»Möge es Gott gefallen, dass Lucien besser behandelt würde als er«, sagte Herr du Châtelet. »Der Hof wäre weniger anmaßend als diese Gesellschaft von Dummköpfen. Man empfinge dort tödliche Wunden, man erduldete furchtbare Demütigungen. Die Revolution von 1789 müsste wieder anfangen, wenn diese Leute nicht anders würden. Er für sein Teil ginge nur noch in dieses Haus, weil ihm Frau von Bargeton gut gefalle. Das wäre die einzige Frau in Angoulême, die etwas taugte. Er hätte ihr aus Langweile den Hof gemacht und sich schrecklich in sie verliebt. Er würde sie bald besitzen, seine Liebe würde erwidert, alles künde es ihm an. Die Unterwerfung dieser stolzen Königin wäre die einzige Rache, die er an dieser dummen Sippe von Krautjunkern nähme.«
Châtelet sprach von seiner Leidenschaft im Ton eines Mannes, der imstande wäre, einen Nebenbuhler zu töten, wenn er einen träfe. Der alte verliebte Narr fiel mit seinem ganzen Gewicht über den Dichter her und versuchte ihn mit seiner Bedeutung zu erdrücken und ihm Angst zu machen. Er machte sich wichtig, indem er die Gefahren seiner Reise übertrieb; aber er imponierte zwar der Phantasie des Dichters, konnte jedoch den Liebenden nicht schrecken. Seit diesem Abend war Lucien trotz des alten Gecken, seiner Drohungen und seines Auftretens als kleinbürgerlicher Raufbold weiter zu Frau von Bargeton gekommen. Zuerst geschah es mit der Zurückhaltung eines Mannes, der aus Houmeau stammte, dann aber gewöhnte er sich bald an das, was ihm zuerst wie eine ungeheure Gunst erschienen war, und kam immer öfter zu Besuch. Der Apothekerssohn wurde von den Leuten dieser Gesellschaft als eine Erscheinung für sich genommen, die keine weitern Folgen haben konnte. Wenn anfangs manche Edelleute oder Frauen, die zu Naïs zu Besuch kamen, Lucien dort trafen, hatten sie all die niederschmetternde Höflichkeit für ihn, die die gute Gesellschaft anwendet, wenn sie mit Leuten unter ihrem Stande zusammen ist. Lucien fand zuerst diese Welt sehr liebenswürdig, aber später verstand er die Stimmung, aus der diese erheuchelte Höflichkeit hervorging. Bald gewahrte er bei einigen so eine Art Protektionsmiene, die seine Galle erregte und ihn in den hasserfüllten republikanischen Ideen bestärkte, die oft in diesen künftigen Patriziern während der ersten Zeit ihres Umgangs mit der großen Gesellschaft hochkommen. Aber wieviel Leiden hätte er nicht für Naïs erduldet! So hörte er sie in diesem Kreise nennen; denn wenn die Intimen dieser Kaste unter sich waren, nannten sie sich wie die spanischen Granden und die Auslese der Gesellschaft in Wien mit ihren Kosenamen, Männer wie Frauen. Das war die neuste Nuance, die von der Aristokratie des Angoumois angenommen worden war, um sich von den gewöhnlichen Menschen zu unterscheiden.
Naïs wurde geliebt, wie jeder Jüngling die erste Frau liebt, die ihm schmeichelt, denn Naïs sagte Lucien eine große Zukunft, einen herrlichen Ruhm voraus. Frau von Bargeton wandte ihre ganze Geschicklichkeit an, um ihren Dichter an sich zu fesseln: nicht nur pries sie ihn über alles Maß, sondern sie stellte ihn als ein armes Kind ohne Vermögen hin, dem sie eine Stellung verschaffen wollte; sie machte ihn kleiner, als er war, um ihn zu behalten; sie machte ihren Vorleser, ihren Sekretär aus ihm; aber sie liebte ihn mehr, als sie, nach dem schrecklichen Unglück, das sie betroffen, geglaubt hatte noch lieben zu können. Sie behandelte sich im geheimen sehr schlecht, sie sagte sich, es sei ein Wahnsinn, einen jungen Menschen von zwanzig Jahren zu lieben, den schon seine Stellung so weit von ihr entfernte. Diese Skrupel brachten sie oft dazu, ihre Vertraulichkeit plötzlich, wie aus einer Laune heraus, mit Anwandlungen von Hochmut wechseln zu lassen. Sie war stolz und gönnerhaft und dann wieder zärtlich und schmeichlerisch. Lucien, den zuerst der hohe Rang dieser Frau verschüchterte, hatte also alle Qualen, alle Hoffnungen, alle Verzweiflungen auszustehen, die die erste Liebe zur Folter machen und sie mit der Gewalt abwechselnder Schläge des Schmerzes und der Freude im Herzen befestigen. Zwei Monate hindurch sah er in ihr eine Wohltäterin, die sich mütterlich seiner annehmen würde. Frau von Bargeton nannte ihren Dichter »lieber Lucien«, dann einfach »Lieber«. Der Dichter wurde kühn und nannte diese große Dame »Naïs«. Als sie hörte, wie er ihr diesen Namen gab, hatte sie einen der Zornanfälle, die für einen jungen Menschen so irreführend sind; sie warf ihm vor, dass er ihr denselben Namen gab wie alle Welt. Die stolze Nègrepelisse erlaubte dem schönen Jüngling, ihr den Namen zu geben, der noch ungenutzt war, sie wollte für ihn »Louise« heißen. Lucien fühlte sich im siebenten Himmel der Liebe. Eines Abends war Lucien bei ihr eingetreten, als Louise gerade ein Porträt betrachtete, das sie schnell wegsteckte. Er wollte es sehen. Um die Verzweiflung eines ersten Eifersuchtsanfalles zu beruhigen, zeigte ihm Louise das Porträt des jungen Cante-Croix und erzählte nicht ohne Tränen die schmerzliche Geschichte ihrer keuschen und so grausam getöteten Liebe. Sann sie auf eine Untreue gegen ihren Toten, oder dachte sie daran, Lucien aus diesem Porträt einen Nebenbuhler zu schaffen? Lucien war zu jung, um seine Geliebte enträtseln zu können, er geriet in ehrliche Verzweiflung, denn sie eröffnete das Gefecht, in dem die Frauen in mehr oder weniger schlau verteidigte Skrupel Bresche schießen. Ihre Diskussionen über die Pflichten, die Sitte, die Religion gleichen befestigten Plätzen, die sie im Sturm genommen zu sehen wünschen. Der unschuldige Lucien brauchte diese Koketterien nicht, er hätte den Krieg ganz natürlich geführt.
»Ich werde nicht sterben, ich nicht, ich werde für Sie leben«, sagte Lucien eines Abends. Er war kühn geworden und wollte mit Herrn von Cante-Croix ein Ende machen. Dabei warf er Louise einen Blick zu, aus dem eine Leidenschaft sprach, die zu ihrem Höhepunkt gelangt war.
Sie war erschreckt über die Fortschritte, die diese neue Liebe in ihr und in ihrem Dichter gemacht hatte, und fragte ihn nach den Versen, die er ihr für die erste Seite ihres Albums versprochen hatte; er hatte mit ihrer Niederschrift immer gezögert, und so griff sie, um abzulenken, nach diesem Thema, um mit ihm zu streiten. Wie wurde ihr aber, als sie die beiden folgenden Stanzen las, die sie natürlich schöner fand als die besten von Canalis, dem Dichter der Aristokratie?
Nicht von der Muse zauberisch berührt
Wird jede Hand sein, die den Pinsel führt
Und meine Seiten schmückt;
Doch oft wird meiner schönen Herrin Stift
Mir anvertrauen, was sie schmerzlich trifft
Und was sie still beglückt.
Wenn sie mein gelbgewordenes Papier
Dereinst um die Geschicke fragt, die ihr
Die Zukunft noch verhüllt.
Dann mag die Liebe sehn, dass, treu bewahrt,
Ihr die Erinnerung an diese Fahrt
Noch sanft das Herz erfüllt.
»Habe wirklich ich Ihnen diese Verse eingegeben?« fragte sie.
Dieser Zweifel, den ihr die Koketterie einer Frau eingab, der es Vergnügen machte, mit dem Feuer zu spielen, ließ Lucien Tränen in die Augen treten; sie beruhigte ihn, indem sie zum erstenmal seine Stirn küsste. Lucien war entschieden ein großer Mann, den sie bilden wollte; es kam ihr in den Sinn, ihn Italienisch und Deutsch zu lehren und ihm bessere Manieren beizubringen; es ergaben sich daraus Vorwände, ihn immer bei sich zu haben, ihren langweiligen Hofmachern zum Trotz. Welches Interesse war wieder in ihr Leben gekommen! Sie wandte sich für ihren Dichter wieder der Musik zu, sie weihte ihn in die Welt der Musik ein, sie spielte ihm einige schöne Stücke von Beethoven und entzückte ihn; glücklich über