Gesammelte Werke von Joseph Roth. Йозеф Рот. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Йозеф Рот
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027210305
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zumindest Geld. Er verfaßte Rechnungen. Unzufriedene Spitzel begütigte er durch kameradschaftlichen Händedruck. Es gab Dumme, sie ließen sich alles gefallen. Sie warteten.

      Aber die Stelle S, »Major Seyfarth«, sendete Rügen und Ermahnungen, bestellte Theodor nach München. Theodor hatte Ausreden. Theodor ging vom »Major Seyfarth« zum »Kapitän Hartmut«. Er war ein alter Herr, er trug spärliches Haar über der Glatze, von hinten nach vorn gekämmtes, und er lauschte mit dankbarer, aber nie gestillter Gier einem Kompliment, einer Schmeichelei. Theodor erkannte ihn. Manchmal ließ er ein vorsichtiges Urteil über die Stelle S fallen. Einmal sagte Theodor: Wenn er nicht die Stelle S hätte, sondern den Kapitän selbst – das wäre anders. Er brauchte einen freien Geist, er, Theodor Lohse.

      Er vergaß, daß Trebitsch lebte; daß Trebitsch verdienen mußte; daß auch der Rechnungen verfaßte; daß es seine Aufgabe war, Theodor zu überwachen. Und Trebitsch teilte mit, daß Theodor im Eifer dieses übertrieben, jenes falsch gesehen hatte. Oh, er besaß zuverlässige Augen und Ohren, der Jude Trebitsch.

      Theodor bereitete die Befreiung eines Untersuchungsgefangenen vor. Er fuhr nach Leipzig. Einer der Aufseher war Wachtmeister in Theodors Kompanie gewesen. Ihn wollte er für die Organisation gewinnen. Er teilte nach München gute Fortschritte mit. Und erhielt den Besuch eines Mannes mit dem schriftlichen Befehl, heute noch, spätestens morgen, auf das Gut Lukscha in Pommern mit fünfzig Männern abzureisen.

      X

       Inhaltsverzeichnis

      Er war ohnmächtig, erbittert, rachelüstern. Er ging zu Trebitsch… War ein Theodor Lohse nicht unentbehrlich?

      Und Trebitsch lächelte. Er kämmte mit gespreizten Fingern seinen Bart. Es blieb nichts übrig, Theodor reiste.

      Auf dem Gut Lukscha in Pommern streikten die Landarbeiter. Der Freiherr v. Köckwitz rief nach Hilfe.

      Er war alt, der Freiherr v. Köckwitz. Er war verwitwet. Er hatte drei Söhne: Friedrich, Kurt, Wilhelm. Er war ein Jäger. Er schoß gut. Er schoß den ganzen Tag. Er besaß ein Waffenarsenal im Keller. Er war streng gegen sich und andere. Er empfing Theodor um die Mittagsstunde. Die Sonne brannte. Theodors Leute hatten eine Stunde Marsch hinter sich. Der Freiherr verlangte militärischen Schritt. Waren das Landstreicher? Ging man in Gruppen? Er forderte Viererreihen. Er dirigierte den Zug nach der großen Scheune. Sie lag eine Viertelstunde weiter. Theodor marschierte, erbittert, ohnmächtig, rachedurstig. Er kannte den Freiherrn v. Köckwitz.

      Jeder kannte ihn. Er hatte einen Arbeiter beim Holzfällen erschossen. Er bedrohte Sonntagswanderer mit schußfertigem Gewehr. In seinen Wäldern verschwanden erdbeerensuchende Kinder. Seine Söhne standen im Sommer hinter Hecken verborgen; erlauerten Ausflügler; schossen auf Wandervögel. Der jüngste Sohn war zwölf Jahre alt und zielte auf die Tauben der Förster. Freiherr v. Köckwitz hatte seine Frau ins Grab geärgert. Sie war eine geborne v. Zick. Ihr Großvater nachweislich bei der Post gewesen. Junger Adel von der Pferdepost. Sie starb an ihrem Großvater. Die Zeitungen schrieben über den Freiherrn v. Köckwitz. Die Gerichte ließen Anklagen verstauben, zerfallen. Staatsanwälte waren zu Jagden eingeladen. Untersuchungsrichter spielten Poker mit Kurt. Man kannte den Freiherrn v. Köckwitz. Man verspottete ihn. Man erzählte Köckwitz-Anekdoten. Jedes Jahr streikten seine Arbeiter. Immer halfen ihm Roßbach-Leute. Diese Sommerarbeit fürchtete man. Beim Freiherrn v. Köckwitz erhielt man zweimal täglich Essen. Graupensuppe und Schwarzbrot.

      Sie lagen in der Scheune, verärgert und hungrig. Am Nachmittag kam Freiherr v. Köckwitz und befahl: »Lassen Sie Ihre Leute singen! Ich liebe Gesang!« Sie sangen, sie arbeiteten, sie aßen Schwarzbrot und Graupensuppe, sie legten sich schlafen, sie standen beim ersten Morgenstrahl auf. Sie sangen.

      Einmal kam der Freiherr aufs Feld. Er war gut gelaunt. Er lud den Untersuchungsrichter ein. Er lud auch Theodor und die fünfzig ein. Er sprach mit Theodor. Schimpfte auf die Arbeiter. Sie waren Polacken. Kein Tropfen deutschen Blutes. Juden verführten sie. In dieser Gegend lebten überhaupt Juden, Polacken, rotes Gesindel. Es war zum Niederknallen.

      Niederknallen sollte man sie. In dieser Nacht brannte die große Scheune. Einer von Theodors Leuten hatte geraucht. Der Freiherr drohte: Drei Taglöhne weniger. Aber der Untersuchungsrichter verdächtigte die Landarbeiter. Man verhaftete zehn.

      Hundert zogen am nächsten Tage vor das Gut. Der Freiherr ließ Maschinenpistolen aus dem Keller bringen. Er verlor den Appetit. Er schloß die Fensterladen. Ohrfeigte den zwölfjährigen Wilhelm. Schon sah er sein Haus vernichtet. Seine Söhne gehängt. Sich selbst gefoltert. Er ging nicht mehr in die Felder. Er schlief in Kleidern, die Pistole neben sich. Er fürchtete sich vor vergifteten Speisen. Er fürchtete sich überhaupt.

      Theodor schlief im Hause. Nicht nur, weil die Scheune abgebrannt war. Wachen stellte Theodor auf. Die jungen Freiherren inspizierten. Der Alte war milde. Ein gütiger Greis. Er spendete für die Kirche. Er sah sich um, wenn er sprach. Er flüsterte.

      In solcher Stimmung war er zugänglich jedem Rat.

      Theodor war erbittert. Schickte man ihn weg? Wollte man seinen Namen untergehen lassen? Brennen sollte der Name Theodor Lohse in allen Zeitungen. Nicht vergessen sollte man Theodor Lohse. In Berlin und in München nicht. Man wird ihn nicht vergessen.

      Man muß die Arbeiter herausfordern. Kam es zu Kampf – sie vernichten. Hundert Mann – hatten sie Waffen? Hier war ein Arsenal. Man wird Theodor Lohse nicht vergessen.

      Jeden Tag sangen sie:

      Der Verräter zahlt mit Blut,

       Schlagt sie tot, die Judenbrut,

       Deutschland über alles.

      Sie arbeiteten weniger. Sie exerzierten. Sie rückten mit Gewehren aus. Die Arbeiter hungerten. Ihre Kinder bekamen dünne Hälse und große Köpfe. Die Frauen kreischten, wenn sie Theodors Leute sahen. Sie riefen: »Hunde!«

      Man schoß in die Luft. Arbeiter kamen, hundert, zweihundert aus der Nachbarschaft. Sie trugen Stöcke. Sie warfen Steine. Sie zogen zum Gutshof.

      Theodor ließ sie in den Hof. Drinnen schrien sie. Sie drängten gegen das Haus. Fensterscheiben klirrten wehmütig. In den Fenstern lag Bettzeug zum Auffangen der Steine. Ein Arbeiter, von Kameraden auf die Schultern gehoben, hielt eine Rede.

      Theodor schoß. Der Arbeiter schwankte. Auseinander stoben alle. Vor dem Tor strömten sie zusammen und rüttelten vergebens an der dreifachen Riegelung. Sie schwangen sich über die Mauer. Aber drüben blitzten Gewehrläufe. Die Arbeiter ließen sich in den Hof fallen. Aus dem Hause tönten Schüsse.

      Die Sterbenden stöhnten. Die Lebenden schwiegen. Es erhob sich eine große Ruhe. Es wehte Stille aus dem Hofe wie aus einem weiten, geöffneten Grab. Heiße Sonne strahlte von den Pflastersteinen wider. Hoch in der Luft trillerten Lerchen.

      Eine Hummel surrte wie ein großer Kreisel. Aus der Ferne scholl die Stimme eines Hundes herüber. Glocken der Dorfkirche dröhnten.

      Viele entkamen über die Mauer, schlugen die lauernden Schützen nieder und entflohen. Dreißig blieben liegen, verwundet und tot. Blutgerinnsel zeichnete Landkarten auf das weiße Pflaster des Hofes.

      Spät kam Gendarmerie, trank Bier auf dem Hofe, noch war das Blut nicht getrocknet. Ein Grübchen im Kinderkinn hatte der junge Untersuchungsrichter und ein Hakenkreuz im Knopfloch.

      Es schrieben die Zeitungen: Blutiger Aufstand der Landarbeiter! Eine Heldentat der Technischen Nothilfe! in die horchende Welt. Reporter kamen. Theodor Lohse sprach mit ihnen. Theodor Lohse stand in der Zeitung. Ein Student, Leutnant der Reserve, hat den Aufstand niedergeschlagen: Theodor Lohse.

      Der Sonntag war Sammeltag für die Technische Nothilfe. Weißgekleidete Kinder verkauften Kornblumen aus Leinwand in den Straßen Berlins.

      XI

       Inhaltsverzeichnis