Dieses Fest war ein Begeisterungsausbruch, bei dem jeder bemüht war, es dem andern zuvorzutun und in wildem Übereifer die aufgehende Sonne der Bourbonen zu begrüßen; überall Parteiegoismus, der mich kalt ließ, mich demütigte und in mich selber zurückwarf.
Wie ein Strohhalm vom Strudel fortgerissen, empfand ich den kindlichen Wunsch, selbst der Duc d'Angoulême zu sein, mich unter diese Fürsten zu mischen, die vor dem staunenden Publikum umherstolzierten. Der kleinliche Neid meiner Landsleute rief in mir einen Ehrgeiz wach, den mein Charakter und die Zeitumstände veredelten. Wer hätte nicht Eifersucht empfunden vor dieser Anbetungsszene, die sich wenige Monate später in großartiger Weise von neuem mir darbot, als ganz Paris dem von Elba zurückkehrenden Kaiser entgegenjubelte? Diese Gewalt über die Massen, deren Gefühle und Lebensäußerungen sich in einer einzigen Seele zusammenziehen, trieb mich plötzlich der Ehrfurcht in die Arme, jener Priesterin, die heutzutage die Franzosen erwürgt, wie die Druidinnen ehedem die Gallier schlachteten. Und dann auf einmal traf ich die Frau, die meine ehrgeizigen Wünsche anstacheln und sie erfüllen sollte, indem sie mich in das monarchische Lager stieß. Da ich zu schüchtern war, eine Dame zum Tanz aufzufordern, und außerdem fürchtete, die Tanzfiguren zu stören, wurde ich naturgemäß bald sehr missmutig und wusste nichts mit mir anzufangen. Während ich mich treiben ließ und es unangenehm empfand, von der Menge geschoben zu werden und keinen Augenblick stillstehen zu können, trat mir ein Offizier auf die Füße, die durch den Druck des Leders und die Hitze angeschwollen waren. Diese letzte Unannehmlichkeit verleidete mir das Fest. Es war unmöglich, herauszukommen. Ich flüchtete mich in eine Ecke, setzte mich auf die Kante einer verlassenen Bank, wo ich starren Blickes, bewegungslos und mürrisch verharrte. Durch meine schmächtige Gestalt irregeführt, hielt mich eine Dame für ein Kind, das dem Einschlafen nahe war, während es auf seine Mutter wartete; sie setzte sich zu mir mit der Gebärde eines Vogels, der sich schützend auf sein Nest niederlässt. Alsbald streifte mich ein weiblicher Duft, der mich berauschte, wie mich später die orientalische Poesie berauscht hat. Ich blickte meine Nachbarin an: sie blendete mich, mehr als das ganze Fest mich geblendet hatte. Sie wurde mein ganzes Fest. Wenn Sie mein bisheriges Leben richtig beurteilt haben, werden Sie erraten, welche Gefühle da in meinem Herzen aufstiegen. Meine Blicke wurden gebannt von ihren vollen weißen Schultern, auf denen ich mich hätte zusammenrollen mögen, ihren mattrosigen Schultern, die zu erröten schienen, als seien sie zum ersten Mal unverhüllt, ihren keuschen Schultern, Schultern, die eine Seele hatten und deren weiche Haut wie ein seidenes Gewebe im Lichte schimmerte. Längs der Senkung zwischen ihren Schultern glitt mein Blick, der kühner war als meine Hand. Ich reckte mich bebend, um ihre Büste zu sehen, und ward gebannt durch den Anblick eines keusch in Gaze gehüllten Busens, dessen bläulich geäderte, vollendet schöne Rundungen in einer Flut von Spitzen wohlig gebettet lagen. Die geringsten Einzelheiten ihres Kopfes lösten in mir unendliche Wonnen aus: der Glanz des Haares, das über einem samtweichen, mädchenhaften Halse lag, die weißen Linien, die der Kamm gezogen hatte und auf denen meine Phantasie wie auf lauschigen Pfaden lustwandelte, all das raubte mir die Sinne. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass mich niemand sah, vergrub ich mein Haupt zwischen ihren Schultern, wie ein Kind, das sich in den Schoß seiner Mutter flüchtet; ich drehte den Kopf hin und her und küsste ihre Schultern wieder und wieder. Sie stieß einen gellenden Schrei aus, den die Musik überdröhnte; sie wandte sich um, erblickte mich und rief: »Monsieur!...« Ach, wenn sie gesagt hätte: ›Mein lieber Junge, was fällt Ihnen denn ein!‹ – ich hätte sie vielleicht getötet; aber bei diesem ›Monsieur!‹ stürzten mir heiße Tränen aus den Augen. Ich war versteinert durch einen Blick, den heilige Entrüstung entfachte, durch ein überirdisches Haupt, das ein Diadem aschblonden Haares krönte und das sich so gut mit ihrem wollüstigen Rücken vertrug. Das Rot verletzten Schamgefühls färbte ihr Gesicht; aber da entwaffnete sie auch schon das Mitleid der Frau, die eine Leidenschaft immer versteht, wenn sie selbst sie erregt hat, und die aus Reuetränen grenzenlose Anbetung herausliest. Sie entfernte sich mit der Haltung einer Königin. Da erst fühlte ich, wie lächerlich meine Lage war. Ich sah ein, dass ich so komisch wie der Affe eines Savoyarden sei. Ich schämte mich und blieb ganz verstört sitzen, mit dem süßen Nachgeschmack des gestohlenen Apfels im Munde. Auf den Lippen fühlte ich die Wärme des Blutes, das ich geatmet hatte... Mein Blick folgte der Frau, die nur vom Himmel stammen konnte. Ergriffen von der ersten fleischlichen Offenbarung, die das fiebernde Verlangen meines Herzens bloßgelegt hatte, irrte ich durch die nunmehr verödeten Ballsäle, ohne meine Unbekannte wiederfinden zu können. Ich kehrte völlig umgewandelt nach Hause zurück.
Eine neue Seele, eine Seele mit farbenschillernden Flügeln hatte sich aus der Larve erhoben. Aus den blauen Fernen, wo ich ihn bewunderte, war mein lieber Stern heruntergefallen und hatte die Gestalt einer Frau angenommen, ohne seine Klarheit, sein Funkeln, seinen Glanz einzubüßen. Ich liebte plötzlich, ohne von der Liebe etwas zu wissen. Ist es nicht etwas Seltsames um den ersten Ausbruch des stärksten menschlichen Gefühls? Ich hatte im Salon meiner Tante einige hübsche Frauen gesehen. Keine hatte den geringsten Eindruck auf mich gemacht. Gibt es denn im Lebensalter, da Leidenschaftlichkeit das ganze Geschlechtsleben beherrscht, eine Stunde, eine besondere Konstellation von Gestirnen, ein einzigartiges Zusammentreffen von Umständen, eine Frau unter allen, etwas, das ganz allein bestimmt ist, eine ausschließliche Leidenschaft hervorzurufen? Wenn ich bedachte, dass meine Auserwählte in der Touraine lebte, atmete ich beglückt die Luft ein; ich entdeckte zum erstenmal, wie strahlend blau und einzig dieser Himmel war. Meine Verzückung glich sehr einer ernsthaften Krankheit und erregte bei meiner Mutter Befürchtungen, die zweifellos mit Gewissensbissen vermischt waren. Gleich den Tieren, die ein Leiden herannahen fühlen, verkroch ich mich in einem Winkel des Gartens, um dort von dem gestohlenen Kuss zu träumen.
Wenige Tage nach diesem denkwürdigen Ball erklärte sich meine Mutter die Vernachlässigung meiner Arbeit, meine Gleichgültigkeit vor ihren tyrannischen Blicken, meine Teilnahmslosigkeit gegen ihre spöttelnden Ausfälle und mein finsteres Wesen als Äußerungen der Entwicklungskrisen, die ein junger Mann in meinem Alter durchzumachen hat. Ein Aufenthalt auf dem Lande, dies ewige Heilmittel gegen alle Leiden, denen die Medizin nicht beikommt, galt für geeignet, mich aus meiner Gleichgültigkeit zu befreien. Meine Mutter bestimmte, dass ich einige Tage in Frapesle, einem Schloss an der Indre, zwischen Montbazon und Azay-le-Rideau, bei einem ihrer Freunde zubringen sollte: dem hatte sie wahrscheinlich geheime Anweisungen gegeben. Aber als mir endlich die Freiheit geschenkt wurde, hatte ich schon so kräftig im Ozean der Liebe geschwommen, dass ich ans andere Ufer gelangt war. Ich kannte den Namen meiner Freundin nicht. Wie sollte ich sie bezeichnen? Wie sie wiederfinden? Mit wem konnte ich über sie sprechen? Meine Schüchternheit vermehrte noch die unerklärlichen Angstgefühle,