»... ehemaligen Parfümerienhändlers, Nachfolgers in Firma Cäsar Birotteau ›Zur Rosenkönigin‹, Rue Saint-Honore«, ergänzte Crevel spöttisch, »Stadtrats, Hauptmanns der Bürgerwehr, Ritters der Ehrenlegion ...«
»Herr Crevel«, unterbrach ihn die Baronin, »wenn mein Mann nach zwanzigjähriger Treue seine Frau satt bekommen hat, so geht das niemanden etwas an außer mir! Wie sehr er seine Untreue zu verheimlichen verstanden hat, das sehen Sie daraus, dass ich nicht gewusst habe, dass er das Herz von Fräulein Josepha nach Ihnen besessen hat ...«
»Jawohl, und mit Gold erkauft, gnädige Frau!« fuhr Crevel auf. »Der Racker hat ihm in diesen zwei Jahren bare einhunderttausend Francs gekostet. Sie werden noch so manches erleben ...«
»Lassen wir das, Herr Crevel! Ich werde Ihnen zuliebe nicht auf das Glücksgefühl verzichten, das eine Mutter empfindet, wenn sie ihre Kinder reinen Herzens an sich drückt, verehrt und geliebt von den Ihren! Mein letztes Stündlein soll mir als einer Schuldlosen schlagen!«
»Amen!« höhnte Crevel in jener verteufelten Bitterkeit, die eingebildete Menschen ergreift, wenn sie in ein und derselben Sache wiederholt keinen Erfolg haben. »Was wissen Sie von der letzten Neige des Elends, von Schmach und Schande! Ich habe den Versuch gemacht, Ihnen die Augen zu öffnen. Ich wollte Sie retten, Sie und Ihre Tochter. Sie werden den Becher des Unglücks bis auf den letzten Tropfen auskosten ... Ihre Tränen und Ihr Stolz rühren mich. Eine geliebte Frau weinen zu sehen, ist schrecklich!«
Indem er das sagte, setzte er sich. Dann fuhr er fort:
»Ich kann Ihnen weiter nichts versprechen, meine liebe Adeline, als dass ich nichts gegen Sie unternehmen will und nichts gegen Ihren Mann. Aber berufen Sie sich nie auf mich! Mehr vermag ich nicht zu tun.«
»Wie soll das enden?« rief Frau von Hulot aus.
Bis jetzt hatte die Baronin tapfer die dreifache Qual erduldet, die diese Unterredung ihrem Herzen bereitete. Sie litt als Weib, als Mutter, als Gattin. Solange ihr der Schwiegervater ihres Sohnes in so roher Weise zugesetzt hatte, war sie stark genug gewesen, dieser Brutalität Widerstand zu bieten. Gegenüber der Gutmütigkeit jedoch, die der verschmähte Verliebte, dieser gedemütigte Nationalgardist zu guter Letzt bei aller Wut verriet, versagten ihre überreizten Nerven. Sie rang die Hände und brach in Tränen aus. So überkam sie eine derartige Niedergeschlagenheit, dass sie sich von Crevel, der vor ihr niedergesunken war, ohne Abwehr die Hände küssen ließ.
»Mein Gott, wie wird das enden?« wiederholte sie, indem sie sich die Augen trocknete. »Soll eine Mutter kaltblütig zusehen, wie ihre Tochter vor ihren Augen hinsiecht? Was wird aus einem so prächtigen Geschöpf, einem von der Natur so bevorzugten Wesen, selbst wenn es stark und rein ist, wie ihre Mutter? An manchen Tagen wandelt sie trübsinnig im Garten einher, ohne dass sie recht weiß, warum. Oft finde ich sie mit verweinten Augen ....«
»Sie ist einundzwanzig«, meinte Crevel.
»Soll ich sie ins Kloster stecken?« fragte die Baronin. »In solchen Krisen unterliegt selbst die Frömmigkeit oft der Natur. Die ehrbarst erzogenen Mädchen verlieren ihren Verstand .... Aber stehen Sie doch auf, Herr Crevel! Fühlen Sie denn nicht, dass zwischen uns nun alles aus ist? dass ich Angst vor Ihnen habe? Sie haben die letzte Hoffnung einer Mutter vernichtet.« »Wenn ich sie wieder aufleben ließe?« sagte Crevel.
Die Baronin blickte ihn mit einer Miene der Hoffnungslosigkeit an, die ihn rührte. Aber die Worte: »Ich habe Angst vor Ihnen!« bewogen ihn, das Mitleid seines Herzens wieder zu unterdrücken. Die Ehrbarkeit ist allzu steifnackig; sie vermag sich nicht durch Hintertüren zu ducken, um auf Schleichwegen zum Ziele zu gelangen.
»Ohne Mitgift verheiratet man heutzutage keine Tochter, auch wenn sie so schön wie Hortense ist«, bemerkte Crevel, wobei er wieder geziert wurde. »Ihre Tochter ist eine Beauté, die niemand Lust hat zu heiraten, gewissermaßen ein Luxuspferd, das allzuviel kostspielige Pflege verlangt, um leicht Käufer zu finden. Wenn man mit einer solchen Frau am Arm spazierengeht, schaut einen alle Welt an und läuft einem nach. Jeden gelüstet nach dieser Frau. Solche Erfolge sind aber nicht jedermanns Geschmack. Mancher schießt sich nicht gern. Mehr als einen kann man auch nicht auf einmal niederknallen. Kurz und gut, wie die Verhältnisse liegen, können Sie Ihre Tochter nur auf drei Arten an den Mann bringen. Erstens: mit meiner Beihilfe. Das wollen Sie ja nicht. Zweitens: Sie verschachern Sie an einen Sechzigjährigen, etwa an einen reichen Witwer, ohne Kinder, der sie haben möchte. Das ist zwar auch nicht so einfach, aber es lässt sich machen. Finden sich doch alte Kerle genug, die junge Weiber wie die Josepha oder die Jenny Cadine aushalten. Warum sollte man nicht mal einen finden, der dieselbe Dummheit in legitimer Weise begeht? Wenn ich meine Cölestine nicht hätte und meine beiden Enkelchen, heiratete ich Hortense. Na und drittens: das ist die allerleichteste Art und Weise...«
Frau von Hulot sah angsterfüllt auf Crevel.
»Paris ist eine Stadt, in die alle tatkräftigen Menschen zusammenströmen. Und die schießen in Frankreich wie die Pilze aus der Erde. In Paris wimmelt es von Talenten, die nicht Haus und Herd haben, aber mutig und zu allem fähig sind, selbst dazu, ihr Glück zu machen. Ich meine, Menschen wie... na, ich selber war mal so einer, und ich kenne ihrer eine ganze Menge. Was besaß Tillet, was Popinot vor zwanzig Jahren? Sie ramschten beide in Papa Birotteaus Laden mit keinem andern Kapital als dem Drange, emporkommen zu wollen. Ich versichere Ihnen, das ist soviel wert wie das beste Kapital! Kapital kann zum Teufel gehen, Mannesmut nicht... Was besaß ich? Den Drang nach vorwärts und meinen Mut! Tillet ist heute einer der gewichtigsten Leute. Und der kleine Popinot, der reichste Drogist in der Rue des Lombards, ist Abgeordneter geworden, jetzt Minister... Kurz und gut, so ein Kondottiere der Elle, der Feder oder des Pinsels, aber nur ein solcher, kann in Paris ein schönes Mädel ohne einen roten Heller heiraten. Die Sorte hat auch dazu Mut. Popinot hat Fräulein Birotteau ohne Aussicht auf die geringste Aussteuer genommen. Solche Kerle sind Narren! Sie glauben an die Liebe, wie sie an ihr Glück und ihr Können glauben. Suchen Sie einen Mann von Energie! Wenn er sich in Ihre Tochter verliebt, heiratet er sie ohne Bedenken. Sie werden mir zugeben, dass ich – als Feind – immerhin großmütig bin, denn mit diesem guten Rate arbeite ich gegen mich selber.«
»Ach, Herr Crevel, wenn Sie nur mein Freund sein und Ihre lächerlichen Hirngespinste lassen wollten!«
»Lächerliche Hirngespinste? Gnädige Frau, schädigen Sie sich doch nicht selber! Sehen Sie: ich liebe Sie, und Sie müssen zu mir halten! Eines schönes Tages will ich zu Hulot sagen: ›Du hast mir Josepha genommen, ich dir deine Frau!‹ Die alte Geschichte von der Vergeltung! Ich werde mein Ziel weiter verfolgen, es sei denn – Sie würden grundhässlich! Und ich komme zum Ziele, und zwar aus dem Grunde« – er blickte die Baronin selbstbewusst an –, »aus dem Grunde«, fuhr er nach einer Pause fort, »weil Sie weder einen alten Mummelgreis noch einen verliebten Draufgänger erwischen werden. Weil Sie Ihre Tochter viel zu sehr lieben, als dass Sie sie einem alten Roué in die Hände geben. Und weil Sie viel zu stolz sind, Sie, die Baronin Hulot, Sie, die Schwägerin eines napoleonischen Generals, der die Alte Garde geführt hat, viel zu stolz, sage ich, als dass Sie einen jener Draufgänger nähmen, wo Sie ihn finden. Zum Beispiel, einen einfachen Arbeiter? So mancher Millionär war vor zehn Jahren simpler Maschinist, Vorarbeiter oder Werkführer. Und dann: wenn Sie glauben, Ihre Tochter könne Ihnen in einer schwachen Stunde Schande bereiten, müssen Sie sich da nicht sagen: ›Nein, nein! Lieber ich als sie! Crevel wird mein Geheimnis wahren, und ich erringe die Mitgift meiner Tochter. Zweihunderttausend Francs gegen zehn Jahre Freundschaft mit diesem ehemaligen Handschuhmacher, dem alten Crevel!‹ Ich belästige Sie, und was ich da sage, ist höchst unmoralisch, nicht? Wenn Sie von wilder Leidenschaft zu mir ergriffen wären, dann fänden Sie wie alle liebenden Frauen tausend Gründe zur Rechtfertigung Ihrer Sünden! Ich sage Ihnen: Hortenses Glück wird Ihr Gewissen zur Kapitulation zwingen!«
»Hortense hat noch einen Onkel.«
»Wen? Wohl den Vater Fischer? Na, der ist mit seinem Gelde fertig, und zwar dank dem Herrn Baron, der alle Kassen ausräumt, die