Von den Gebäuden der Constantinopolis, welche ebenfalls zum Teil aus Raub, nämlich aus Säulen älterer Bauten der Nachbarschaft errichtet wurden, können wir uns trotz der reichlich vorhandenen Nachrichten keinen Begriff mehr machen. Die Baukunst lag in jenem Augenblick in einer Krisis; der Gewölbebau mit seinem verhältnismässig neuen statischen Organismus war eben im entscheidenden Kampfe begriffen gegen die ohnmächtigen, abgestumpften Formen des einstigen griechischen Tempelbaues. Eine bunte, wunderliche Pracht muss der vorherrschende Charakter der constantinischen Anlagen gewesen sein; Kuppeln, Nischen, runde Hallen, kostbare Inkrustationen, Vergoldungen, Mosaik sind die wesentlichen Elemente dieses reichen und unruhigen Ganzen. Constantins eigene Ungeduld841 sprach sich gar deutlich in der raschen, unsoliden Ausführung aus, welche sich durch baldigen Ruin mehrerer Gebäude rächte und grosse Reparaturen nach sich zog.
Unter seinen Bauten befinden sich neben vielen und prachtvollen Kirchen unleugbar auch zwei heidnische Tempel842. Der eine, zum Zirkus gehörig, war den Dioskuren Castor und Pollux geweiht, der andere war das Tycheion, das Heiligtum der Tyche oder Schutzgöttin der Stadt. Wir sind bereits der alljährlichen Weiheprozession im Zirkus begegnet, wobei die Statue Constantins mit einer kleinen Tyche auf der ausgestreckten Rechten einherfuhr. Ausserdem werden noch mehrere andere Bilder dieser Göttin erwähnt843, deren eines aus Rom hergebracht worden. Offenbar war dieser Götterraub mehr als ein blosses Symbol, er sollte magisch die Übertragung der Weltherrschaft auf die neue Stätte besiegeln. Der Kaiser machte wohl die merkwürdigsten Versuche, der Tyche ihre rein heidnische Bedeutung zu benehmen; sie erhielt zum Beispiel ein Kreuz auf die Stirn; ja schon bei dem grossen Weihefeste im Jahr 330 ging die Anbetung der Tyche und das kyrie eleison sonderbar durcheinander844 – aber das heidnische Grundgefühl war und blieb das vorherrschende. Sogar einem öffentlich aufgestellten Kreuz wurde ein Schicksalsamulett eingefügt. Über dem Prachtbau des Milliariums nämlich sah man die Statuen Constantins und Helenas, welche zusammen ein Kreuz trugen, in dessen Mitte eine Kette bemerklich war; an dieser sollte ein Zauber haften, welcher dem neuen Rom den Sieg über alle Völker und die Sicherheit vor allen feindlichen Angriffen zuwegebringen sollte – und auch diese Kette nannte man die Tyche der Stadt845. Es ist möglich, dass dieser ganze Schmuck neuern Ursprungs war und dass die Bedeutung der Kette bloss in der Phantasie der Byzantiner existierte, aber Constantin hat gewiss durch magische Begehungen Anlass zum Entstehen solcher Sagen gegeben.
Die Reaktion hiegegen von Seite der christlichen Hofleute und Geistlichen haben wir bereits in dem Sturz und der Hinrichtung des Sopater (S. 441) zu erkennen geglaubt. Aus der Zeit unmittelbar vor der Einweihung wird noch der Untergang eines andern heidnischen Philosophen, Kanonaris, berichtet846. Dieser trat öffentlich auf und rief dem Kaiser zu: »Überhebe dich nicht über die Vorfahren, weil du die Vorfahren (das heisst ihre Sitte und Religion) zunichte gemacht hast!« – Constantin liess ihn vor sich kommen und ermahnte ihn, von seinen heidnischen Predigten abzulassen; Kanonaris aber rief laut, er wolle für die Vorfahren sterben, und wurde darauf enthauptet.
Wenden wir unsere Blicke von der übermütigen neuen Weltstadt zurück auf die alte.
Rom hatte einen Vorzug behalten, der vielleicht in jenem Augenblick nicht besonders schwer zu wiegen schien: den anerkannten Vorrang847 seines Bischofes vor allen Geistlichen des Reiches. Man konnte damals noch nicht ahnen, dass in angemessener Ferne vom byzantinischen Kaiserthron ein abendländischer Hohepriesterstuhl zu stehen kommen würde, dass einst die Hierarchie, in Konstantinopel selber durch die weltliche Herrschaft überstrahlt, in Antiochien, Jerusalem und Alexandrien durch Ketzerei und durch das Schwert des Islam erschüttert, in Rom der Mittelpunkt einer neuen geistigen Welt werden müsse. Constantins persönliche Beziehungen zur römischen Gemeinde sind sehr zweifelhaft; seine vorgebliche Schenkung ist erdichtet; die ungeheure Pracht seiner Kirchenbauten und Weihgeschenke, wie sie Anastasius Bibliothecarius (Kap. 34) schildert, beschränkt sich in der Wirklichkeit auf ein verhältnismässig Weniges848, wobei man über den wahren Umfang der kaiserlichen Freigebigkeit überdies im Zweifel bleiben kann; endlich ist seine vorgebliche Taufe durch den Bischof Silvester im Baptisterium des Laterans eine blosse Sage, welche aus dem Wunsche entstand, den arianischen Eusebius von Nikomedien durch einen rechtgläubigen Taufpriester zu ersetzen849. In den arianischen Streitigkeiten war dann das römische Bistum weit entfernt, alle Angriffe von sich abhalten, eine bloss beobachtende und entscheidende Stellung behaupten zu können850; auch später geriet es noch mehr als einmal tief in die kirchlich-politischen Stürme hinein und rang sich nur langsam empor zur Weltmacht.
Einstweilen