Wenn nun in Hinsicht auf Brot und Schauspiele unsere Geschichtsquellen den Tatbestand hinlänglich genau schildern, so werden wir dafür über tausend andere Umstände, welche das Bild des damaligen Roms vervollständigen müssten, vollkommen im Dunkel gelassen. Die Kapitalfrage zum Beispiel, welches das Zahlenverhältnis der Sklaven zu den Freien war, ist nicht einmal annähernd zu beantworten, und die versuchten Annahmen885 gehen weit auseinander. Da und dort öffnet sich ein Abgrund vor den Augen des Forschers und gestattet einen Einblick in jenes Mittelding von Staatsfabrik und Galeere, wo für öffentliche Bedürfnisse gearbeitet wurde. So die grossen Bäckereien für die allgemeinen Brotverteilungen886; die Vorsteher derselben (mancipes) hatten im Lauf der Zeit Wirtschaften und Bordelle darangebaut, aus welchen mancher Unvorsichtige plötzlich in die Fabrik geschleppt und dort auf Lebenszeit als Sklave eingestellt wurde; wem dies geschah, der war verschollen und die Seinigen hielten ihn für tot. Die Römer müssen um die Sache gewusst haben, wenigstens traf dies Los vorzugsweise Ausländer. Die Behörden vollends hatten so sicher Kunde davon als gewisse neuere Regierungen vom Matrosenpressen, und wenn Theodosius bei einem bestimmten Anlass dem Greuel ein Ende machte, so darf man deshalb nicht glauben, dass erst damals die Entdeckung gemacht worden sei.
Was endlich Ammian von dem Leben und Treiben der höhern Stände erzählt, erregt die unabweisbare Vermutung, dass der brave und tüchtige Mann hier einem Gefühl gekränkter Eitelkeit mehr als billig sich hingegeben habe. Als Antiochener hatte er jedenfalls kein besonderes Recht, die Römer herabzusetzen; als Hofangehöriger des Constantius und Julian aber mochte er vielleicht in den grossen römischen Familien keine sehr zuvorkommende Begegnung gefunden haben. Vieles von seinen Klagen geht auf die Untugenden, welche man den Reichen und Vornehmen zu jeder Zeit und überall zugeschrieben hat; anderes bezieht sich auf jene Zeit überhaupt. Ammian klagt über die monumentale Sucht nach vergoldeten Ehrenstatuen, während dasselbe Geschlecht sich im vergänglichsten Modetand, in der tiefsten Verweichlichung gefällt; er brandmarkt jene fatale Art, die vorgestellten Fremden nach dem ersten Besuch nicht mehr kennen zu wollen, und solchen, die man nach längerer Abwesenheit wiedersieht, zu verraten, dass man sie nicht vermisst habe. Er schildert die Unsitte jener Gastmähler, die man nur gibt, um niemandem etwas schuldig zu bleiben, und wobei die Nomenclatoren (eine Art von Zeremonienmeistern aus dem Sklavenstande) bisweilen gegen ein Trinkgeld gemeine Leute unterschieben. Schon zu Juvenals Zeiten hatte die Eitelkeit mancher etwas darin gesucht, halsbrechend schnell zu fahren und sich für die eigenen wie für die Zirkuspferde zu fanatisieren; auch dies dauerte noch fort. Viele erschienen öffentlich nicht anders als mit einer ganzen Prozession von Dienern und Hausgenossen, »unter dem Kommando der Hausmeister mit Stäben zieht zunächst am Wagen einher die ganze Schar der Webesklaven, dann in schwarzer Tracht die Küchensklaven, ferner die übrige Dienerschaft des Hauses, untermischt mit müssigem Volk aus der Nachbarschaft; den ganzen Zug schliesst ein Heer von Verschnittenen jedes Alters, vom Greise bis zum Knaben, alles sieche und entstellte Figuren«. – Zu Hause aber musste selbst in den bessern Familien, wie jetzt bei uns, die Musik eine Menge gesellschaftlicher Lücken verdecken. Da ertönte unaufhörlich Gesang und Saitenspiel; »statt des Philosophen wird der Sänger berufen, statt des Redners der Lehrer vergnüglicher Künste; während die Bibliotheken wie Gräber geschlossen stehen, werden Wasserorgeln gebaut und Lyren so gross wie Stadtkutschen«. Der Eifer für das Theater war auch den Vornehmen in hohem Grade eigen, und die Koketterie mancher Dame bestand ausdrücklich darin, theatralische Attitüden in leichter Abwechselung nachzuahmen. Auch die äussere Gebärde sollte noch immer ein Kunstwerk sein; Ammian kannte einen Stadtpräfekten Lampadius, welcher es übel aufnahm, wenn man das Stilgefühl nicht bemerkte, mit welchem er auszuspucken pflegte. – Das Klienten- und Parasitenwesen mochte seine Gestalt seit Juvenals