»Ja«, antwortete der junge Mann, der weniger erstaunt war über die Erfüllung seiner Wünsche als über die Natürlichkeit, mit der die Ereignisse sich verketteten.
Obgleich es ihm unmöglich war, an einen magischen Einfluss zu glauben, bewunderte er die Zufälle des menschlichen Lebens.
»Du sagst ›ja‹ zu uns in einer Weise, als ob du an den Tod deines Großvaters dächtest«, sagte einer seiner Kameraden.
»Ach«, sagte Raphael in einem so naiven Ton, dass die Schriftsteller, die Hoffnung des jungen Frankreich, in Gelächter ausbrachen, »ach, meine Freunde, ich dachte eben daran, dass wir auf dem Weg sind, rechte Schurken zu werden. Bisher haben wir nur zwischen zwei Weinen ruchlose Reden geschwungen, haben im Rausch das Leben und beim Verdauen Menschen und Dinge beurteilt. Jungfräulich im Tun, waren wir nur in Worten vermessen; jetzt aber vom glühenden Eisen der Politik gebrandmarkt, werden wir in dieses große Bagno eintreten und unsere Illusionen verlieren. Wenn man nur mehr an den Teufel glaubt, ist es erlaubt, um das Paradies der Jugend zu trauern, die Zeit der Unschuld, da wir einem guten Priester gläubig die Zunge hinstreckten, um den heiligen Leib unseres Herrn Jesu Christi zu empfangen. Ach, liebe Freunde, wenn uns ehemals unsere ersten Sünden so viel Vergnügen machten, dann weil wir noch Gewissensbisse hatten, die sie verschönten, ihnen einen pikanten Reiz verliehen; jetzt hingegen ...«
»Oh, jetzt«, warf der erste Redner ein, »bleibt uns ...«
»Was?« fragte ein anderer.
»Das Verbrechen ...«
»Das ist ein Wort, das die Höhe eines Galgens und die Tiefe der Seine hat«, versetzte Raphael.
»Oh, du verstehst mich nicht ... ich rede von politischen Verbrechen. Seit heute morgen trachte ich nur noch nach einem: nach der Existenz eines Verschwörers. Ob ich morgen noch immer Lust dazu habe, weiß ich nicht; aber heute abend erfüllt das schale Leben unserer Zivilisation, das so einförmig ist wie ein Schienenstrang, mein Herz mit Ekel. Die Schrecken des Rückzugs von Moskau, die Abenteuer des roten Korsaren [* roter Korsar: Anspielung auf den Helden des Romans »Der rote Korsar« (1827) von James Fenimore Cooper (1789-1851)] und das Leben der Schmuggler begeistern mich leidenschaftlich. Da es in Frankreich kein Kartäuserkloster mehr gibt, so wünschte ich, dass es wenigstens ein Botany Bay, [* Botany Bay: große Bucht in der Nähe von Sydney, ursprünglich für die in Port Jackson errichtete Strafkolonie vorgesehener Standort, auf die sich die Anspielung bezieht] eine Art Heilanstalt für die kleinen Lord Byrons gäbe, die, nachdem sie das Leben wie eine Serviette nach Tisch weggeworfen haben, nichts Besseres wissen, als ihr Land in Brand zu stecken, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen, für die Republik zu konspirieren oder zum Krieg zu hetzen ...«
»Emile«, unterbrach Raphaels Nachbar feurig den Redner, »auf Manneswort, ohne die Julirevolution wäre ich Priester geworden, um irgendwo auf dem Land ein stumpfsinniges Leben zu führen und ...«
»Und du hättest alle Tage das Brevier gelesen?«
»Ja.«
»Du bist ein Tor.«
»Wir lesen doch auch Zeitungen!«
»Nicht übel, für einen Journalisten! Aber sei still, wir sind von lauter Abonnenten umgeben. Der Journalismus, siehst du, ist die Religion der modernen Gesellschaft, und darin liegt ein Fortschritt.«
»Wie das?«
»Die Pontifexe müssen nicht glauben und das Volk auch nicht ...«
Indem sie so wie ehrbare Leute, die das ›De Viris illustribus‹ [* › De Viris illustribus: lat., ›Über berühmte Männer, Biographiensammlung des römischen Geschichtsschreibers Cornelius Nepos (99-24 v. Chr.)] seit vielen Jahren kannten, plauderten, gelangten sie zu einem der vornehmen Häuser der Rue Joubert.
Emile war ein Journalist, der durch Nichtstun mehr Berühmtheit erlangt hatte als andere durch ihre Erfolge. Ein scharfer Kritiker, voll Schwung und beißender Ironie, besaß er alle Vorzüge, die seine Fehler mit sich brachten. Unverhohlen und lachend sagte er einem Freund tausend Bosheiten ins Gesicht, den er in dessen Abwesenheit mutig und aufrichtig verteidigte. Er spottete über alles, selbst über seine Zukunft. Stets in Geldnöten, verharrte er wie alle Menschen von einiger Bedeutung in unsagbarer Faulheit und warf nur manchmal solchen Leuten mit einem Wort ein ganzes Buch an den Kopf, die in einem ganzen Buch noch nicht einmal ein einziges Wort zu sagen hatten. Mit Versprechungen ging er sehr verschwenderisch um, doch hielt er sie nie, und Vermögen und Ruhm machten ihm so wenig Sorgen, dass er Gefahr lief, seine Tage im Spital zu beschließen. Ein Freund übrigens bis zum bitteren Ende, ein großmäuliger Zyniker und doch harmlos wie ein Kind, arbeitete er nur, wenn ihm der Sinn danach stand oder die Not ihn zwang.
»Wir werden eine famose Mahlzeit halten, wie Meister Alcofribas [* Meister Alcofribas: Gestalt aus dem Roman ›Gargantua und Pantagruel‹ von François Rabelais] zu sagen beliebte«, sprach er zu Raphael und wies auf die Kästen mit Blumen, die das Treppenhaus schmückten und mit Wohlgeruch erfüllten.
»Ich liebe warme, mit Teppichen ausgelegte Vorhallen«, sagte Raphael. »Luxus schon im Treppenhaus ist in Frankreich selten. Hier lebe ich auf.«
»Und da oben wollen wir wieder einmal trinken und lustig sein, mein armer Raphael. Wohlan denn! Ich hoffe, wir werden die Sieger sein und diese Köpfe da zu unseren Füßen sehen.«
Dann zeigte er spöttisch auf die Gäste, als sie in einen hell erleuchteten Salon mit reicher Vergoldung traten, wo sie sogleich von den bemerkenswertesten jungen Leuten von Paris begrüßt wurden. Einer von ihnen hatte soeben ein neues Talent offenbart und mit seinem ersten Gemälde den glorreichen Malern der Kaiserzeit den Rang streitig gemacht. Ein anderer hatte tags zuvor ein Buch veröffentlicht, voll Kraft und Frische und einer gewissen Geringschätzung des literarisch Althergebrachten, das der modernen Schule neue Wege zeigte. Ein Stück weiter unterhielt sich ein Bildhauer, dessen ungeschlachte Züge ein kraftvolles Genie verrieten, mit einem jener kalten Spötter, die, je nachdem, Überlegenheit entweder gar nicht oder überall feststellen wollen. Da lauerte der geistreichste