Gelegenheit neben ihren zwei Freunden zu sitzen, und die neben ihr sitzenden Kameraden kannte sie nicht.
Riley erinnerte sich daran, dass sie und ihr Verlobter, Ryan Paige, schon—oder fast schon—eine Familie waren. Sie würde wieder in ihre gemeinsame Wohnung in Washington DC mit ihm einziehen und ihre Hochzeit stand auch kurz bevor. Rileys erste Schwangerschaft endete zwar in einer Fehlgeburt, aber sie würden sicherlich in den bevorstehenden Jahren gemeinsam Kinder auf die Welt bringen.
Sie wunderte sich, ob sich Ryan im Publikum befand. Es war ein Samstag, was durchaus ein Arbeitstag für einen Anwalt zu Karrierebeginn bedeuten konnte. Außerdem wusste Riley, dass er ihre Karrierewahl mit gemischten Gefühlen betrachtete.
Direktor Cormacks Rede neigte sich ihrem Ende zu und es wurde Zeit alle neuen Agenten ins Amt einzuschwören. Einen nach dem anderen würde er sie aufrufen. Jeder würde aufs Podium steigen, den Amtseid des FBI ablegen, seine Dienstmarke erhalten und wieder zurück auf seinen Platz gehen.
Sie wurden in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen. Und wie Cormack die Namen aus der Liste durchging, wünschte sich Riley, dass ihr Name nicht mit dem neunzehnten Buchstaben des Alphabets anfing. Die Wartezeit war lang. Natürlich kam Frankie vor ihr an die Reihe. Beim Weg zurück zu ihrem Platz winkte sie Riley zu und grinste sie an.
Als der Direktor endlich Rileys Namen aussprach, wurden ihr die Knie weich. Sie erhob sich und machte sich mit wackligen Beinen an ihren sitzenden Kollegen vorbei auf den Weg zum Podium. Als sie endlich beim Podium angelangt war, fühlte sie sich, als sei sie nicht mehr Herr über ihren eigenen Körper.
Endlich stand sie auf dem Podium, hob ihre Hand und sprach Direktor Cormack nach...
»Ich, Riley Sweeney, schwöre feierlich, die Verfassung der Vereinigten Staaten vor allen Feinden zu schützen, sowohl fremdstämmigen als auch einheimischen...«
Sie musste blinzeln, um sich die aufkommenden Tränen zurückzuhalten.
Es passiert wirklich, teilte sie sich in Gedanken mit. Es findet wahrlich statt.
Der Schwur war kurz, aber Riley kam es vor als würde sie von ihrer Stimme im Stich gelassen noch bevor sie den Schwur zu Ende aufsagen konnte.
Endlich kamen die Schlussworte...
»... und dass ich die Pflichten des mir bevorstehenden Amtes ehrlich und treu erfüllen werde. So wahr mir Gott helfe.«
Riley stand mit erhobener Hand da und wartete darauf ihre Dienstmarke von Direktor Cormack gereicht zu bekommen. Stattdessen grinste sie der große Mann etwas schelmisch an und legte die Dienstmarke aufs Podium ab.
»Jetzt warte einen Moment, junge Dame. Es gibt da noch eine kleine Angelegenheit, um die wir uns kümmern müssen.«
Riley verschlug es den Atem. War sie am Ende doch durchgefallen?
Der Direktor brachte eine kleine schwarze Schachtel aus seiner Jackentasche hervor und fuhr fort...
»Riley Sweeney, es ist mir eine große Ehre dir dieses Führungsabzeichen des Direktors für vorzügliche Leistungen verleihen zu dürfen.«
Riley stand wie betäubt da.
Der Direktor öffnete die kleine Schachtel und brachte ein Band, an dessen Ende eine Medaille hing, hervor. Ein Beifallssturm ging durch die Halle, als Cormack ihr die Medaille um den Hals legte. Cormack lobte Riley zu ihrer Initiative und Führungsqualitäten, die sie während der Wochen auf der Akademie wiederholt zur Schau gestellt hatte.
Riley versuchte sich auf seine Worte zu konzentrieren, aber ihr wurde ein wenig schwindlig.
Falle nicht in Ohnmacht, befahl sie sich selber. Bleib auf den Füßen stehen.
Sie hoffte nur, es würde jemand die Rede des Direktors aufnehmen, weil ihr alles verschwommen vorkam, da sie nicht klar denken konnte.
Cormack reichte ihr etwas.
Meine FBI-Dienstmarke, wurde ihr bewusst, als sie sie entgegennahm.
Dann streckte er ihr die Hand. Sie schüttelten sich die Hände und sie drehte sich, um zu ihrem Platz zurückzukehren.
Als Riley Sweeney, brandneue Agentin des FBI, vom Podium herunterstieg, konnte sie erkennen, dass sich nicht alle Absolventen für sie freuten. Tatsächlich konnte man offensichtliche Feindseligkeit in einigen der Gesichter erkennen. Sie konnte es ihnen kaum übelnehmen. Seit sie von ihrem Einsatz am Mordfall zurückgekehrt war, wurde sie wieder und wieder als designierte Gruppenleiterin für Aktivitäten in der Akademie gewählt. Es war kein Geheimnis, dass manche Kadetten der Meinung waren, ihre vor kurzem stattgefundene Feldarbeit hätte ihr einen ungerechten Vorteil ihnen gegenüber verliehen. Sie war sich sicher, dass es einigen, die aus dem Polizeivollzugsdienst kamen, besonders schwerfallen musste.
Riley ging zurück zu ihrem Platz, wegen der Auszeichnung überflutet von Emotionen. Etwas Ähnliches war ihr bisher im Leben noch nicht widerfahren.
Währenddessen besetzten die restlichen Rekruten einer nach dem anderen das Podium. Sie wurden vereidigt und erhielten ihre Dienstmarken. Riley lächelte und winkte John zu, als er an die Reihe kam und nach Oben stieg. Er winkte ihr scheu zurück.
Nachdem auch der letzte Kadett den Eid geleistet hatte, gratulierte Direktor Cormack wiederholt allen Absolventen zu ihren Errungenschaften und beendete dadurch die Zeremonie. Die Kadetten erhoben sich von ihren Plätzen und suchten ungeduldig nach ihren Freunden.
Riley brauchte nicht lange um John und Frankie zu finden. Beide glühten sie vor Stolz, wie sie ihre neuen Dienstmarken fest in den Händen hielten.
»Wir haben es geschafft!«, rief John Riley zu und umarmte sie.
»Jetzt sind wir wahrhaftige FBI-Agenten!«, rief Frankie und umarmte Riley ihrerseits.
»Das sind wir wirklich«, antwortete Riley.
Frankie fügte noch hinzu: »Und das Beste an allem ist, dass wir gemeinsam in der DC-Zentrale arbeiten werden. Wir bleiben beisammen!«
»Ist das nicht toll!«, stimmte Riley zu.
Sie holte tief Luft. Nach dem harten Sommer, den sie hinter sich hatte, entwickelten sich die Dinge bestens. Noch besser als sie es sich vorstellen konnte.
Sie sah sich nach Ryan um und erblickte ihn wie er sich durch das Gedränge zu ihr bewegte.
Er hat es doch geschafft zu kommen. Ein sympathisches Lächeln zierte sein Gesicht.
»Herzlichen Glückwunsch Schatz«, sagte er und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Danke«, antwortete Riley und erwiderte den Kuss.
Ryan nahm Riley an die Hand und sagte: »Jetzt können wir nach Hause gehen.«
Riley lächelte und nickte zustimmend. Ja, dies war eine der besten Nachrichten des heutigen Tages. Alle Wochen, an denen die Akademie stattfand, musste sie im Studentenwohnheim verbringen, während Ryan in ihrer gemeinsamen DC-Wohnung übernachtete. Sie haben nicht annähernd so viel Zeit miteinander verbringen können als es ihr beiderseitiger