Wegen der späten Stunde war Quinn Tuck verständlicherweise sauer gewesen, als Mackenzie ihn angerufen hatte. Dennoch erklärte er ihnen, wie sie in das Gebäude kommen konnten und wo sich die Ersatzschlüssel befanden. Es war kurz vor Mitternacht, als Mackenzie und Ellington Claire Lockes Lagerraum erneut öffneten. Mackenzie hatte das Gefühl, dass sie sich im Kreis bewegten – kein Gefühl, das besonders ermutigend so früh in einem Fall war - aber sie hatte auch das Gefühl, dass das der richtige Schritt war.
Mit der Puppe aus Elizabeths Newcombs Lager im Kopf ging Mackenzie in den hinteren Teil des Lagerraums. Vielleicht war es wegen der späten Stunde, aber der Ort schien ein wenig mehr Unheil verkündender als vorher. Die Kartons und Kisten, die im hinteren Teil des Raumes gestapelt waren, waren nicht so perfekt wie diejenigen in Elizabeth Newcombs Lagerraum, aber es war dennoch ordentlich.
“Ein bisschen traurig, oder?”, fragte Ellington.
„Was denn?“
„Diese Dinge …diese Kartons und Kisten. Wahrscheinlich wird sie nie jemand öffnen.“
Das war ein trauriger Gedanke, einer den Mackenzie versuchte, so weit wie möglich von sich zu schieben. Sie ging in den hinteren Teil des Lagers und fühlte sich schon fast wie ein Eindringling. Sie und Ellington durchsuchten die Inhalte nach Puppen oder anderen Auffälligkeiten, aber sie fanden nichts. Dann fiel Mackenzie ein, das sie erwartete etwas so Offensichtliches wie eine Puppe zu finden. Vielleicht gab es etwas anderes, etwas Kleineres …
Oder vielleicht gab es überhaupt keine Verbindung, dachte sie.
„Siehst du das?“, fragte Ellington.
Er kniete rechts neben der Wand. Er nickte in Richtung der Ecke des Lagerraums, dort war ein dünner Spalt zwischen der Wand und einem Stapel Kartons. Mackenzie fiel ebenfalls auf die Knie und sah, was Ellington entdeckt hatte.
Es war eine Miniatur Teekanne – nicht Miniatur wie bei einer kleinen Teekanne, sondern eher wie eine Spielteekanne, die kleine Mädchen für ihre imaginäre Teezeit nutzen.
Sie kroch nach vorne und nahm es vom Boden auf. Sie war eher überrascht herauszufinden, dass es nicht aus Plastik war, sondern aus Keramik. Es fühlte sich wie eine echte Teekanne an, nur dass es nicht größer als sechs Zentimeter war. Sie konnte das ganze Ding auf ihre Handfläche setzen.
„Wenn du mich fragst“, sagte Ellington, „dann wurde das auf keinen Fall zufällig dahin gelegt oder von jemandem, der keine Lust auf Packen hatte dort liegen gelassen.“
„Und es ist auch nicht einfach aus der Kiste gefallen“, fügte Mackenzie hinzu. „Das ist Keramik. Wenn es aus der Kiste gefallen wäre, dann wäre es auf dem Boden zerbrochen.“
„Was heißt das also?“
Mackenzie hatte keine Antwort darauf. Sie schauten beide auf die kleine Teekanne. Sie war recht hübsch aber auch schäbig – so wie die Puppe in Elizabeth Newcombs Lagerraum. Und trotz der kleinen Größe, spürte Mackenzie, dass es etwas viel Größeres darstellte.
***
Es war 1:05 Uhr, als sie endlich ins Motel eincheckten. Mackenzie war müde, aber auch bestärkt, von dem Puzzle das die Puppe und die kleine Teekanne boten. Sobald sie im Zimmer war, nahm sie sich kurz Zeit, um ihre Arbeitskleidung gegen ein T-Shirt und Sporthose zu tauschen. Sie machte ihren Laptop an, während Ellington sich ebenfalls in bequemere Klamotten begab. Sie loggte sich in ihr E-Mail Konto ein und sah, dass McGrath jemanden beauftragt hatte, ihnen jede einzelne Akte, die sie über den Salem, Oregon Lagerraum Mörder von vor acht Jahren hatten, zu schicken.
„Was machst du?“, fragte Ellington, als er neben sie trat. „Es ist spät und morgen wird ein langer Tag.“
Sie ignorierte ihn und fragte: „Gab es nichts im Oregon Fall, das auf irgendwas von dem hier hingedeutet hat? Auf eine Puppe, eine Teekanne … irgendwie sowas?“
“Ich erinnere mich ehrlich gesagt nicht. Wie McGrath gesagt hat, ich habe den Fall nur abgeschlossen. Ich habe ein paar Zeugen befragt, die Berichte und Papiere geordnet. Wenn es etwas in der Art gab, dann ist es nicht aufgefallen. Ich will nicht sagen, dass die Fälle miteinander verbunden sind. Ja, sie sind unheimlich ähnlich, aber nicht identisch. Dennoch … es kann vielleicht nicht schaden, sich das einmal anzusehen. Vielleicht können wir uns mit der Polizei in Salem treffen, um zu sehen, ob jemand, der näher am Fall dran war sich noch erinnert.“
Mackenzie vertraute auf sein Wort, aber sie konnte es trotzdem nicht lassen mehrere der Akten durchzusehen, ehe sie ins Bett ging. Sie fühlte Ellingtons Hand auf ihrer Schulter und dann sein Gesicht neben ihrem.
„Bin ich faul, wenn ich mich hinlege?“
„Nein, bin ich übereifrig, wenn ich es nicht tue?“
„Nein, du nimmst nur deinen Job sehr ernst.“ Er küsste sie auf ihre Wange und fiel dann in das einzige Bett im Zimmer.
Es war verführerisch zu ihm zu gehen – nicht wegen irgendwelcher anderweitigen Aktivitäten, nur um ein wenig Schlaf zu bekommen, ehe es morgen hektisch wurde. Aber sie fühlte, dass sie zumindest noch ein wenig mehr potenzielle Stücke des Puzzles finden musste, selbst wenn diese in einem Fall von vor acht Jahren vergraben waren.
Auf den ersten Blick konnte sie nichts finden. Es waren fünf Menschen getötet worden, alle waren in Lagerräumen gefunden worden. Einer der Lagerräume hatte mehr als zehntausend Dollar wertvolle Baseballkarten enthalten und ein anderer eine makabere Sammlung von Jahrhunderte alten Waffen. Sieben Menschen wurden hinsichtlich der Morde befragt, aber keiner wurde je überführt.
Die Theorie, mit der die Polizei und das FBI gearbeitet hatten, war, dass der Mörder seine Opfer entführte und sie dann zwang, ihre Lagerräume zu öffnen. Laut den Originalberichten, schien es nicht so, als wenn der Mörder irgendwas aus den Lagerräumen stahl, obwohl es offensichtlich unmöglich war, sich darüber sicher zu sein.
Soweit Mackenzie sehen konnte, gab es keine bestimmten Gegenstände, die am Tatort hinterlassen worden waren. Die Akten enthielten Bilder des Tatorts und von den fünf Opfern, drei der Lagerräume waren in einem unordentlichen Zustand gewesen, anscheinend hatten sie keine so obsessiv geordnete Berührung gehabt wie der von Elizabeth Newcomb.
Zwei der Tatortbilder waren auffallend sauber. Einer war von dem Tatort des zweiten Opfers und der andere vom fünften Opfer. Beide Lagerräume waren in einem Zustand, den Mackenzie als organisiertes Chaos beschreiben würde; es gab Stapel von Dingen hier und dort, die jedoch willkürlich zusammengewürfelt worden waren.
Als sie sich die Bilder vom zweiten Tatort ansah, suchte Mackenzie den Hintergrund ab, sie zoomte so nahe sie konnte heran, ohne dass der Bildschirm pixelig wurde. Fast in der Mitte des Zimmers auf drei unsicher gestapelten Kisten, dachte sie, hätte sie etwas Interessantes entdeckt. Es sah aus wie eine Art Krug, vielleicht etwas, worin man Wasser oder Limonade hineingoss. Es lag auf etwas, was wie eine Art Teller aussah. Es gab noch andere willkürliche Objekte, die offen herumlagen, diese schienen sorgfältig direkt in die Mitte des Zimmers gelegt worden sein.
Sie starrte darauf, bis ihre Augen zu schmerzen begannen, und war sich dennoch nicht sicher, worauf sie schaute. Auch wenn sie wusste, dass das reine Spekulation war, öffnete sie eine leere E-Mail, um es direkt zu zwei Agenten zu schicken, von denen sie wusste, dass sie schnell und effektiv sein würden – zwei Agenten, von denen sie manchmal dachte, dass sie und Ellington sie zu ihrer Hochzeit einladen sollten: Agentin Yardley und Agent Harrison.
Sie fügte die Akten, die sie bekommen hatte, der E-Mail bei und schrieb eine schnelle Nachricht: Kann einer von euch sich die Akten für diese Fälle ansehen und schauen, ob jemand ein Verzeichnis von dem gemacht hat, was in dem Lagerraum war? Vielleicht könnt ihr Rücksprache mit den Besitzern der Lagerhäuser halten.
Wissend, dass es nicht mehr viel zu tun gab, erlaubte Mackenzie sich endlich ins Bett zu gehen. Weil sie so müde war und der Tag sie geschafft hatte, schlief sie ein, sobald ihr Kopf auf das Kopfkissen