Gesammelte Werke von Joseph Roth. Йозеф Рот. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Йозеф Рот
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027210305
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sagen Sie zu diesem Friseur Kolumbus?« lachte Alexander. »Ausgerechnet Kolumbus heißt er.«

      Zwonimir schickt mir einen schnellen Blick zu und sagt:

      »Wenn ein Friseur Christoph Kolumbus heißt, ist es noch lange nicht so schlimm. Aber Sie heißen Alexander! …«

      Das war ein gutes Wort, und Alexander schwieg.

      Manchmal sage ich: »Zwonimir, laß uns abreisen.«

      Aber jetzt will Zwonimir erst recht nicht. Bloomfield ist da, und das Leben wird von Tag zu Tag interessanter. Es kommen mit jedem Zug Fremde aus Berlin. Kaufleute und Agenten und Nichtstuer. Alle Menschen zieht Bloomfield herbei. Der Friseur Kolumbus rasiert heftig. Der Gepäckraum sieht freundlich aus, mit zwei großen Wandspiegeln und einer Marmorplatte. Kolumbus ist der geschickteste Barbier, den ich in meinem Leben je gesehn habe. In fünf Minuten ist man fertig. Das Haarschneiden besorgt er nach neuester Methode mit dem Rasiermesser. Nie hört man in seinem Laden eine Schere klappern.

      Weiß der Teufel, woher Zwonimir das Geld für uns beide nahm. Unsere Zimmerrechnung war schon sehr hoch. Zwonimir dachte nicht daran, sie zu bezahlen. Sein Geld legte er jeden Abend vor dem Schlafengehn unters Kopfkissen. Er hatte Angst, daß ich es ihm stehlen könnte.

      Wir lebten fast so gut wie Bloomfield und gingen in die Armenküche, wenn es uns gefiel. Und wenn es uns nicht gefiel, aßen wir im Hotel. Und nie ging uns das Geld aus.

      Einmal sage ich zu Zwonimir: »Ich packe und gehe zu Fuß weiter! Wenn du nicht willst, bleib hier!«

      Da weinte Zwonimir. Es waren ehrliche Tränen.

      »Zwonimir«, sage ich, »dies ist mein letztes Wort: Sieh im Kalender nach, heute ist Dienstag, heute in zwei Wochen reisen wir.«

      »Ganz bestimmt«, sagt Zwonimir und schwört es laut und feierlich, obwohl ich es gar nicht verlange.

      XXI

       Inhaltsverzeichnis

      Am Nachmittag desselben Tages bat mich der Sekretär Bondy auf einen Augenblick an den Tisch Bloomfields.

      Bloomfield brauchte noch einen Sekretär für die Zeit, in der er hier war. Man mußte die Besucher scheiden können in lästige und nützliche und mit beiden Arten verhandeln.

      Ob ich nicht jemanden wüßte, fragte Bondy.

      Nein, ich wüßte keinen, außer Glanz.

      Aber da macht Bloomfield eine abwehrende Handbewegung. Glanz war nichts für ihn, das bedeutete diese Bewegung.

      »Wollen Sie nicht diese Stellung annehmen?« sagt Bloomfield. Es war keine Frage. Bloomfield sprach überhaupt nicht in fragendem Ton, er sagte alles nur vor sich hin, als wiederhole er oft erörterte Dinge.

      »Wir wollen sehn!« sage ich.

      »Dann – können Sie morgen in Ihrem Zimmer – Sie wohnen?«

      »703.«

      »Bitte morgen anzufangen, Sie bekommen einen Sekretär.«

      Ich verabschiede mich und fühle, wie Bloomfield mir nachsieht.

      »Zwonimir«, sage ich, »jetzt bin ich Bloomfields Sekretär.«

      »Amerika«, sagt Zwonimir.

      Es war meine Aufgabe, die Leute anzuhören, sie und ihre Projekte zu beurteilen und Bloomfield über die Gäste jedes Tags schriftlichen Bericht zu erstatten.

      Ich notierte mir Aussehen, Stellung, Geschäft, Vorschlag jedes Besuchers und beschrieb alles. Ich diktierte einem Mädchen in die Maschine und gab mir sehr viel Mühe.

      Bloomfield schien nach den ersten zwei Tagen mit meiner Arbeit zufrieden, denn er nickte mir am Nachmittag, wenn wir uns trafen, sehr wohlwollend zu.

      So lange hatte ich nichts mehr gearbeitet – ich freute mich. Es war eine Beschäftigung, die mir behagte, denn ich war auf mich angewiesen und trug die Verantwortung für alles, was ich berichtete. Ich hütete mich, mehr zu berichten, als nötig war. Dennoch lieferte ich manchmal einen Roman.

      Ich arbeitete von zehn bis vier. Jeden Tag kamen fünf oder sechs oder mehr Besucher.

      Ich wußte wohl, was Bloomfield von mir wollte. Er wollte eine Kontrolle seiner selbst. Er verließ sich nicht in allem auf sein eigenes Urteil – er hatte auch keine Zeit, über jeden nachzudenken –, und er wollte auch eine Bestätigung seiner eigenen Beobachtungen.

      Henry Bloomfield war ein vernünftiger Mensch.

      Die Juxdrillinge hießen Nachmann, Zobel und Wolff und standen alle drei innig auf einer Visitkarte.

      Nachmann, Zobel und Wolff hatten herausgefunden, daß man in dieser Gegend Europas noch keine Juxgegenstände kannte. Sie kamen mit Geld, sie bewiesen es und sprachen sehr vernünftig. Seit Jahren stand in diesem Ort die Spinnerei des verstorbenen Maiblum leer. Man konnte sie mit wenig »Unkosten«, sagte Wolff, reparieren. Herr Nachmann würde hierbleiben – sie brauchten eigentlich nicht so sehr das Geld Bloomfields wie seinen Namen. Die Firma sollte Bloomfield und Compagnie heißen und die Gegend und Rußland mit Juxgegenständen versorgen.

      Die Drillinge wollten Feuerwerk, Papierschlangen, Serpentinen, Knallerbsen und Frösche fabrizieren.

      Ich hörte dann, daß Bloomfield die Idee mit den Juxgegenständen sehr gefallen hatte, und sah nach zwei Tagen, wie langsam ein hölzernes Gerüst um die Maiblumsche Fabrik wuchs und wuchs, bis das ganze halbzerfallene Gemäuer von Holz eingedeckt war wie ein Monument im Winter.

      Nachmann, Zobel und Wolff hielten sich hier lange auf. Man sah sie unzertrennlich durch die Straßen und Plätze der Stadt schleichen. Alle drei kamen in die Bar und holten sich ein Mädchen an den Tisch.

      Sie führten ein inniges Familienleben.

      Man begegnet mir mit mehr Ehrfurcht als je vorher im Hotel Savoy. Ignatz schlägt seine biergelben Kontrollaugen nieder, wenn er mit mir zusammentrifft, im Lift oder in der Bar. Der Portier grüßt mich tief. Die Drillinge ziehen gleichmäßig vor mir die Hüte.

      Gabriel, sage ich mir, du kommst mit einem Hemd im Hotel Savoy an und fährst weg als ein Gebieter über zwanzig Koffer.

      Verborgene Türen öffnen sich auf meinen Wunsch, Menschen geben sich mir preis. Wundersame Dinge tun sich kund. Und ich stehe da, bereit, alles aufzunehmen, was mir zuströmt. Die Menschen bieten sich mir an, unverhüllt liegen ihre Leben vor mir. Ich kann ihnen nicht helfen noch schaden – sie aber, froh, ein Ohr gefunden zu haben, das sie anhören muß, schütten Leid und Geheimnis vor mir aus.

      Es geht ihnen schlecht, den Menschen, riesenhaft steht ihr Weh vor ihnen, eine große Mauer. Eingesponnen sitzen sie in staubgrauen Sorgen und zappeln wie gefangene Fliegen. Dem fehlt es an Brot, und jener ißt es mit Bitterkeit. Der will satt sein und jener frei. Hier regt einer seine Arme und glaubt, es wären Flügel, und er würde sich im nächsten Augenblick, Monat, Jahr über die Niederung seiner Welt erheben.

      Es ging ihnen schlecht, den Menschen. Das Schicksal bereiteten sie sich selbst und glaubten, es käme von Gott. Sie waren gefangen in Überlieferungen, ihr Herz hing an tausend Fäden, und ihre Hände spannen sich selbst die Fäden. Auf allen Wegen ihres Lebens standen die Verbotstafeln ihres Gottes, ihrer Polizei, ihrer Könige, ihres Standes. Hier durften sie nicht weitergehn und dort nicht bleiben. Und nachdem sie so ein paar Jahrzehnte gezappelt, geirrt hatten und ratlos gewesen, starben sie im Bett und hinterließen ihr Elend ihren Nachkommen.

      Ich saß im Vorhof des lieben Gottes Henry Bloomfield und registrierte Gebete und Wünsche seiner kleinen Menschen. Die Leute kamen zuerst zu Bondy, und ich empfing nur jene, die einen Zettel von ihm vorzeigten. Zwei oder drei Wochen wollte Bloomfield bleiben – und nach drei Tagen sah ich, daß er mindestens zehn Jahre hierbleiben müßte.

      Ich lernte den kleinen Isidor Schabel kennen,