KAPITEL DREI
Eliza wartete, als Gray in dieser Nacht nach Hause kam. Er kam rechtzeitig zum Abendessen. Der Blick in seinem Gesicht verriet jedoch, dass er wusste, was auf ihn zukommen würde. Da Millie und Henry ebenso am Tisch saßen und ihre Mac & Cheese mit Hot Dog aßen, sagte kein Elternteil etwas über die Situation.
Erst nachdem die Kinder schlafen gegangen waren, kam es zur Sprache. Eliza stand in der Küche, als Gray hereinkam, nachdem er die Kinder ins Bett gebracht hatte. Er hatte seinen Anzug ausgezogen, trug aber immer noch seine lockere Krawatte. Sie vermutete, dass es darum ging, ihn glaubwürdiger aussehen zu lassen.
Gray war kein großer Mann. Bei 1,75 und 80 Kilo war er nur einen Zentimeter größer als sie, obwohl er um gut 15 Kilo schwerer war. Aber beide wussten, dass er in T-Shirt und Jogginghose weit weniger imposant wirkte. Ein Anzug war seine Rüstung.
„Bevor du etwas sagst", begann er, „lass mich bitte versuchen, es zu erklären."
Eliza, die einen Großteil des Tages damit verbracht hatte, darüber nachzudenken, wie das hatte passieren können, freute sich, ihre Qualen vorübergehend in den Hintergrund zu stellen und ihm
zu erlauben, sich zu erklären.
„Bitte, ich höre", sagte sie.
„Zuerst einmal tut es mir leid. Egal, was ich jetzt sage, ich möchte, dass du weißt, dass es mir leid tut. Ich hätte es nie zulassen dürfen. Es ist in einem Moment der Schwäche passiert. Sie kennt mich seit Jahren und kannte meine Schwachstellen, und wusste, was mein Interesse wecken würde. Ich hätte es besser wissen sollen, aber ich bin darauf reingefallen."
„Was sagst du da?" fragte Eliza, verblüfft und verletzt gleichzeitig. „Dass Penny eine Verführerin ist, die dich manipuliert hat, damit du eine Affäre mit ihr anfängst? Wir wissen beide, dass du ein schwacher Mann bist, Gray, aber willst du mich verarschen?"
„Nein", sagte er und entschied sich, nicht auf den "schwachen" Kommentar einzugehen. „Ich übernehme die volle Verantwortung für mein Handeln. Ich hatte drei Whiskeys. Ich sah ihre Beine im Kleid mit dem Schlitz an der Seite. Und sie wusste, was mich heiß macht. Ich schätze, sie kennt mich gut, nach all den Gesprächen, die ihr beide im Laufe der Jahre miteinander geführt habt. Sie wusste, dass sie mit ihrer Fingerspitze entlang meines Unterarms streicheln musste. Sie wusste, wie sie mit mir sprechen musste, sie schnurrte mir schon fast ins linke Ohr. Sie wusste wahrscheinlich, dass du so etwas schon lange nicht mehr gemacht hattest. Und sie wusste, dass du nicht zu dieser Cocktailparty kommen würdest, weil du zu Hause warst und wegen der Schlaftabletten, die du fast jede Nacht nimmst, geschlafen hast."
Es entstand eine kurze Stille und Eliza versuchte, sich zu beruhigen. Als sie sich sicher war, dass sie nicht schreien würde, antwortete sie mit einer schockierend leisen Stimme.
„Gibst du mir die Schuld dafür? Es hört sich so an, dass du nicht zum Zug kommst, weil ich nachts nicht schlafen kann."
„Nein, so habe ich es nicht gemeint", schniefte er und wich zurück. „Es ist nur so, dass du nachts immer Schwierigkeiten hast zu schlafen. Und du scheinst nie wirklich daran interessiert zu sein, mit mir wach zu bleiben.“
„Nur um das klarzustellen, Grayson – du sagst, dass du mir nicht die Schuld gibst. Aber dann gehst du sofort dazu über zu sagen, dass ich immer zu sehr auf Valium bin und dir nicht genug Aufmerksamkeit schenke, also musstest du mit meiner besten Freundin Sex haben."
„Was für eine beste Freundin ist sie überhaupt, wenn sie so etwas tut?" spuckte Gray verzweifelt aus.
„Lenk nicht ab", fauchte sie und zwang sich, ihre Stimme ruhig zu halten, teilweise, um die Kinder nicht zu wecken, aber vor allem, weil dies das Einzige war, was sie davon abhielt, durchzudrehen. „Sie steht bereits auf meiner Liste. Jetzt bist du dran. Du hättest nicht zu mir kommen können und sagen können: ‚Hey Schatz, ich würde heute wirklich gerne einen romantischen Abend mit dir verbringen‘ oder ‚Süße, ich fühle mich in letzter Zeit von dir distanziert. Können wir uns heute Abend annähern?‘ Das waren keine Optionen für dich?"
„Ich wollte dich nicht aufwecken, um dich mit solchen Fragen zu belästigen", antwortete er, seine Stimme sanftmütig, aber seine Worte verletzend.
„Also hast du entschieden, dass Sarkasmus hier der richtige Weg ist?", fragte sie.
„Schau", sagte er und suchte sich einen Ausweg, „das mit Penny ist vorbei. Das hat sie mir heute Nachmittag gesagt und ich habe zugestimmt. Ich weiß nicht, wie wir das überwinden können, aber ich will es, wenn auch nur der Kinder wegen."
„Der Kinder wegen?", wiederholte sie, verblüfft darüber, auf wie vielen Ebenen er gleichzeitig versagen konnte. „Hau einfach ab. Ich gebe dir fünf Minuten, um eine Tasche zu packen und in deinem Auto zu sein. Buch dir ein Hotel bis auf weiteres."
„Du schmeißt mich aus meinem eigenen Haus?", fragte er ungläubig. „Das Haus, für das ich bezahlt habe?"
„Nicht nur, dass ich dich rausschmeiße", zischte sie, „wenn du nicht in fünf Minuten aus der Einfahrt bist, rufe ich die Polizei."
„Um ihnen was zu sagen?"
„Lass es darauf ankommen", kochte sie.
Gray starrte sie an. Unerschrocken ging sie zum Telefon und nahm es ab. Erst als er den Wählton hörte, bewegte er sich. Innerhalb von drei Minuten huschte er wie ein Hund mit dem Schwanz zwischen den Beinen aus der Tür, sein Seesack war voller Hemden und Jacken. Ein Schuh fiel heraus, als er durch die Tür eilte. Er bemerkte es nicht und Eliza sagte nichts.
Erst als sie hörte, wie sich das Auto entfernte, legte sie das Telefon wieder in die Ladestation. Sie blickte auf ihre linke Hand hinunter und sah, dass ihre Handfläche blutete, in die sie ihre Nägel hineingegraben hatte. Erst jetzt spürte sie den Schmerz.
KAPITEL VIER
Obwohl sie aus der Übung war, navigierte Jessie den Verkehr von der Innenstadt LAs aus nach Norwalk ohne allzu große Probleme. Auf dem Weg dorthin beschloss sie ihre Eltern anzurufen, um nicht ständig an ihr bevorstehendes Ziel zu denken.
Ihre Adoptiveltern, Bruce und Janine Hunt, lebten in Las Cruces, New Mexico. Er war pensionierter FBI Agent und sie war pensionierte Lehrerin. Jessie hatte auf dem Weg nach Quantico ein paar Tage mit ihnen verbracht und gehofft, das Gleiche auch auf dem Rückweg tun zu können. Aber zwischen dem Ende des Programms und ihrem erneuten Arbeitsstart blieb nicht genügend Zeit, so dass sie auf den zweiten Besuch verzichten musste. Sie hoffte, sie bald wieder besuchen zu können, besonders da ihre Mutter gerade gegen Krebs kämpfte.
Es war nicht fair. Janine kämpfte seit über einem Jahrzehnt gegen den Krebs, und das war nur die Krönung einer anderen Tragödie, mit der sie vor Jahren zu kämpfen hatte. Kurz bevor sie Jessie mit sechs Jahren aufnahmen, hatten sie ihren kleinen Sohn verloren, ebenfalls an Krebs. Sie waren begierig darauf, die Lücke in ihren Herzen zu füllen, auch wenn das bedeutete, die Tochter eines Serienmörders zu adoptieren, der ihre Mutter ermordet und sie dem Tod überlassen hatte. Da Bruce beim FBI war, erschien die Lösung dem Polizeidirektor, der Jessie in den Zeugenschutz gesteckt hatten, logisch. Auf dem Papier machte alles Sinn.
Sie verdrängte den Gedanken aus ihrem Kopf, als sie ihre Nummer wählte.
„Hi, Pa", sagte sie. „Wie geht’s?"
„Geht schon", antwortete er. „Ma schläft. Willst du später noch einmal anrufen?"
„Nein. Wir können ja reden. Ich werde heute Abend mit ihr sprechen oder so. Was ist los?"
Vor vier Monaten hätte sie nur ungern mit ihm gesprochen, ohne ihre Mutter dabei zu haben. Bruce Hunt war ein schwer zu erreichender Mann und Jessie war auch kein Freund