Manche zerbrachen sich den Kopf über sein Verhältnis zu seiner Frau.
»Was macht sie mit diesem Mann?« fragten die Boshaften.
»Was macht er mit dieser Frau?« fragten die Gutmütigen.
»Warum ließen sie sich nicht scheiden wie alle Welt?« fragten die Neutralen.
Erna aber hielt es für eine besondere Note, auf eine so merkwürdige Weise verheiratet zu sein. Fragte man sie, so gab sie Aufklärung:
»Wir sind katholisch verheiratet, der gute Arnold und ich. Wir können nicht voneinander los.«
Und ich war doch ihr Zeuge beim Standesamt gewesen. Erna sagte es aber auch, wenn ich da war.
Daß sie ihn den »guten« Arnold nannte, schien mir beinahe ihrer selbst unwürdig. Warum? Sie hatte es doch nicht nötig, ein so abgenutztes Eigenschaftswort anzuwenden. Sie hätte sich doch schon etwas Mühe geben können, eine originellere Bezeichnung zu finden. Arnold aber lächelte, wenn sie ihn »guter« nannte. Sprach sie direkt zu ihm, so sagte sie sogar: »Bester«. Er lächelte wie einer, der es besser weiß und der, mögen die anderen auch glauben, er sei nur ein Guter, auch Stunden kennt; in denen ihm andere Eigenschaften zugemutet werden.
Weshalb sie Arnold behielt, das fragte auch ich mich. Aber sie war klug und bitter genug, auch an die Stunden des Unglücks zu denken, die einmal kommen könnten. Aus manchen ihrer Reden glaubte ich auch entnehmen zu können, daß sie abergläubisch war und daß sie ihren Mann behielt, so wie man etwa einen Glücksaffen vor den Motor seines Autos stellt, um Zusammenstöße zu verhüten. Aber hinter diesem Aberglauben lag ihr Heimweh, von dem sie selbst nicht wußte, das frierende Stückchen Seele, das der Mensch nicht kennt, wenn es im Zimmer warm ist, das verborgene bißchen Armseligkeit, das man niemanden sehen läßt und selbst nicht sieht, wenn man reich ist, die zitternde Sehnsucht, die erst in den letzten Stunden des Lebens zu singen beginnt.
XVI
An einem Sonntagnachmittag, an dem Erna auch mich eingeladen hatte, überredete ich Arnold, nicht im Wagen zu seiner Frau zu fahren, sondern mit mir zu Fuß hinauszugehen.
Es war ein warmer Sonntag, nach langer Zeit ein warmer Sonntag. Das Volk, »die gute Sache«, vor der Erna sich abschloß, wanderte in Scharen hinaus. Es war Spätsommer, eine letzte goldene Heiterkeit lag auf den Straßen. Die Bäume, die an den Rändern standen, ließen gelbe Blätter fallen.
»Ich bin dir dankbar«, sagte Arnold, »daß du mich bewogen hast, mit dir zu gehen. Seit einigen Jahren bin ich nicht mehr so ruhig gewandert. Erinnerst du dich noch an unsere Ausflüge mit meinem Vater?«
»Ja«, sagte ich, »ich erinnere mich an sie, als wären sie gestern gewesen. Dein Vater trug einen hellgrauen, steifen Hut mit einem noch heller getönten, gerippten, außerordentlich breiten Band. Es bedeckte fast den halben Hut.«
»Ein echter Habig!« zitierte Arnold.
»Ja, ein echter Habig. Auch einen Stock mit echtem Elfenbeingriff hatte dein Vater. Der Griff war einige Male abgefallen, er hatte ein lockeres Gewinde. Dein Vater legte Papier zwischen den Stock und den Griff, damit er besser halte. Wir gingen ins Krapfenwaldl, standen vor der Sobieski-Kirche, und dein Vater sagte: ›Dieser Sobieski wird gewaltig überschätzt. Die Wiener wären auch so mit den Türken fertig geworden.‹ – Der König Sobieski war ihm nicht sympathisch. Schließlich war er ein Patriot, ohne daß er es zugeben wollte – es sei denn im Krieg.«
»Gestern habe ich einen Brief von meinem Vater bekommen«, sagte Arnold. »Lies ihn!«
Ich las: »Mein innig geliebter Sohn« – blätterte um, und der altgewohnte Schluß war wieder da: »Ohne besondere Wichtigkeiten Dein Dich liebender Vater.« Der alte Zipper teilte seinem Sohn mit, daß er gesund sei und jede Woche dreimal ins Kino gehe. Dank seinen alten Verbindungen habe er Freikarten, die nur an Sonn-und Feiertagen nicht gültig seien. Nicht er – so schrieb der alte Zipper –, aber eigentlich die Mutter würde sich einmal freuen, wenn ihre berühmte Schwiegertochter einen Gruß schicken würde. »Ich kenne ihre Handschrift noch nicht«, schrieb der alte Zipper. Aber wenn er wüßte, daß sein Sohn glücklich sei, so mache er sich nichts aus der Schweigsamkeit vielbeschäftigter Menschen. Denn er kenne das, er wisse, was intensive Arbeit heißt.
Ich gab Arnold den Brief zurück. Er faltete ihn nach seiner Gewohnheit viermal und legte ihn in die Brieftasche. Dann schwiegen wir einige Minuten. Plötzlich sagte Arnold: »Die Väter ahnen doch, wie es den Söhnen geht. Wenn er wüßte, wie meine Ehe aussieht!«
Ich versuchte einen Scherz: »Was willst du? Ihr vertragt euch doch?«
»Mach keine Witze«, sagte Arnold. »Ich war nie im Leben glücklich. Ich war noch nie so unglücklich wie jetzt. Wenn du wüßtest, wie es in diesen Jahren zugegangen ist. Schon in Breslau fing es an. Wir wohnten im Hotel, in zwei Zimmern, die aneinander grenzten. Die Verbindungstür ließ der Hausdiener offen, als wir ankamen und er das Gepäck abstellte. Dann schickte sie mich hinaus. Sie zog sich um. Dann aßen wir. ›Ich will allein schlafen‹, sagte sie. ›Selbstverständlich‹, sagte ich.
Ich ging in mein Zimmer, ich las. Ich las ein Stück, in dem sie spielen sollte, machte Anmerkungen, stellte sie mir genau vor, ich liebte sie damals – nicht so wie heute. Ich liebte sie ganz kindisch, wahnsinnig, ich wollte jeden Augenblick mein Leben hingeben, und es schien mir noch zuwenig, ein einziges Leben. Ich träumte davon, daß ich sterbe, damit sie sich freue. Kurz: es war verrückt. Ich las also, auf einmal höre ich, wie sie an der Tür ganz leise den Riegel vorschiebt. Hätte sie es nicht vorsichtig getan! Aber sie wollte nicht, daß ich es höre – und siehst du, das war der große Schmerz.
Die ganze Nacht schlief ich nicht. Ich fand meinen Trost. Ich dachte, sie hätte den Riegel so leise vorgeschoben, um mich nicht zu stören. Sie wußte ja nicht, ob ich nicht schon schlafe. Ich klammerte mich so an diesen Trost, daß ich fürchtete einzuschlafen. Ich war glücklich und wach vor Glück.
Aber am Morgen klopfte ich, sie sagte: ›Sofort‹, und nun – nun schob sie den Riegel wieder ganz sachte zurück. Ich war so froh aufgestanden. Ich fand es ganz natürlich, daß wir nicht zusammen schliefen. Aber jetzt ging die Tür auf, ich haßte Erna plötzlich, sie muß es gesehen haben. Aber sie ist nie aufgeregt, immer gleichgültig, so viel klüger als ich und so reizend. Nicht?«
»Es tut mir leid, daß du verliebt bist!« sagte ich.
»Du magst sie nicht«, sagte Arnold, »ich weiß es schon lange. Du hältst sie für böse. Wenn man sie nicht liebt, kann man glauben, daß sie böse ist. Aber nur ich kenne sie. Niemand kennt sie.«
Nach einer Weile erzählte er weiter:
»Als diese Laune mit den Mädchen kam, war ich ahnungslos. Ich dachte, es wären harmlose Freundschaften. Wir wohnten damals noch zusammen, mein Zimmer lag neben dem ihrigen. Ich schlief sehr tief und erwachte plötzlich. Es schien mir, daß jemand geschrien habe. Ich klopfte an die Tür. Man schien mich nicht zu hören. Ich öffnete, sie erschraken, die kleine Anny war bei ihr. ›Was suchst du da?‹ sagte Erna. Ich entschuldigte mich. ›Ich habe rufen hören‹ – und wie ich in mein Zimmer zurückkomme, liegt die Anny in meinem Bett.
Am nächsten Morgen bin ich in die Pension gezogen.«
Er schwieg wieder. Er trat in einen großen Blätterhaufen und wirbelte ihn auf.
Dann begann er: »Ich verstehe sie dennoch. Niemand kann sie so gut verstehen – und ich warte.«
»Worauf?«
»Ich warte auf den Tag, an dem sie mich rufen wird. Jeden Tag glaube ich: jetzt kommt sie. Immer, wenn in meinem Büro das Telephon läutet, zögere ich einen Moment, bevor ich den Hörer fasse. Seit einem Jahr lebe ich in dieser Spannung. Wenn